Roma vor dem Referendum in Ungarn: Nach unten treten
Um das Quorum für das Anti-Flüchtlingsreferendum zu erreichen, setzt Orbáns Fidesz auch Roma unter Druck. Einige beugen sich.
Orbán macht kein Hehl daraus, wie er in dieser Frage denkt. Im September vergangenen Jahres ließ die Regierung Zäune an den Grenzen zu Serbien und Kroatien errichten, um Geflüchtete an einer Einreise nach Ungarn zu hindern. Derzeit sitzen rund tausend Menschen in Lagern neben sogenannten Transit-Zonen fest.
Laut jüngsten Berichten von Menschenrechtsorganisation, wie Human Rights Watch und Amnesty International sind die Geflüchteten schweren Misshandlungen schutzlos ausgeliefert. Orbán lehnt eine von der EU vorgeschlagene Verteilung der Flüchtlinge kategorisch ab. Der EU-Schlüssel hätte die Aufnahme vor etwa 2300 Geflüchteten vorgesehen. Bei einem Treffen der Regierungchefs der EU in Wien am 24. September schlug Orbán vor, Geflüchtetet in einem Lager in Libyen festzusetzen. Dort könnten sie dann ihr Asylgesuch stellen.
Damit eine Volksabstimmung in Ungarn gültig ist, müssen mindestens 50 Prozent der Abstimmungsberechtigten daran teilnehmen. Genau da liegt das Problem. Alle Referenden in der jüngeren Geschichte Ungarns, bis auf eines, sind an dieser Hürde gescheitert. Laut jüngsten Umfragen, die die Wochenzeitung HVG veröffentlichte, sind bislang lediglich 42 Prozent fest entschlossen, an die Urnen zu gehen. Um sich die Unentschlossenheit der Wähler zunutze zu machen, ist die Opposition zu schwach. So ruft zwar die Demokratische Koalition des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány zu einem Boykott der Abstimmung auf. Aber die Sozialdemokraten haben nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung.
Roma als Verhandlungsmasse
Um das Erreichen des Quorums sicher zu stellen, versucht Fidesz auch die Angehörigen der Roma-Minderheit zu instrumentalisieren. Ein Großteil der schätzungsweise 800.000 Roma lebt immer noch unter bzw. am Rande des Existenzminimums. Roma haben nur einen sehr beschraenkten Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem. Bei der Arbeitsuche werden sie systematisch diskriminiert.
Sie werden zu „Sozialdiensten“ zwangsverpflichtet und verlieren bei Nichterscheinen ihren Anspruch auf staatliche Sozialleistungen. Im vergangenen Jahr verknüpfte Orbán das Flüchtlingsthema mit der sogenannten Roma-Frage. Ungarn könne sich nicht um Flüchtlinge kümmern, denn man habe genug Probleme mit der Minderheit der Roma. Die schicke man ja auch nicht in andere europäische Länder.
Bei dem Versuch, die Roma für eine Stimmabgabe zu mobilisieren, tut sich besonders die Fidesz-freundliche Roma-Partei Lungo Drom (Langer Weg) hervor. Der Rom Attila Rontó, Leiter einer Roma-Selbstverwaltung in dem kleinen Dorf Köröm im Nord-Osten Ungarns, wandte sich diese Woche in einen offenen Brief an die Minderheit. Man solle mit nein stimmen, denn: „Wir müssen unsere Kinder, Töchter und Enkelkinder vor den gewalttaetigen Migranten-Horden schützen.“ In Köröm waren vor einigen Jahren mehrere Roma-Familien wegen massiver Diskriminierung nach Kanada ausgewandert.
Unverholene Drohung
Doch nicht nur Rontó trommelt für ein Nein bei der Abstimmung. Dafür werben auch viele Roma -Aktivisten in den sozialen Netzwerken. Felix Farkas, Sprecher für die Belange der Roma im ungarischen Parlament, äusserte sich in der regierungsfreundlichen Zeitung Magyar Idők wie folgt: „Eine Migrantenwelle würde der ungarischen Roma-Minderheit, um die sich die Regierung sehr bemüht, viele Möglichkeiten nehmen. Schliesslich bräuchten die Migranten Wohnungen, Arbeitsplätze und soziale Unterstützung.
Auf das Schüren von Ängsten setzt die Orbán Regierung nicht nur bei den Roma. Vor einer Woche organisierte János Lázár, Minister für Regierungsangelegenheiten bei Viktor Orbán, in seiner Heimatstadt Hódmezővásárhely ein Bürgerforum. Dort drohte er unverhohlen: Gemeinden, in denen nur wenige Wähler abstimmen, bekämen die meisten Flüchtlinge, wenn doch eine Umverteilung stattfinde. Orbán kündigte übrigens an, dass, sollte das Abstimmungsquorum erreicht werden, die Verfassung geändert würde. Weitere Details behielt er vorerst für sich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“