Rot-rot-grünes Sondierungsgespräch: Das wird keine Liebesheirat
Abgeordnete der drei Parteien diskutieren über mögliche Bündnisse. Schuldzuweisungen unterbleiben, aber Sympathie sieht anders aus.
Es war ein Coup ganz nach Sigmar Gabriels Geschmack. Ein nüchtern eingerichteter Saal im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin-Mitte, rund 100 Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken drängeln sich zu Stühlen, plaudern und versorgen sich mit Schokokeksen und Filterkaffee. Das klandestin geplante Treffen ist etwas Neues, erstmals wird in so großer Runde über Rot-Rot-Grün gesprochen. Könnte ein Linksbündnis im Jahr 2017 Merkel ablösen – und wenn ja, wie?
Gekommen ist die zweite Reihe. Die Generalsekretärin der SPD ist da, die Bundesgeschäftsführer von Grünen und Linken auch, dazu mehrere Vizevorsitzende aus den Fraktionen. Die Bosse, also die Partei- und Fraktionschefs, sollten eigentlich außen vor bleiben. Bis, nun ja, bis der Vizekanzler mit schnellen Schritten und einem breiten Lächeln im Gesicht an den Kameras der wartenden Journalisten vorbeieilt. Im Saal lässt sich der Überraschungsgast in den Stuhl neben Claudia Roth fallen. Schon nach einer halben Stunde, nach einem Vortrag des Sozialphilosophen Oskar Negt, rauscht Gabriel wieder hinaus – „Akten lesen“.
Die Botschaft ist offensichtlich. Gabriel adelt das bis dahin mäßig spannende Kennenlerntreffen mit seiner Anwesenheit – und hievt es so in die Schlagzeilen. Der SPD-Chef, der Merkel bei der Bundestagswahl 2017 vermutlich selbst herausfordern wird, blinkt links. Und er will, dass das auch jeder mitbekommt. Gabriel bräuchte als SPD-Kanzlerkandidat eine Machtoption, um Wähler und Medien zu interessieren. Rot-Rot-Grün ist die wahrscheinlichste, auch wenn die Umfragen diese Hoffnung derzeit kaum hergeben.
Die uralte, vom Hauch der Vergeblichkeit umwehte Diskussion über Rot-Rot-Grün im Bund erlebt seit einiger Zeit eine Renaissance. Die Bündnisoption, die lange Zeit wegen tiefer Aversionen der Beteiligten als unmöglich galt, scheint plötzlich denkbar. Geht da was bei Rot-Rot-Grün?
Bekannte Skeptiker
Das Treffen der 100 ist bewusst flügelübergreifend angelegt, aus allen Parteien ließen sich bekannte Skeptiker blicken. Mehrere SPD-Abgeordnete nahmen teil, die zum pragmatischen Seeheimer Kreis gehören – zum Beispiel Fraktionsgeschäftsführerin Dagmar Ziegler. Bei den Grünen saß neben Bundesgeschäftsführer Michael Kellner oder Exfraktionschef Jürgen Trittin auch Dieter Janecek, Wirtschaftspolitiker und Koordinator des Realoflügels. Und bei den Linken gab sich Klaus Ernst die Ehre, der früher als Parteichef lautstark gegen die SPD polemisierte.
Wie genau die Debatte lief, erfährt man nur in Telefonaten mit Beteiligten. Die Journalisten wurden vor Beginn gebeten, den Saal zu verlassen. Die Geheimniskrämerei erscheint einigermaßen absurd, zumal dann hinter verschlossenen Türen allseits betont wurde, wie wichtig die gesellschaftliche Debatte über Machtoptionen jenseits der Union sei.
Wie auch immer, den intellektuellen Rahmen zeichnete der Sozialphilosoph Oskar Negt. „Würdig, gemessen und ernsthaft“ habe Negt die Parteien zum Handeln aufgefordert, berichteten Teilnehmer. Jene müssten Handlungsfelder für eine andere Politik erschließen. Gleichzeitig mahnte er auch seine Zunft. Die Intellektuellen seien gefordert, sie müssten ein solches Projekt begleiten. Schon zuvor hatte Negt in einem Pressegespräch SPD, Grünen und Linken ins Gewissen geredet. „Es ist notwendig, die politische Sprache wiederzufinden, die den Linken enteignet wurde.“ Negt sprach vom Gefühl, nicht mehr vom Sozialismus reden zu dürfen, weil dieser gescheitert sei. Menschen müssten aber Träume und Utopien äußern dürfen.
So hoch war die Flughöhe der Abgeordnetendiskussion dann doch nicht. „Der Tonfall war freundlich, nüchtern und nachdenklich“, fasste der Grüne Kellner seinen Eindruck zusammen. „Keiner hat dem anderen Vorwürfe gemacht, die üblichen Spielchen unterblieben.“ Das kann man von der Praxis des täglichen Umgangs miteinander nicht gerade behaupten. Nach wie vor stehen sich die drei Parteien links der Mitte im gelebten, medial öffentlichen Alltag misstrauisch gegenüber.
Differenzen betont
Differenzen werden betont, nicht die Gemeinsamkeiten. Provokante Thesen von Einzelpersonen werden von den Möchtegernpartnern gerne zum Anlass genommen, die jeweilige Partei pauschal zu verdammen. Zu beobachten ist das immer wieder, zuletzt, als Linke-Chefin Katja Kipping dem Verfassungsgericht in einem peinlichen Tweet „Klassenjustiz“ vorwarf. Selbst bei simplen Lockerungsübungen hakt es, SPD, Linke und Grüne klatschen im Bundestag auch dann nicht füreinander, wenn sie in der Sache übereinstimmen.
Bei dem Treffen machten mehrere Teilnehmer aber einen anderen Ton aus. So habe es etwa eine Akzeptanz für die unterschiedlichen Rollen gegeben. „Rot-Rot-Grün wäre keine Liebesheirat“, sagte Kellner. Er halte nichts davon, diese Option mit verzückten Augen herbeizuwünschen. „SPD, Grüne und Linke haben unterschiedliche Rollen und müssen unterschiedliche Milieus bedienen.“
Über allem schwebte die Bedrohung von rechts. Die AfD könnte in den nächsten Bundestag einziehen. „Viele von uns teilen eine große Sorge darüber, was in Deutschland und Europa gerade passiert“, sagte Linken-Fraktionsvize Jan Korte. Die drei Parteien seien unterschiedlich. „Aber man wird sozusagen zusammengeschoben durch die bedrohliche Situation.“ Das koordinierte Gespräch soll jedenfalls weitergehen und verstetigt werden. Ein nächstes Treffen Mitte Dezember ist angesetzt.
Es ist nicht zu übersehen: Vor allem in der Sozialdemokratie tut sich etwas in Sachen Rot-Rot-Grün. Gabriel setzte sich just nach dem Treffen in kleinerem Kreis mit einigen Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken zusammen, die sich seit Jahren mit den Perspektiven einer solchen Konstellation beschäftigen. Im Restaurant „Paris–Moskau“, nur eineinhalb Kilometer von dem Bundestagssaal entfernt, ging es ebenfalls um Gemeinsamkeiten – und Trennendes. Der „gute Austausch“, über den sich der SPDler Sönke Rix später auf Twitter freute, ist ebenfalls ein Wink mit dem Zaunpfahl. Alle Beteiligten gehören zu einem Kreis um die „Denkfabrik“, einem SPD-Thinktank, in dem sich jüngere und linke Abgeordnete organisiert haben. Jene diskutieren seit Jahren über Strategien und Inhalte für Rot-Rot-Grün.
Alle ganz freundlich
Überhaupt ist die Kommunikation der SPD in Sachen Linksbündnis seit Monaten erstaunlich freundlich. Gabriel selbst warb im Juni im Spiegel: „Deutschland braucht jetzt ein Bündnis aller progressiven Kräfte.“ Fraktionschef Thomas Oppermann, der zum rechten SPD-Flügel gehört, bringt in Interviews auffällig oft den Satz unter, es sei an der Zeit, über die Voraussetzungen von Rot-Rot-Grün im Bund zu diskutieren. Und Generalsekretärin Katarina Barley findet immer mal wieder ein freundliches Wort für die Linkspartei. Da passen Formate wie das Abgeordnetentreffen nur ins Bild.
Angela Marquardt, Geschäftsführerin der SPD-Denkfabrik, zog am Mittwoch dieses Fazit: „Die Diskussion über Rot-Rot-Grün ist in der Mitte der SPD angekommen.“ Die Basis des Austauschs verbreitere sich, was sie freue. Hinter der neu erwachten Sympathie der SPD für ein Linksbündnis steckt auch die Sorge der SPD-Spitze angesichts der AfD-Erfolge. In den Analysen der vergangenen Landtagswahlen ist klar erkennbar, dass viele ehemalige SPD-Wähler zu den Rechtspopulisten überlaufen. Ein kantigeres Profil, so die Hoffnung von Gabriel und Co., könne dem entgegenwirken.
Hinzu kommt der Verdruss an der Großen Koalition. „Unsere Leute sind müde“, sagte ein gut vernetzter SPD-Abgeordneter. „Sie sehnen sich nach etwas Neuem.“ Im Wahlkreis bekämen die Abgeordneten von ihren Nachbarn um die Ohren gehauen, was alles falsch liefe – und in Berlin fordere Oppermann dann Disziplin. „Dieser Spagat reibt die Leute auf.“
Vielleicht sind das alles keine schlechten Nachrichten für die Rot-Rot-Grün-Fans in den Parteien. Jahrelang haben sie begeistert, aber erfolglos für diese Option geworben. Die allgemeine Ernüchterung könnte genau der Impuls sein, den dieses Bündnis braucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers