Rockband Slime: „Punk ist ein Lebensentwurf“
Hamburgs Punklegende Slime muckt seit 1979 auf gegen herrschende Verhältnisse. Ein neues Album lässt die Band über Demokratie nachdenken.
taz: Schwarz oder Rot?
Elf: Schwarz.
Hausprojekt oder alleine wohnen?
Nici: Hausprojekt.
Köpi oder SO 36?
Christian: SO 36.
Anarchie oder Sozialismus?
Elf: Anarchie.
Slime sind in etwa so alt wie die taz. In der taz existieren unterschiedliche Meinungen, was linke Positionen anbelangt. Wie ist das in der Band?
Christian: Ist bei uns genauso. Auf dem neuen Album haben wir einen Song namens „Hölle“. „Wir gehen gemeinsam durch die Hölle und die Hölle, das sind wir.“ Es geht um unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe. Wir sind ja keine 18 mehr, das meint, dass man sich arrangieren muss. Wie mit der Hölle.
Nici: Ich habe erst Politik und Jura studiert, führe aber seit 20 Jahren eine Kneipe. Ich bin niemals bürgerlich geworden. Ich hatte auch Glück. Man will ja nicht abhängig sein und auch Kohle verdienen.
„Deutschland muss sterben.“ Ist das noch aktuell?
Elf: Der Text bezieht sich auf das alte Kriegerdenkmal am Dammtor in Hamburg, und solange das da steht, bleibt die Forderung bestehen. Wir würden das also noch genauso sagen wie 1981.
Christian: Man kann das weiterdenken: Will man so einen Staat? Auch angesichts der großen Probleme, die im Moment herrschen. Etwa der Klimawandel. Dass die Demokratie und der Staat nicht in der Lage sind, sich da auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
Nici: Der große Gott ist das Geld. Kohlekraftwerke werden noch mal saniert für Milliarden Euro. Da wird man zu Recht wütend.
Christian: Das hat für mich viel mit der Staatsform der Demokratie zu tun, die gibt es ja nicht nur in Deutschland. Auch wenn sie an sich nicht verkehrt ist. Es gibt da zwei Teile, einmal diese aufstrebende und sich entwickelnde lebendige Demokratie, aber auch der zweite Teil, der zwangsläufig dazugehört, der den Untergang bedeutet. Wenn die Demokratie sich entwickelt mit wechselnden Personen und Machtverhältnissen, gibt es irgendwann Menschen, die die Macht behalten wollen und sie zementieren. Es gibt keine Neuerungen mehr. Genau das haben wir jetzt.
Wer hat eigentlich bei Slime die Macht?
Elf: Niemand, wir sind auch keine Demokratie. Es gibt demokratische Mehrheitsentscheidungen. Aber wenn einer wirklich gegen etwas ist, hat sich der Rest zu fügen.
Was hat sich verändert, seit du als Frau bei Slime eingestiegen bist?
Nici: Musst du die Jungs fragen!
Die Band: Slime, 1979 in Hamburg gegründet, ist eine westdeutsche Punklegende. Ihr neues Album „Wem gehört die Angst“ veröffentlicht das Quintett an diesem Freitag beim Label Arising Empire/Warner. Nun gehen sie nochmals auf Tour: „40 Jahre Slime – Durch alle Höllen und Tiefen“.
Termine:
13. und 14. 3., SO 36, Berlin;
20. 3., Große Freiheit 36, Hamburg;
3. 4., Mergener Hof, Trier;
4. 4., Musikbunker, Aachen
Elf: Ich denke schon, dass mehr Frauen im Publikum sind und die Band dadurch ein anderes Image bekommen hat. Und dass Frauen das auch gut finden. Wir sind nicht mehr so die Alte-Herren-Gruppe, wie Agnostic Front.
Intern hat sich dadurch nichts verändert?
Christian: Nein. Wir waren vorher auch keine Typen-Band. Ich finde aber super, dass wir eine Bassistin haben, und wünsche mir, dass mehr Frauen zu uns ins Studio kommen. Die Musikindustrie ist maßgeblich von Männern beeinflusst.
Nici: Wir sind einfach Kumpels, mit Elf bin ich seit 13 Jahren zusammen, und bin auch gar nicht so ein klassisches Mädchen, habe schon gar keine Sonderstellung.
Elf: Wenn ich recht überlege, hat Nici eher mehr Aggressivität in die Band gebracht. Sie kann sich am meisten aufregen über den ganzen Scheiß. Über irgendwelche Machos oder homophoben Arschlöcher.
„Wir wollen keine Bullenschweine“ war ein Song von euch, der indiziert wurde. Ist er noch aktuell?
Nici: Man kann sich ja mal die Frage stellen: Welche Menschen gehen eigentlich zu den Cops? Es gibt ja in der letzten Zeit vermehrt die Vorwürfe von rechten Strukturen bei den Bullen und auch im Militär.
Christian: Als Elf den Text 1981 geschrieben hat, wussten wir genau, von was wir reden. Auch wir haben bei Demonstrationen Knüppel abbekommen.
„All Cops Are Bastards“?
Nici: Man darf das nicht so wörtlich nehmen. ACAB sollte aus meiner Sicht einfach nur eine Warnung sein und gilt erst mal nicht für alle, aber als Denkanstoß für alle: Was für ein*e Polizist*in willst du sein?
Elf: Was ist mit dem Kripobeamten, der Kinderschänder jagt? Das ist sicherlich nicht der Robocop, der auf der Straße sinnlos auf Leute einschlägt.
Was brennt euch 2020 unter den Nägeln?
Nici: Rechtspopulismus und Angstschürerei. Nach unten treten auf Leute, die eh nichts haben. Die AfD ist rassistisch und etliche Mitglieder sind Nazis. Diese Partei ist nicht okay und nicht bürgerlich. Und so sind sie überall: Trump. Le Pen.
Christian: Klimawandel ist für mich ein wichtiges Thema. Und die Globalisierung macht den Leuten Angst und schürt den Hass. Ein anderes Thema ist die Individualisierung und der Kapitalismus. Das macht einsam und verwundbar.
Wird die Wut und das Nichteinverstandensein von Punk und seine Attitüde inzwischen nicht schon längst von Rappern und Bands wie Feine Sahne Fischfilet zeitgemäßer verhandelt?
Elf: Zu unseren Konzerten kommen mittlerweile viele junge Leute. Das mischt sich total. Musikszenen sind nicht mehr so hart abgegrenzt, wie das mal war.
Christian: Wir sind zwar älter geworden, trotzdem präsentieren wir das, was uns schon immer ausgemacht hat, weiterhin nach außen.
Was bedeutet euch Punk?
Nici: Ich war immer links.
Empfohlener externer Inhalt
Die Hölle sind wir
Elf: Punk ist keine Mode, auch wenn das von der Industrie zu einer gemacht wurde mit den Jahren. Am Anfang war es ein Gedanke: Wir wollen anders sein. Weg vom Mainstream, Establishment und Rockbusiness.
Christian: Eine Antihaltung, die aus etlichen unserer Texte spricht. Ein eigener Lebensentwurf. Mit 17 war Punk eher: Was machen die anderen, die Eltern? Und es gab nichts, was ich daran gut fand. Heute wäre das eher anders: Ich suche meinen eigenen Weg. Gucke nach dem, was ich mag. Auch Kompromisse. Das ist ja keine Gabe der Jugend.
Homophobie, Feminismus und Gender-Themen tauchen bei Slime eher nicht auf, warum?
Nici: Das haben wir nicht so drin. Das mag auch an unserer Blase liegen. Mir ist das unverständlich, dass das überhaupt ein Problem sein kann.
Elf: Wie soll man über etwas glaubhaft schreiben, das einen nicht selber betrifft? Klar haben wir etliche Leute im Freundeskreis, aber das Problem ist bei uns nicht so signifikant.
Christian: Ich kenne auch persönlich keine Unterschiede zwischen den Menschen. Auch hier im Studio trifft sich jede*r. Ich hatte da schon tolle Erfahrungen machen dürfen, auch mit behinderten Menschen.
Das neue Album heißt „Wem gehört die Angst“. Angst vor dem Gesetz oder Angst wegen der Musik eins auf die Moppe zu bekommen von Nazis?
Nici: Nein, Angst habe ich überhaupt nicht.
Elf: Das erste Mal im Osten nach 1989 da waren wir etwas vorsichtig geworden und haben dann noch ein, zwei Secu-Kumpels mitgenommen. Zu Recht.
Nici: Wer Angst hat, der stirbt. Angst macht klein. Uns gehört nicht die Angst. Zivilcourage gehört dazu. Das habe ich nie anders gemacht, und es gehört dazu, dass man dann eben auch mal einstecken muss.
Elf: Rechtspopulisten spielen mit der Angst, ich glaube aber auch, dass diese Leute selber Angst haben. Vor Flüchtlingen, vor Ausländern, vor Schwulen. Denen gehört die Angst.
„Das Paradies“ ist ein wehmütiges Lied. Wie ein Rückblick auf vergangene Zeiten.
Elf: Das ist Dicken (Spitzname von Sänger Dirk, d. Red.), der da über sein Ding singt. Über die Euphorie als junger Mensch. Er wird bald 60. Das ist seine Story. Er singt von den KB-Genossen. Ich war nie in irgendeiner Organisation. Vor Punkrock. 1975.
Gibt es einen Plan für die Rente?
Nici: Erst muss ein Herzinfarkt kommen.
Elf: Irgendwann wird Feierabend sein. Aber Musiker bleiben wir und haben auch alle andere Projekte. Lemmy hat auch bis zum Schluss auf der Bühne gestanden und so will ich das auch machen. Zur Not im Sitzen.
Nici: Kann ich mir nicht vorstellen, jemals mit Musikmachen aufzuhören.
Elf: Irgendwann muss Slime gehen. Aber bis jetzt können wir das noch glaubwürdig vertreten.
Christian: Ist ja wichtig, dass wir glaubwürdig bleiben. Wäre blöd, wenn wir uns lächerlich machen würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles