Rom*nja-Künstlerin über Frauen: „Gegen Stereotype arbeite ich an“
Małgorzata Mirga-Tas' Kunst trifft in einer Berliner Ausstellung auf deutschen Expressionismus. Ein Gespräch über Freundinnen, Nacktheit und den Genozid.
Das Jahr 2022 war ein wichtiges Jahr für Małgorzata Mirga-Tas. Sie zeigte ihre Arbeiten auf der documenta und bespielte bei der Biennale in Venedig als erste Rom*nja-Künstlerin überhaupt einen Länderpavillon, den polnischen. Derzeit ist sie DAAD-Stipendiatin in Berlin, wo sie jetzt ihre erste Einzelausstellung in Deutschland eröffnete: Im Brücke-Museum treffen ihre farbenfrohen Textilcollagen auf Bilder der Expressionisten und deutsche Geschichte.
taz: Frau Mirga-Tas, mit Ihren Bildern geben Sie Einblicke in das Leben Ihrer Familie und der Rom*nja-Community, zum Beispiel beim Kartenspielen am heimischen Tisch. Warum?
Małgorzata Mirga-Tas: Ich will die Kultur meiner Community zeigen und ihre Geschichte erzählen. Ich will zeigen, dass es starke und mutige Menschen in dieser Community gibt. Und vor allem, dass Rom*nja ganz normale Menschen sind wie andere auch. Wenn sie in ihren Häusern zu sehen sind, ist das auch eine Gegendarstellung zum Klischee des Nomadenvolkes. Die Community des polnischen Ortes Czarna Góra etwa, wo ich herkomme, hat sich dort schon vor langer Zeit niedergelassen. Gegen solche Stereotype arbeite ich an. Die Kunst ist dafür ein probates Mittel – immerhin hat sie diese Stereotype selbst über Jahrhunderte befeuert. Ein Beispiel sind die Radierungen des französischen Grafikers Jacques Callot aus dem 17. Jahrhundert, auf denen auch meine Serie „Out of Egypt“ basiert.
In dieser Serie deuten Sie die Grafiken Callots selbstermächtigend um, in farbenfrohen und an die Historienmalerei erinnernden Tapisserien. Die Serie war auf der documenta fifteen zu sehen. International erfährt Ihre Arbeit jetzt viel Aufmerksamkeit. Wie ist das in Polen, woher Sie selbst kommen?
Małgorzata Mirga-Tas (*1978 in Zakopane, Polen) studierte an der Kunsthochschule in Krakau. 2022 repräsentierte sie Polen auf der Biennale in Venedig und war auf der documenta fifteen vertreten.
Das stimmt, mich erreichen gerade sehr viele Ausstellungsanfragen. Aus Polen aber, gerade aus größeren Museen, kommen keine. Das war übrigens auch schon früher so. Ich musste mir anhören, meine Arbeiten gehörten ins ethnografische Museum und nicht ins Kunstmuseum. Die Situation ist schwierig. Ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass es nicht willkommen ist, sich zu den aus der Ukraine geflohenen Rom*nja zu äußern, die in Polen ankommen. Doch das ist wichtig, denn sie werden schlechter behandelt als andere Geflohene und sind auf Hilfe aus der Community angewiesen. Und die kann Hilfsorganisationen wiederum nur mit Spendengeldern aus dem Ausland betreiben.
Sie haben in Czarna Góra ein Programm für Roma-Künstler*innen initiiert.
Ja, schon 2011. Das Programm heißt „Jaw Dikh!“. Jedes Jahr kommen Künstler*innen aus Polen und anderen Ländern zu Arbeitsaufenthalten, auch bekannte, Delaine le Bas war zum Beispiel schon da. Wir tauschen uns aus, arbeiten zusammen, zeigen Ausstellungen. Es ist vor allem ein Angebot für Rom*nja-Künstler*innen, aber auch für andere marginalisierte Künstler*innen, etwa aus der polnischen LGTBIQ-Community.
In Ihren Bildern verarbeiten Sie bunt bedruckte und kunstvoll bestickte Textilien. Woher kommen die Stoffe?
Viele der Kleidungsstücke sammle ich in meinem direkten Umfeld, zum Beispiel bei meiner Mutter oder Freundinnen. Oft nutze ich auch die Kleidungsstücke derjenigen, die ich porträtiere. So entstehen sehr persönliche Arbeiten.
Sie zeigen vor allem Frauen – aus ihrer Familie, Freundinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen. Warum der Fokus auf Frauen?
Ich bin in einer patriarchalen Umgebung aufgewachsen, in der Frauen die ganze Arbeit machen, Männer aber die Entscheidungen treffen. Ich habe schon immer gegen dieses System aufbegehrt, zum Beispiel, indem ich mir die Haare kurz schnitt. Als ich nach meinem Kunststudium in Krakau zurück nach Czarna Góra kam, war mir klar: Ich will die mutigen Frauen aus meiner Community zeigen, diejenigen, die etwas verändern.
Eine solche Frau war auch Zilly Schmidt. Sie wurde in einer Thüringer Sinti-Familie geboren und überlebte das Vernichtungslager Auschwitz, während viele ihrer Verwandten, darunter ihre 3-jährige Tochter, ermordet wurden. Im hohen Alter legte Sie öffentlich Zeugnis ab. Für Ihre Ausstellung im Brücke-Museum haben Sie ein mehr als drei mal zwei Meter großes Porträt von ihr geschaffen, das draußen an der Fassade hängt. Erst im vergangenen Jahr starb Zilly Schmidt. Kannten Sie sie vor der Arbeit an der Ausstellung?
Nicht persönlich. Aber mit dem Völkermord an den europäischen Rom*nja und Sinti*zze habe ich mich schon in einigen Projekten zuvor beschäftigt. Teil des großen Freskos, das ich für die Venedig Biennale geschaffen habe, war ein Porträt von Alfreda Markowska, einer polnischen Romni, die Widerstand gegen die Nazis leistete und zahlreiche jüdische und Kinder von Rom*ja rettete. In einer Ausstellung, die dieses Frühjahr in der Göteborgs Konsthall zu sehen war, habe ich die tragische Geschichte von Holocaust-Überlebenden thematisiert, die als Rom*nja in Schweden nicht willkommen waren. Auch wenn ich diese Menschen nicht persönlich kannte, fühle ich mich ihnen verbunden. Wir sind eine transnationale Community, teilen eine Geschichte und auch das Trauma des Genozids, das fühlen wir bis heute.
In der Berliner Ausstellung beziehen sich einige Ihrer neuen Arbeiten auf fotografische Porträts von Rom*nja aus dem Zwangslager Berlin-Marzahn. Dort wurden 1.200 Berliner Rom*nja und Sinti*zze zur Zwangsarbeit gezwungen, viele später nach Auschwitz deportiert.
Małgorzata Mirga-Tas: „Sivdem Amenge. Ich nähte für uns. I sewed for us“, Brücke-Museum Berlin, bis 3. September
Mir war es wichtig, den Berliner Kontext einzubeziehen. Bei der Recherche stießen wir dann auf diese Fotos unbekannter Frauen aus dem Lager, über deren Schicksal wir weiter nichts wissen. Meine Adaption in bunten Textilcollagen zeigen sie ganz anders, streifen den rassistischen und ethnografischen Blick ab, der in die Schwarz-Weiß-Aufnahmen eingeschrieben ist.
Einen solchen Blick warf auch der Expressionist Otto Mueller, der zur Brücke-Künstlergruppe gehörte, auf Rom*nja und Sinti*zze. In der Ausstellung zeigen Sie eine Mappe von Mueller mit solchen Darstellungen aus dem Jahr 1927, allerdings zugeklappt. Mit der Arbeit „Morning Tea“ reagieren Sie auf eine Lithografie aus dieser Mappe. Was zeigen Sie?
Als mir Lisa Marei Schmidt, die Direktorin des Museums, die Mappe zeigte, hat mich besonders die darin enthaltene Darstellung zweier nackter Frauen berührt. Nacktheit ist in unserer Kultur ein Tabu. Die Exotisierung und Sexualisierung auf diesen Bildern funktioniert ganz ähnlich wie auf den Fotos aus dem Marzahner Zwangslager. Sie basieren auf jahrhundertelang kolportierten Stereotypen. Meine farbige Textilcollage zeigt ebenfalls zwei Frauen beim Teetrinken, allerdings vollständig angezogen und in häuslicher Umgebung. Mir ging es darum, den Frauen ihre Würde wiederzugeben. Ich musste daran denken, dass meine Großmutter ungefähr in der Zeit aufwuchs, in der Otto Mueller diese Bilder schuf. Nacktheit war für sie undenkbar. Solche Bilder sind schmerzhaft. Mit meiner Kunst will ich ihnen etwas entgegensetzen.
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