Rückblick auf 40 Jahre taz Berlin (I): Das schwarze Jahrzehnt
Die CDU an der Macht, Bauskandale, Gewalt zwischen Polizei und Linken: Berlin drohte in den 80ern, in Ritualen zu erstarren. Dann kam der Mauerfall.
Die taz Berlin wird 40 Jahre alt. Dies ist der erste von vier Texten, in denen wir auf die Entwicklung der Stadt und der Zeitung zurückblicken. Und fragen: Was bleibt?
Die taz hatte in dieser Nacht als einzige Zeitung einen Reporter vor Ort. Steine flogen, Scheiben klirrten, Blaulichter zuckten, Knüppel sausten. Es wurde geplündert, es gab Verletzte auf beiden Seiten. Es war eine von vielen, vielen Straßenschlachten, die Westberlin in den 80er-Jahren erleben sollte. Politische Gewalt prägte immer wieder das Bild der Halbstadt in ihrer letzten Dekade, die am 9. November 1989 mit dem Fall der Mauer vorzeitig endete.
Schon in ihrer Ersten Nullnummer vom September 1978 hatte es in der taz, angelehnt an Karl Marx, geheißen: „Ein Gespenst geht um in Kreuzberg, das Gespenst der ‚Instand(be)setzung‘.“ Das hatte niemand wirklich ernst genommen. Doch zwei Jahre später war die Revolte da. Sie war, nach Michel Foucault, ein „Feuerwerk im Dunkel der Macht“.
gehört dem Kuratorium der taz Panter Stiftung an. Er zählt zu den vielen taz-Gründer*innen und initiierte zusammen mit Johann Legner 1980 den Berlin-Teil des Blattes. Später arbeitete er für Zeit und Spiegel.
Eine Gruppe in der taz hatte einige Monate vor der Randale in Kreuzberg einen vierseitigen Westberliner Lokalteil konzipiert. Nachdem dieser am 3. November 1980 erstmals erschien, dauerte es nur sechs Wochen und es brach die heftigste linke soziale Bewegung los, die Westberlin seit der Revolte der Studierenden und Jugendlichen in den Jahren 1968 und 1969 erlebt hatte.
Für die taz war das ein unerwarteter Glücksfall. Ihre Redakteur*innen hatten enge Beziehungen zu den Besetzern, etliche von ihnen waren selbst welche. In der Zeitung tobte auch der Kampf zwischen Mollis und Müslis, Punks und Hippies, Militanten und Verhandler*innen, die die Häuser für alternatives Leben sichern wollten.
In der taz stand, was wichtig war im Häuserkampf. Der Berliner Innensenator schickte abends einen Personenschützer in eine linke Szenekneipe, um von einem Handverkäufer ein Exemplar der Ausgabe des nächsten Tages zu ergattern. Er wollte so früh wie möglich wissen, was bei den Hausbesetzer*innen los war.
Aus Anlass von 40 Jahren taz Berlin diskutieren am Freitag, 6. November, 19.30 Uhr, Monika Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, mit Kultursenator Klaus Lederer (Linke) über die Frage, ob Berlin eine „linke Stadt“ ist und wie sich das ausdrückt. Die Debatte wird live gestreamt. Mehr Infos hier.
Der zweite Paukenschlag zum Auftakt der 80er-Jahre erfolgte gut vier Wochen nach der Randalenacht: am 15. Januar 1981 im Rathaus Schöneberg. Die SPD hatte in Westberlin seit 1955 den Regierenden Bürgermeister gestellt. Jetzt hatte Dietrich Stobbe neue Senatsmitglieder für seine Koalition mit der FDP zur Wahl präsentiert, aber sie waren im Abgeordnetenhaus durchgefallen. Stobbe trat zurück.
Vorausgegangen war die stückweise Enthüllung eines klassischen Berliner Bauskandals: Der Stararchitekt Dietrich Garksi hatte mit Krediten, die mit Bürgschaften des Landes Berlin abgesichert waren, in Saudi-Arabien Militärakademien bauen wollen. 115 Millionen Mark waren im Wüstensand versickert, Garski war spurlos verschwunden.
Im Mai 1981 wurde daraufhin die CDU mit Richard von Weizsäcker an der Spitze erstmals stärkste Partei in Westberlin. Die Achtzigerjahre entwickelten sich, politisch gesehen, zum schwarzen Jahrzehnt.
Law-and-Order-Propaganda
Dafür waren auch die Besetzer verantwortlich. Anfangs stießen sie wegen ihrer entschlossenen Opposition zu der verfehlten Wohnungspolitik auf viel Sympathie. Unterstützung erfuhren sie auch von den aufstrebenden Grünen, die damals in Berlin Alternative Liste hießen. Aber je militanter sie auf den Straßen kämpften, um Räumungen zu verhindern, umso mehr verfing die Law-and-Order-Propaganda der etablierten Medien.
Die CDU hatte im Wahlkampf versprochen, mit den Besetzer*innen aufzuräumen. Doch am 22. September 1981, bei der ersten größeren Räumaktion von acht Häusern, kam der 19-jährige Klaus-Jürgen Rattay aus Kleve bei einem Polizeieinsatz zu Tode. Daraufhin suchte der CDU-Senat ernsthaft nach Möglichkeiten, wie Besetzer*innen in ihren Häusern bleiben konnten, auch wenn damit ihr Hausfriedensbruch legalisiert wurde.
Wichtigstes Ding der 80er: Der Pflasterstein, mineralogisch gesehen eine Grauwacke. Diese Mosaikpflastersteine lagen in den meisten Bürgersteigen der Stadt, ließen sich mit einem Schraubenzieher herausziehen und als Wurfgeschoss zweckentfremden. Wichtige Waffe der Hausbesetzer bei Straßenschlachten. Auf die Dauer Symbol eines Kultes der Militanz, der sich verselbstständigte.
Zitat der Dekade: „Ich geh kaputt, gehst du mit?“ Sogenannter Spontispruch, wurde auf viele Hauswände gesprüht.
Überschrift der Dekade: „Ein historischer Tag: DDR öffnet die Mauer. Momper: Kommt bitte mit der S-Bahn.“ 10. November 1989: der Regierende Bürgermeister befürchtete ein Verkehrschaos
Ort: Der absurde Potsdamer Platz mit Tempodrom, Magnetbahn, Weinhaus Huth und ein paar Baracken.
Datum: 1. Juli 1988: Besetzer*innen des Lenné-Dreiecks fliehen über die Mauer vor der Westberliner Polizei nach Ostberlin. (taz)
Die Bewegung der Besetzer*innen machte die 80er zu einem Jahrzehnt der Konfrontation. Berufsberliner*innen gegen Chaoten; Bürger*innen, BZ- und Bild-Leser*innen gegen Punks, Hippies und Autonome. Brennende Barrikaden, Blaulicht, Steine und Polizeiknüppel wurden Teil des Images von Westberlin. Der Krawall und die Plünderungen in Kreuzberg am 1. Mai 1987 bildeten dabei das Ende dieser Jahre der Straßenschlachten. Das Datum markiert zugleich den Beginn eines neuen politischen Rituals.
Im Herbst 1984 räumten Polizist*innen das letzte besetzte Haus, den letzten „rechtsfreien Raum“. Die Bewegung war inzwischen von inneren Spaltungen gezeichnet und nicht zuletzt durch zunehmende Repression, durch Strafverfolgung gegen Tausende, gebrochen und resigniert.
Nach späteren Senatsangaben wurden von 169 Anfang der 1980er besetzten Häusern 76 durch Verträge legalisiert, 68 von der Polizei geräumt; die übrigen freiwillig aufgegeben. In den meisten der dem Kreislauf der Spekulation entzogenen Häusern leben heute Mieter*innen von Genossenschaften. Sie bezahlen monatlich lediglich zwischen 1 Euro und 5 Euro Kaltmiete.
Die Ermordung der alten Stadt gestoppt
Von heute aus betrachtet haben sich die Häuserkämpfer*innen große Verdienste um die physische Stadt erworben. Sie haben dafür gesorgt, dass die Ermordung der alten Stadt weitgehend gestoppt wurde, dass zum Beispiel kein Autobahnkreuz auf dem Kreuzberger Oranienplatz aufbetoniert wurde, dass Altbauten nicht weiter blockweise gesprengt und abgeräumt wurden. Statt „Flächensanierung“ hieß die hart erkämpfte neue Devise fortan „behutsame Stadterneuerung“.
Als der weltläufige Freiherr von Weizsäcker 1984 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, folgte ihm „Ebi aus’m Wedding“ als Regierender Bürgermeister nach, Eberhard Diepgen. Die Übergabe entsprach dem Bedeutungsverlust Westberlins in den 80er Jahren: Lange Zeit die bedrohte Insel im roten Meer, Blockade und Kubakrise, jetzt leicht surreale Halbstadt im Abseits.
Westberlin hing finanziell am Tropf, die Subventionen mussten fließen, sonst wären die Lichter ausgegangen. In den 80ern kamen über die Hälfte der Berliner Jahreshaushalte vom Finanzministerium in Bonn, 1989 waren das rund 13 Milliarden Mark. Die Industriearbeitsplätze verschwanden dennoch, die Bevölkerungszahl nahm ab. Viele, die eine traditionelle Karriere machen wollten, gingen als Wirtschaftsmigranten gen Westen. Nach Westberlin kamen neben Zehntausenden von wehrunwilligen jungen Männern auch Figuren, die abzocken wollten.
Am besten funktionierte die Privatisierung von Staatsknete beim hochsubventionierten Bauen. Im November 1985 verhaftete die Kriminalpolizei den Charlottenburger CDU-Baustadtrat Wolfgang Antes. Bauunternehmer, die von seinem Amt Genehmigungen bekommen hatten, räumten ein, Antes mit insgesamt 600.000 Mark bestochen zu haben. Er wurde 1986 zu fünf Jahren Haft verurteilt – die er allerdings als Schwerbehinderter nicht absitzen musste.
Im Zuge das Antes-Skandals mussten die stramm rechten CDU-Senatoren Heinrich Lummer und Klaus Franke zurücktreten. Und es wurde bekannt, dass auch der Regierende Bürgermeister Diepgen 75.000 Mark in bar von einem Bauunternehmer angenommen hatte, in einem neutralen Umschlag. Wo die illegale Parteispende letztlich landete, ist nie aufgeklärt worden.
Auch ein paar SPD-Politiker hatten wieder illegale Parteispenden kassiert. Aber im Vergleich mit der Gier der korrupten CDU-Männer waren sie Waisenknaben. In Sachen Berliner Sumpf, Filz und Korruption hatte die Berliner CDU sich in drei, vier Jahren mehr geleistet, als die SPD in fünfundzwanzig.
Der Strippenzieher blieb im Amt
Dass der Axel Springer Verlag schließlich seine Reporter*innen abzog, die über den Antes-Skandal recherchierten, um den CDU-Senat und das Westberliner Image zu schützen, führte dazu, dass nie alles aufgedeckt wurde. Der starke Mann der Westberliner CDU, Klaus-Rüdiger Landowsky, konnte bis zum Bankenskandal im Jahr 2001 weiter Strippen ziehen.
Besonders amüsierte sich die Stadt während des Antes-Skandals über das CDU-Parteimitglied Otto Schwanz. Der war – nomen est omen – tatsächlich Zuhälter und Bordellbesitzer. Schwanz hatte Parteifreund Antes 50.000 Mark Schmiergeld gezahlt und bei anderen Kunden des Stadtrats Schmiergeld eingetrieben. Der Lude mit seiner Tornadobrille und der blonden Matte – Vokuhila: vorne kurz, hinten lang – war in seinem provinziellen Mittelmaß ganz Westberlin.
Otto Schwanz wurde schnell aus der CDU ausgeschlossen. Dennoch erlitt die Regierungspartei zwei Jahre später im Januar 1989 bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus eine heftige Niederlage. Sie verlor mehr als 8 Prozent und der Sozialdemokrat Walter Momper konnte einen rot-grünen Senat bilden.
Der Aufstieg der Grünen und der taz und ihres Berlin-Teils verlief weniger parallel als gleichzeitig und aus ähnlichen Gründen. Mehr und mehr 68er und jüngere Alternative kamen auf dem von Rudi Dutschke propagierten „Marsch durch die Institutionen“ in der Stadt und ihrer Gesellschaft an.
Und die Redakteur*innen des taz-Lokalteils, die in viel direkterem Kontakt mit den Protagonist*innen ihrer Berichterstattung und mit ihren politischen Gegnern*innen standen als die Kolleg*innen in der überregionalen Redaktion, wechselten reihenweise aus der linksradikalen Szene in das sich liberalisierende Establishment der Halbstadt. Der Weg aus der taz-Berlin-Redaktion in die Pressestelle einer Senatsverwaltung war nichts Ungewöhnliches.
„taz lügt“
Die Autonomen, die sich im Häuserkampf gefunden hatten, reklamierten die taz vergeblich als ihre Zeitung und wandten sich enttäuscht ab. „taz lügt“ hieß es auf etlichen Kreuzberger Hauswänden. Redakteur*innen wie Gerd Nowakowski, der die Autonomen kritisierte, wurden von ihnen zusammengeschlagen oder bekamen eine scharfe Patrone zugeschickt. Die Solidarität mit Nowakowski in der taz hielt sich allerdings in Grenzen. Der müsse sich doch nicht wundern, wenn er so was schreibe, meinten Kolleg*innen, die aus sicherer Entfernung mit den Militanten sympathisierten.
In einer Reminiszenz an den legendären Besuch John F. Kennedys forderte der US-Präsident Ronald Reagan im Juni 1987 am Brandenburger Tor: „Mr. Gorbatschow, tear down this wall!“ Als es dann geschah am 9. November 1989 begann ein neues Berlinkapitel: das der Übernahme der Hauptstadt der DDR.
In puncto Ostberlin war die taz-Berlin-Redaktion ihrer Zeit voraus. Zwei Jahre vor dem Fall der Mauer produzierte sie Ostberlin-Seiten, mit Berichten über oppositionelle Gruppen und deren Aktivitäten. Von dem ausgebürgerten Jenaer Rebellen Roland Jahn instruiert, reisten taz-Redakteur*innen ein, nahmen Kontakt zu Oppositionellen auf und berichteten über das Milieu, das bald den Kollaps der DDR initiieren sollte.
Was die tazler*innen nicht wussten: In der Redaktion spionierte ein Volontär und Ex-Terrorist für die Stasi und meldete die Pseudonyme und Reisepläne der klandestinen Ostberlin-Reporter*innen fleißig der Staatssicherheit. Aufgrund der Tipps von Till Meyer verhängte die Stasi ein Einreiseverbot. So etwas gab es in den 80ern auch nur in der taz.
Die zwölfseitige Sonderausgabe zu 40 Jahren taz Berlin erscheint als Teil der Print-Wochenendzeitung am Samstag, 7. November. Darin u. a. außerdem: Ein Blick auf das schwierige Verhältnis zwischen Polizei und der Redaktion und ein Doppelinterview mit jenen, die die Stadt am längsten regierten: Eberhard Diepgen und Klaus Wowereit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen