Rot-Rot-Grün in Berlin: Mächtige Probleme
Die SPD ist die stärkste Partei der rot-rot-grünen Koalition. Auf ihrer Klausur – an diesem Wochenende in Erfurt – muss sie dringend ein paar Fragen klären.
Unverzichtbar zu sein ist ein schönes Gefühl – regieren zu müssen hingegen ist furchtbar. In diesem Dilemma befindet sich die Berliner SPD.
Noch schlimmer ist, dass man den Sozialdemokraten das anmerkt. Seit sechs Wochen erst bilden sie eine Koalition mit Linkspartei und Grünen. Doch es läuft wenig zusammen. Und was zusammen läuft, wird zerredet. In aller Regel von jemandem aus der SPD.
Darüber wiederum werden die Genossen reden müssen. An diesem Wochenende haben sie viel Zeit dafür: Seit Freitagnachmittag hat sich die Fraktion inklusive Senatoren und dem Regierenden im Hotel Mercure in Erfurt einquartiert. Bis Sonntag wird diskutiert, u. a. über so wohlklingende Themen wie „Strategische Projekte für Berlin“. Und sicher auch über das Selbstverständnis der SPD selbst.
Das ist erschüttert seit der Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Die Sozialdemokraten sind daraus als Gewinner und Verlierer hervorgegangen: Michael Müller holte als Partei- und Regierungschef mit 21,8 Prozent das schlechteste Berlin-Ergebnis seit 1946. Gleichzeitig blieb die SPD stärkste Partei. Müller feierte das damals als Sieg. Viele Genossen sahen – und sehen – das anders.
Die SPD, die jetzt mit Linken und Grünen regiert, hat sich noch nicht entschieden, welcher Lesart sie folgen soll: ob sie es gerade noch mal geschafft hat oder ob sie als Loser zwischen zwei Kreativpartnern steht, die sie munter vor sich hertreiben. Die SPD weiß schlicht noch nicht, welche Rolle sie einnehmen soll.
Bei Linken und Grünen ist das geklärt – was überrascht, hatte man doch noch während der Koalitionsverhandlungen eher damit gerechnet, dass die Juniorpartner durch ihre Unsicherheit angesichts geringerer Regierungserfahrung das Bündnis zum Wackeln bringen könnten.
Doch die Grünen haben sich auf ihre inhaltlichen Kernfelder zurückgezogen und bereiten ziemlich lautlos ziemlich tief greifende Veränderungen vor. Und die Linke will offenbar die Fehler aus ihrer Regierungsbeteiligung zwischen 2006 und 2011 wettmachen, als sie die Augen vor der aufkommenden Gentrifizierung und Wohnungsnot verschloss. Jedenfalls hat sich die Partei mit ihren Senatorinnen bei den Brennpunktthemen Wohnen und Soziales viel vorgenommen. So viel, dass man weniger die Frage stellt, ob sie damit scheitert, als vielmehr die, wann.
Das lange Festhalten der Linken an ihrem stasivorbelasteten Staatssekretär Andrej Holm hat seinen Teil zum Missraten des Starts von Rot-Rot-Grün beigetragen. Die wirklichen Ursachen liegen aber tiefer. Es geht – wie im Vorfeld nicht anders erwartet – um die Atmosphäre, um die Kommunikation zwischen den drei Partnern, die noch längst keine sind. Um den Mangel an Vertrauen zueinander. Was insbesondere an der SPD liegt.
Denn während Linke und Grüne nach vorne blicken, schauen die Sozialdemokraten auf die eigenen Reihen. Und versuchen, sich zu profilieren. Das ist nötig, keine Frage. Natürlich muss die SPD unterscheidbar bleiben von den linken Koalitionspartnern. Aber sie tut das auf Kosten der Koalition und sogar ihrer eigenen Leute. Wenn auf dem ersten Koalitionskrisengipfel wegen der Causa Holm Mitte Dezember Vertraulichkeit vereinbart wird und tags darauf fast im Wortlaut in der Zeitung steht, was passiert ist und wer was gesagt hat, darf man sich über Unmut bei Linken und Grünen nicht wundern. Wenn ein SPDler twittert: „Die Linke kann mich mal“, auch nicht.
Und wenn SPD-Fraktionschef Raed Saleh, wie vergangene Woche geschehen, drei Tage nach einem mühsam ausgehandelten Kompromiss in Sachen innerer Sicherheit diesen ohne Absprache im Parlament infrage stellt und damit nicht nur Linke und Grüne, sondern auch Teile der eigenen Fraktion und den eigenen Innensenator brüskiert, hat das nichts mit Profilbildung der SPD an deren rechten Rand zu tun. Es stiftet vor allem Verwirrung, was die Partei will: regieren oder Opposition machen?
Und es stellt darüber hinaus die Koalition selbst infrage. Wo die Meldung: „SPD-Fraktionschef steht zu Rot-Rot-Grün“ zur Nachricht wird, ist die Schizophrenie politisches Konzept.
Angesichts der Machtverhältnisse im Abgeordnetenhaus wirkt dieser Eiertanz noch absurder. Kein SPD-Abgeordneter kann ernsthaft daran denken, die Koalition platzen zu lassen: Es gibt schlicht keine andere realistische Koalitionskonstellation. Ein K. o. wäre politischer Suizid, ein Beweis der politischen Handlungsunfähigkeit. Wahrscheinlich mit lang anhaltender Wirkung: Die nächste Wahl würde die SPD dann wohl nur noch verlieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands