Romaday in Berlin: Für mehr Sichtbarkeit
Am Romaday fordern Berlins Rom_nja mehr Teilhabe und beeindrucken mit Intersektionalität. Es gibt noch weitere spannende Veranstaltungen.
Das Motto der Parade „F*ck your Paradise“ spielt auf den ersten von Rom_nja organisierten Pavillon 2007 auf der Venedig-Biennale an. Der hieß „Paradise lost“.
Wo das Paradies ist, wer Teil davon ist und ob sich das überhaupt lohnt, war immer wieder Thema in Rede- und Liedbeiträgen und Diskussionen im Anschluss der Parade.
Die Anfangskundgebung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma wurde von zwei Jugendlichen der Theatergruppe „Wir sind hier“ moderiert. Trotz eher schlechten Wetters und hoher Coronazahlen waren etwa 200 Teilnehmer_innen vor Ort, die unter lauten „Opre Roma“ („Roma steht auf“)-Rufen, von dort zur Volksbühne zogen. Anmelder der Demo war Hamze Bytyci (Die Linke), der die Selbstorganisierung Roma-Trial vor 10 Jahren mitgegründet hat.
Das Spezifische an Rom_nja-Diskriminierung aus seiner Sicht? „Keiner hörts, keiner siehts, keiner weiß davon.“ Und darum ist Sichtbarkeit auch so ein großes Thema für die Community, darum gehen sie auf die Straße und fordern lautstark ihre Teilhabe ein.
„Werfen Sie Tomaten!“
Saraya Gomis, Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung in der Senatsverwaltung für Justiz, machte den Akteur_innen der Community gleich zu Anfang ein unkonventionelles Angebot: „Kommen Sie notfalls mit Tomaten vor die Senatsverwaltung und bewerfen uns damit, damit etwas voran geht.“
Wer die Romaday-Parade verpasst hat, kann sich auf „The Future Is A Safe Place Hidden In My Braids“ freuen, einen von Mihaela Drăgan geschaffenen Experimentalfilm, der die Ideen und Grundsätze des Roma-Futurismus aufgreift. Der Film läuft am 10. April um 13.30 Uhr im Acud macht neu.
Für die Community findet am 17.4. um 14:00 Uhr ein Empowerment-Workshop unter dem Titel Roma*, Sinti* und mentale Gesundheit statt. Dieses Angebot richtet sich explizit nur an Teilnehmende, die sich selbst als Rom_nja oder Sinti:zze bezeichnen.
Alle, die bis dahin noch nicht die Ausstellung „Still Hope in Paradise“ gesehen haben, haben am 1. Mai um 18 Uhr die letzte Chance bei der Finissage. Eine gute Gelegenheit, den Streiktag der Arbeiter_innenklasse und gleichzeitig auch den Abschluss der Veranstaltungsreihe rund um den Romaday zu feiern.
Das ganze Programm findet sich auf www.romaday.info.
Die Selbstorganisierung der Rom_nja hat den Vertreter_innen der Politik also einiges beigebracht. Am Vorabend hatte die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Katarina Niewiedzial, zur Podiumskussion geladen. Gemeinsam mit dem neu ernannten Antiziganismus-Beauftragten der Bundesregierung Mehmet Daimagüler, mit Violeta Balog von Amaro Foro, Milan Raković vom Rroma-Informations-Centrum sowie Doris Liebscher, Leiterin der Ombudsstelle bei der Landesantidiskriminierungsstelle Berlin, wurden dort Entwicklungen der letzten Jahre diskutiert.
Dabei wurde insbesondere auf die positiven Entwicklungen geschaut. Laut Violeta Balog hat sich in den letzten Jahren enorm viel getan, die Bürger_innenrechtsbewegung sei viel greifbarer und sichtbarer geworden. Es sei wichtig, dass die Betroffenen für sich selbst sprächen. Mehmet Daimagüler betonte, er sei als Nicht-Angehöriger der Rom_nja-Community darauf angewiesen, von dieser Feedback zu bekommen.
In der anschließenden Diskussion merkte eine Zuhörerin an, dass viele Politiker_innen die Rom_nja in Deutschland jahrelang als „Problem“ wahrgenommen hätten: „Die Politik von dieser Sichtweise wegzubringen, war ein Erfolg der Selbstorganisierung.“
In der Podiumsdiskussion wurde auch deutlich, wie die Belange von Rom_nja auf unterschiedlichen Ebenen unterdrückt wurden und teils noch werden: Ob es darum ging, ein Denkmal für im Nationalsozialismus ermordete Sinti:zze und Romn:ja zu errichten und zu erhalten, sie in politische Entscheidungsprozessen einzubinden, Repräsentation in öffentlichen Ämtern zu schaffen oder sie als Geflüchtete zu schützen, wie im aktuellen Ukraine-Krieg, wo Rom_nja und Sinti_zze in Ankunftsstrukturen mit Diskriminierung und Abweisung zu rechnen haben. Rom_nja haben keinen Staat, in den sie flüchten könnten, sie haben keine Botschaft, die sie aus Kriegsgebieten holt. Und oft genug keine Ausweispapiere, um Grenzen zu passieren und in Aufnahmeländern ins Asylverfahren aufgenommen zu werden. Sie stehen in jeder Hinsicht hinten an.
Seit Jahrhunderten in Deutschland
Und das, obwohl Sinti_zze und Romn_ja seit Jahrhunderten in Deutschland leben, laut Schätzungen der verschiedenen Sinti:zze und Romn_ja-Verbände sind es aktuell etwa 70.000 bis 150.000. Sie sind die größte ethnische Minderheit Europas und doch nahezu unsichtbar. Oder, wie Daimagüler es ausdrückt: „Es gibt keinen Bereich des öffentlichen Lebens, wo sie nicht ihre Spuren hinterlassen haben.“
Vor diesem Hintergrund beeindruckt es, wie intersektional die Redebeiträge bei der Parade ausgewählt wurden. Keine Opferkonkurrenz, sondern konsequentes Zusammendenken steht auf dem Plan der Community. Denn sie weiss um die Wichtigkeit der Solidarisierung, gerade als Minderheit, die stets vergessen wurde.
So gab es Redebeiträge aus der afghanischen Community, vom Korea-Verband, vom International Woman Space und von der Reach Out–Opferberatung. Der Tenor: All Refugees welcome, wider die Spaltung, wider das Gerede von den guten, den weißen, den gebildeten Geflüchteten. Die Kämpfe müssen solidarisch gekämpft werden. Nur so kann es was werden mit dem Paradies.
Im Anschluss an die Parade führte die Jugendgruppe „Wir sind hier!“, ein Zusammenschluss aus Jugendlichen aus Berlin und Kiew, ein Forumtheaterstück im Grünen Salon auf. Dabei ging es um die Verfolgung, Zurückweisung und Unterdrückung von Rom_nja in Deutschland.
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