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Selbst vor dem Vatikan macht der Virus nicht halt. Der Petersplatz am Mittwoch Foto: Andrew Medichini/ap

Rom in Zeiten von CoronaHimmlische Ruhe

Viele Menschen in der italienischen Hauptstadt halten sich an die Vorschriften der Regierung und bleiben zu Hause. Andere genießen die ungewohnte Ruhe.

Michael Braun
Von Michael Braun aus Rom

E s ist alles wie immer vor der Stazione Termini, dem Hauptbahnhof Roms, täglich Umschlagplatz für Zehntausende Passagiere im Nah- und Fernverkehr. Dutzende städtische Busse stehen auf dem weiten Vorplatz, direkt vor den Türen ist das Armeefahrzeug geparkt, das hier schon seit Jahren zur Terrorabwehr stationiert ist.

Und doch ist nichts wie immer an diesem Dienstagvormittag. Zum Beispiel die Taxen. Gewöhnlich warten Dutzende, manchmal Hunderte Kunden auf die Wagen, die tröpfchenweise vorfahren. Heute ist es genau umgekehrt. Eine endlose Schlange der weißen Autos steht da rum, von Fahrgästen keine Spur. Einer der Fahrer erzählt, er warte nun schon seit anderthalb Stunden, und ehe er an der Reihe sei, würden locker noch mal 30 Minuten vergehen.

Rom in Zeiten des Coronavirus. Am Vorabend hat Ministerpräsident Giuseppe Conte in einer dramatischen TV-Ansprache die Parole ausgegeben: „Bleiben wir zu Hause!“ Den Bürgern hatte er eingeschärft, sie müssten ihre „Gewohnheiten jetzt radikal ändern“. Und die Regierung half mit einem Dekret nach. Unterwegs sollen die Menschen nur noch sein, um zur Arbeit zu gelangen, um einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen, um andere „unumgängliche“ Dinge zu erledigen.

Und schon am nächsten Tag wird deutlich: Der Regierung ist es ernst. Einigermaßen leer gefegt ist die große Bahnhofshalle. Gewiss, die Boutiquen, die Feinkostläden, die Bars und Restaurants sind alle geöffnet, doch das Personal steht sich die Beine in den Bauch.

Verwandte besuchen? Zählt nicht!

Die wenigen, die noch auf Reisen gehen, sind derweil mit anderem befasst. Ehe sie an die Gleise dürfen, müssen sie den Checkpoint der Bahnpolizei passieren und dort unter Vorlage des Ausweises eine Erklärung über ihre Reisegründe, Arbeit oder Gesundheit, unterzeichnen. Eine junge Frau gibt an, sie wolle zu Verwandten. Das ist nicht „unumgänglich“, sie muss umkehren, sie trägt es mit Fassung. „Sobald sich was an den Vorschriften ändert, erfahren Sie das aus den Medien“, ruft ihr der Beamte hinterher. „Zu Hause bleiben!“ – auch für die Frau wird die neue Norm, nur Stunden nach ihrem Inkrafttreten, Wirklichkeit.

Oha! So viel Platz zum Posieren hat man am Trevi-Brunnen normal nie Foto: Guglielmo Mangiapane/ap

Nicht zu Hause geblieben sind dagegen die beiden Frauen aus Hannover in den Mittvierzigern, sportlich, blond, hochgewachsen, die das Kolosseum ansteuern. Samstag sind sie angereist, Mittwoch geht es zurück. „Wir haben noch überlegt, ob wir die Reise canceln sollen“, erzählt die eine, „aber dann haben wir uns gesagt, wenn wir im Biomarkt in Hannover den Griff vom Einkaufswagen anfassen, können wir uns genauso anstecken.“ In aufgeräumter Stimmung sind die zwei, sie genießen es, dass halt die meisten anderen, Touristen wie Römer, von der Bildfläche verschwunden sind, „Rom ist wunderschön so“, lachen sie. Da verschmerzen sie es auch, dass das Kolosseum selbst gesperrt ist. Ihr kleines Hotel mitten im Zentrum stehe fast völlig leer, „das tut uns für die Inhaber leid, aber die Ruhe ist einfach traumhaft!“

Weniger himmlisch denn unwirklich, ja gespenstisch ist die Ruhe, die unten in der U-Bahn-Station Kolosseum herrscht. Keine Menschenseele auf dem Bahnsteig, keine Menschenseele auch auf dem Bahnsteig gegenüber. Ein Zug fährt ein, gerade mal fünf Personen steigen aus, an einer Station, an der die Züge sonst Hunderte Passagiere ausspucken. Eine ältere Dame, ihrem Akzent nach zu urteilen aus Rom, schüttelt den Kopf. „Unglaublich, so was habe ich noch nie gesehen“, murmelt sie, „hoffen wir bloß, dass dieser Albtraum bald vorbei ist.“

Anders als das Kolosseum, so hieß es am Morgen, sei der Petersdom noch offen. Und in der Tat: Schon auf den ersten Blick, über das weite Rund des Petersplatzes hinweg, sieht man, dass die großen Portale offen stehen. Bei diesem Blick bleibt es dann aber auch. Zahlreiche Beamte der italienischen Polizei, in Uniform und in Zivil, haben alle Zugänge zum Platz und damit zum Petersdom abgeriegelt. „Der Vatikan kann natürlich beschließen, was er will“, meint einer der Zivilbeamten, „aber der italienische Staat hat per Dekret festgelegt, dass die Leute nur noch für unumgängliche Verrichtungen unterwegs sein sollen.“

Selbst der Petersdom ist geschlossen

Am Tourismus sei nichts unumgänglich, setzt er nach, nach dem Buchstaben der neuen Verordnung sollten die Rombesucher gefälligst in ihren Hotels bleiben. Auf Nachfragen kommt aber auch er ins Schlingern. Ist das Regierungsdekret also so zu verstehen, dass man gar nicht mehr vor die Tür darf, eben nach dem Motto „Bleiben wir zu Hause“? Und was heißt das eigentlich, die „Fortbewegung“ sei nur „aus unumgänglichen Gründen“ erlaubt? Fortbewegung im Sinn von Reisen, von Fahrten in andere Kommunen oder eben auch innerhalb Roms? Er wisse es nicht, sagt der Beamte, er wisse auch nicht, ob er mit seinem kleinen Sohn nach Dienstschluss den Park im Stadtviertel aufsuchen dürfe. Einige Stunden später gibt der Vatikan klein bei, teilt mit, dass der Petersdom fortan geschlossen bleibe.

Die paar noch in Rom verweilenden restlichen Touristen, die quer über den Platz Fotos von der Fassade der Basilika schießen, kümmert es nicht. Sie lassen sich den herrlichen Frühlingstag in Rom auch durch das Coronavirus nicht vermiesen. Und eines ist sicher: Über „Overtourism“, über eine wegen zu vieler Gäste verstopfte Stadt können sie sich ganz gewiss nicht beschweren. Komplett verschwunden sind die Dutzende Reisebusse, die sonst die Zone um den Vatikan im Griff haben, verschwunden auch die Besuchergruppen, die zu Dutzenden auf ihrem geführten Stadtgang einem Fähnlein hinterhermarschieren, verschwunden die offenen Doppeldeckerbusse, die sonst immer Scharen von Besuchern durchs Zentrum Roms karren.

Ciao! Statt Küsschen begrüßen sich die Römer derzeit kreativ Foto: Guglielmo Mangiapane/ap

Und die öffentlichen Verkehrsmittel sind mittlerweile, so scheint es, mit Sitzplatzgarantie unterwegs. Auf dem 64er Bus, der wegen chronischen Gedränges, Taschendieben und Grapschern wohl berüchtigtsten Buslinie Roms, sind gerade mal fünf Passagiere unterwegs. Auf diese Weise wird auch die Einhaltung der zweitwichtigsten von der Regierung ausgegebenen Regel – „halten wir 1 Meter Mindestabstand!“ – selbst in den öffentlichen Verkehrsmitteln praktikabel. Kein einziger der Busse, die durchs Zentrum fahren, ist auch nur halb voll.

Ähnlich sieht es auch in den Lokalen rund um den Campo de’ Fiori aus. Bloß eine Handvoll Touristen isst an den Tischen in der Sonne. Der Kellner platziert sie streng nach der 1-Meter-Regel: Paare dürfen einander nicht frontal gegenüber sitzen, sondern nur noch diagonal, um einen Stuhl versetzt, auf Abstand halt, auch wenn sie eben noch Hand in Hand über den barocken Platz geschlendert sind. Gleich ganz geschlossen hat allerdings das Traditionsrestaurant La Carbonara; in markigen Worten verkündet der Aushang an der Tür, es wolle so seinen Beitrag dazu leisten „auf entschlossene Weise zur Nichtverbreitung des Corona­virus beizutragen“.

Eine Person darf in den Laden

Gedränge herrscht nur vor dem Metzger am Platz. Die Kunden müssen draußen warten, nur wer als Nächster bedient werden soll, erhält Einlass. Solche Gedanken muss sich die Inhaberin des kleinen Tabak- und Andenkenladens ein Eck weiter nicht machen. Ihr Geschäft ist leer, „da müssen wir durch“, meint sie, und sie ist völlig einverstanden mit der Regierung, mit der Entscheidung, das öffentliche Leben fast komplett einzustellen.

Alle Geschäfte müssen laut Dekret Gedränge im Laden vermeiden, andernfalls droht die Schließung. Noch sind fast alle offen, Boutiquen, Andenkenshops, Schuhgeschäfte, doch überall das gleiche Bild: gähnende Leere. Sie denke jetzt allerdings über Schließung nach, sagt die Besitzerin eines kleinen Modegeschäfts hinter dem Pantheon, ihre Aushilfe hat sie schon nach Hause geschickt, „die saß hier schon vor Erlass des Dekrets in den letzten Tagen acht Stunden untätig rum“.

Halt! Wer vom Bahnhof Termini verreisen will, braucht einen triftigen Grund Foto: Andrew Medichini/ap

„Bald sieht das hier so aus“, sagt sie in leicht resigniertem Ton und zeigt hinüber auf die „Tazza d’oro“. Nach Meinung von Kennern gibt – oder besser: gab – es hier den besten Espresso Roms; hier standen die Angestellten aus den Büros im Zentrum Ellbogen an Ellbogen mit asiatischen Touristen. Jetzt aber ist die Bar verrammelt, sind die stählernen Rollläden heruntergelassen. Rom sei gerade dabei, sich in eine Geisterstadt zu verwandeln, schließt die Frau von der Boutique, „wer hätte das je für möglich gehalten!“.

So gespenstisch sich das Zentrum präsentiert, so normal wirkt auf den ersten Blick noch das Leben im Wohnviertel, nur ein paar Kilometer weiter nach Norden. Menschen sind mit Einkaufstüten unterwegs, holen ihre Zeitung am Kiosk, steuern die Bar um die Ecke an. Doch alle, wirklich alle Gesprächsfetzen, die man aufschnappt, enthalten das eine Wort, „Coronavirus“, wie auf Deutsch. Und die beiden Bekannten, die sich begrüßen, bleiben auf Abstand, verzichten auf das Küsschen rechts und links auf die Wange, nicken einander bloß zu.

Abstand halten gilt auch vor dem Supermarkt. An der Tür hat sich ein Wachmann aufgebaut, lässt immer nur kleine Grüppchen ein. Die Menschen draußen achten peinlich genau darauf, den anderen nicht zu eng auf die Pelle zu rücken. Doch wie weit Rom von der Normalität entfernt ist, zeigt vor allem eines: Kein einziger murrt, keiner beschwert sich über das Regierungsdekret – und das in einer Stadt, in der gewöhnlich alle Entscheidungen der Obrigkeit voll Sarkasmus kommentiert werden.

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