Roma in Neukölln: Ein besserer Start nach der Sommerschule
In Neukölln lernen Romakinder aus Rumänien in den Sommerferien Deutsch. Mit dem Angebot will der Bezirk die Schulen bei der Integration von Zuwanderern entlasten.
Viel los ist nicht am südlichen Ende der Harzer Straße. Der Boom der angrenzenden Kieze von Alt-Treptow und Nordneukölln ist hier sichtlich noch nicht angekommen. Kaum Verkehr auf der Straße, viele Häuser sind alt, grau und unsaniert, zwei Kleingartenkolonien verbreiten einen Hauch von Vorstadtcharme. Auf dem Gehweg spielt eine zwölfköpfige Gruppe von Mädchen, fünf junge Männer unterhalten sich. Alle sind augenscheinlich südosteuropäischer Herkunft. Seit Beginn des Jahres sind immer mehr Romafamilien hierhergezogen. Etwa hundert Meter weiter, in der Hans-Fallada-Grundschule, bekommen die Kinder und Jugendlichen aus Rumänien seit knapp zwei Wochen spezielle Deutschkurse.
Ceriblan Leonard wohnt in der Nähe der Schule. Er kam vor 20 Jahren aus Rumänien nach Deutschland. "Genau solche Sprachkurse hätte ich mir auch gewünscht, als ich nach Berlin gekommen bin. Das gab es damals noch nicht", sagt er. Roman Yosif, einer der zugezogenen Jugendlichen, bestätigt: "Ich bin froh über die Kurse." Immerhin bedeuteten sie ein Stück Perspektive für die Kinder und Jugendlichen, ergänzt Leonard.
Seit Jahresbeginn ist die Zahl der aus Rumänien und Bulgarien zugewanderten Romafamilien sprunghaft gestiegen: 500 wohnten inzwischen im Kiez, sagt Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD). Diese Zahl veranlasste das Bezirksamt von Neukölln, eine spezielle Sommerschule für die Kinder und Jugendlichen einzurichten. Deren Deutschkenntnisse sind meist unzureichend für den normalen Schulalltag. Betreut werden sie durch elf zusätzliche rumänischsprachige Lehrkräfte, die durch Gelder von Senat und Bezirk finanziert werden. Am ersten Schultag nahmen 28 Kinder an den Deutschstunden teil.
"Diese Kinder brauchen eine zusätzliche Unterstützung. Deswegen mussten wir was machen", sagt Giffey, die das Projekt initiierte. Die Deutschkurse liefen noch eine Woche, dann werde das Lehrangebot mit einem speziellen Sommercamp für die restlichen Ferien fortgesetzt. Auch zu Schulbeginn sollen die Schüler sprachlich weiter gefördert werden.
Insgesamt besuchen derzeit rund 600 Kinder und Jugendliche aus Romafamilien Neuköllner Schulen. Die Familien der Kinder kommen meist aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland. Weil Bulgarien und Rumänien seit 2007 Mitglieder der Europäischen Union sind, aber die volle Niederlassungsfreiheit für ihre Staatsbürger erst 2013 kommt, können sich Menschen aus diesen Ländern erst einmal nur für drei Monate mit Touristenstatus in Berlin aufhalten. Danach melden sich allerdings viele als Selbstständige an, um für unbegrenzte Zeit zu bleiben. Vor allem Roma aus Bulgarien und Rumänien nutzen diese Möglichkeit, um der Diskriminierung in ihren Ländern zu entkommen.
Und so leben bereits jetzt mehrere tausend Roma in Neukölln. Die genaue Zahl ist unbekannt, weil sich viele nicht behördlich melden. Auch wird die ethnische Zugehörigkeit in den Berliner Meldebögen nicht erfasst. Es sei aber mit einer weiteren Zuwanderung aus Osteuropa zu rechnen, so Giffey. "Das Thema der Armutszuwanderung wird auch ein Thema für die anderen Bezirke werden", glaubt sie.
Bisher hatten Bezirksämter und Senat damit so ihre Schwierigkeiten. So campierte etwa vor zwei Jahren eine Gruppe von 40 Roma aus Südosteuropa im Görlitzer Park. Die Behörden sahen diesen Zustand als nicht haltbar an. Die Familien, unter ihnen kleine Kinder, zogen daraufhin in das nahe gelegene Bethanien und besetzten später die Kreuzberger St.-Marien-Liebfrauen-Kirche. Schließlich wurden einige Familien im Spandauer Flüchtlingsheim Motardstraße untergebracht. Nach einer mehrwöchigen Odyssee gab ihnen die zuständige Senatsverwaltung etwas Geld - unter der Bedingung, dass sie wieder abreisen.
Aber auch die jetzige Wohnsituation der Romafamilien ist alles andere als ideal: Für die Wohnungen in der Harzer Straße zahlen sie teilweise offenbar 10 Euro pro Kopf und Nacht, wie Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) der RBB-Abendschau sagte. Bildungsstadträtin Giffey bedauert gegenüber der taz: "Hier haben wir keine Handhabe, solange sich die Mieter nicht an uns wenden." Die Menschen hätten jedoch offensichtlich Angst, am Ende ohne Bleibe zu sein.
Dass Roma oftmals Diskriminierungen ausgesetzt sind, weiß auch Leonard: "Vor zwei Wochen kam eine Frau in die Straße und rief den Leuten ,Zigeuner, verpisst euch!' zu", erzählt er. Doch schlechte Menschen gebe es nun mal überall, sagt er fast gleichgültig. In Rumänien und Bulgarien sei es auch nicht besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!