Rom*nja-Aktivist über Antiziganismus: „Traumatisierende Erfahrungen“
In Berlin kommen Rom*nja zum Bundes-Roma-Kongress zusammen. Mitorganisator Kenan Emini über das Bleiberecht, Diskriminierung und den Kampf gegen rechts.
taz: Herr Emini, Sie organisieren den Bundes-Roma-Kongress, der am Wochenende in Berlin stattfindet. Sind Sinti*zze nicht eingeladen?
Kenan Emini: Natürlich sind auch alle Sinti eingeladen. Aber der Fokus liegt beim Kongress auf den migrantischen Roma. Es geht um die hunderttausenden Menschen hier in Deutschland, die bisher kaum sichtbar sind.
Während Sinti*zze schon seit Jahrhunderten in Westeuropa und auch Deutschland leben, stammen Rom*nja überwiegend aus Ost- und Südost-Europa. Vor welchen Problemen stehen sie?
arbeitet beim Roma Center Göttingen und beim Roma Antidiscrimination Network. Er organisiert den Bundes-Roma-Kongress mit.
Ein großes Thema ist das Bleiberecht. Viele Roma leben zwar schon sehr lange in Deutschland, haben aber keine deutsche Staatsbürgerschaft, teils sind sie seit Jahrzehnten bloß geduldet. Ihnen droht ständig die Abschiebung. Wir fordern, dass Roma aus Ost- und Südost-Europa hier über eine Kontingentlösung dauerhafte Bleibeperspektiven bekommen.
Also eine Regelung, wie es sie für Juden*Jüdinnen aus den ehemaligen Sowjetstaaten ab den Neunzigerjahren gab, die erlaubte, relativ einfach nach Deutschland einzuwandern?
Genau. Roma sind die vergessenen Opfer des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung durch Nazideutschland und seine Verbündeten fand europaweit statt.
Viele der Rom*nja in Deutschland sind vor dem russischen Angriff aus der Ukraine geflohen …
Roma sind dort nicht nur vom Krieg bedroht, sondern auch von massiver antiziganistischer Gewalt durch Ukrainer. Zwar haben sie in Deutschland im Moment einen Schutzstatus, aber wie lange der noch gilt, ist offen. Viele fürchten, dass sie am Ende doch abgeschoben werden.
Die Ampel verfolgt einen restriktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik. Wie trifft das Rom*nja?
Die Ampel hat unter anderem Moldau als sicheren Herkunftsstaat eingestuft, wie es die Vorgängerregierungen unter anderem mit Kosovo, Serbien und Mazedonien getan haben. Diese Länder sind aber für uns nicht sicher. Es gibt dort grausame Übergriffe gegen Roma. Das sollte Deutschland berücksichtigen, statt alle Schutzgesuche von dort pauschal abzulehnen und die Menschen abzuschieben.
Ist Antiziganismus nicht auch in Deutschland ein großes Problem?
Institutionelle Diskriminierung zieht sich in Deutschland durch alle Behörden. Es gab eine Zeit, in der wir dachten, in den Institutionen wachse das Bewusstsein für Antiziganismus. Aber zuletzt wurden die Schikanen wieder schlimmer, etwa bei den Jobcentern oder den Ausländerbehörden. Das sind oft traumatisierende Erfahrungen. Die Bürokratie hat unheimlich viel Macht über Menschen mit fragilem Aufenthaltsstatus und geringer gesellschaftlicher Repräsentanz.
Und die Polizei setzt sich weiterhin gern mit Razzien gegen Roma in Szene, zuletzt etwa am 9. April, als 200 Polizisten in einen Göttinger Gebäudekomplex eindrangen und alle Bewohner kontrollierten. Aber auch der Antiziganismus in der Gesamtgesellschaft tritt wieder deutlicher hervor.
Inwiefern?
Viele Roma haben keine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Sie werden abgewimmelt, sobald klar wird, dass sie Roma sind. Kinder erfahren an den Schulen viel Diskriminierung. In Deutschland muss niemand wirklich Angst haben, für Antiziganismus bestraft zu werden.
2021 präsentierte die Unabhängige Kommission Antiziganismus ihre Empfehlungen an Politik und Gesellschaft. Hat sich seitdem etwas getan?
Mit Mehmet Daimagüler gibt es jetzt einen Beauftragten gegen Antiziganismus. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Ansonsten gibt es aber kaum Verbesserungen. Wir müssen jetzt Druck machen, dass die Empfehlungen umgesetzt werden.
Haben Sie ein Beispiel für Maßnahmen, die helfen würden?
In den Balkanländern hat man gute Erfahrungen mit sogenannten Mediatoren an Schulen gemacht. Eine solche Betreuung verbessert die Bildungschancen für Kinder massiv. In ganz Deutschland gibt es derzeit aber nur ein paar solcher Mediatoren. Wie sollen wir da weiterkommen?
Was bedeuten die starken Umfrageergebnisse der AfD für die Rom*nja in Deutschland?
Die Community schaut sehr genau auf die Europawahl und die Landtagswahlen dieses Jahr. Wir haben jetzt schon große Probleme mit institutioneller Diskriminierung und Rassismus, das dürfte noch schlimmer werden, sollte es die AfD in Landesregierungen oder gar die Bundesregierung schaffen. Roma fürchten, dass sich die Geschichte wiederholt. Zu viele haben Angehörige, die während des Porajmos von Nazi-Deutschland ermordet wurden.
Für eine neue S-Bahn-Strecke will die Bahn am Mahnmal für die im NS ermordeten Roma in Berlin Bäume fällen und Baugruben ausheben …
Auch darum soll es beim Kongress am Wochenende gehen. Das Mahnmal bedeutet uns sehr viel: Es ist einer der wenigen Plätze, an dem an das Schicksal der Roma erinnert wird. Die Pläne der Deutschen Bahn und des Berliner Senats akzeptieren wir nicht. Wir werden das nicht zulassen.
Wir haben sehr viel über Probleme geredet. Wie kann der Kongress helfen?
Uns geht es um Selbstorganisation und Vernetzung, wir haben aber auch Gespräche mit Politikern von SPD, Grünen und Linken geplant. Auch beim Thema Rechtsextremismus wollen wir in die Tiefe gehen. Und wir wollen über die Umsetzung von Maßnahmen gegen Antiziganismus diskutieren.
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