Risikoforscher über Hundeangriffe: „Chico muss eingeschläfert werden“
Risikoforscher Ortwin Renn erklärt, wieso wir mit gefährlichen Hunden leben. Für ihn kommt es nicht auf die Rasse, sondern auf die Haltung an.
taz: Herr Renn, wieso halten wir uns Hunde, die gefährlich sind?
Ortwin Renn: Einige Menschen haben das Bedürfnis, jemanden um sich zu haben, dem sie Befehle erteilen können. Solche einseitigen Beziehungen, die auf Befehl und Gehorsam gründen, widersprechen eigentlich unseren gesellschaftlichen Normen. Dem Hund gegenüber kann man sich allerdings so verhalten ohne Kritik fürchten zu müssen. Ein körperlich besonders starker Hund kann zum Symbol der eigenen Stärke werden. Die HalterInnen glauben damit, eine Kraft unter ihrer Kontrolle zu haben, die bei anderen Eindruck machen und für Respekt sorgen soll.
Beweisen nicht die jüngsten Vorfälle in Hessen und Hannover, dass das ein Irrglaube ist?
Das sind dramatische Ereignisse, aber auch statistisch gesehen Ausnahmen. In der Regel haben die HalterInnen nicht nur Kontrolle über ihren Hund, sondern eine artgerechte Hundehaltung führt auch meist zu einer friedlichen Beziehung zwischen Mensch und Hund. Dennoch kann es jederzeit zu einer Reizüberflutung oder einer Reizkollision des Hundes kommen. Dann kann ein Hund auch gewaltvoll reagieren. Wenn eine Halterin vom eigenen Hund angegriffen wird, kann man natürlich argumentieren, dass sie es sich selbst zuzuschreiben hat. Ist ein Halter jedoch mit seinem Hund auf der Straße unterwegs, trägt er auch die Verantwortung für das Verhalten des Tiers. Je stärker der Hund ist, desto aufmerksamer muss auch der Halter auf mögliche Gefährdungen anderer achten.
Brauchen wir neue Gesetze, die das Risiko einer solchen Ausschreitung minimieren?
Wir haben schon einige Gesetze, die Leinen- und Maulkorbpflicht vorschreiben. Die Entscheidung, ob das umgesetzt wird, liegt bei den Kommunen. Es sollte eine Empfehlung der Bundesregierung geben, die das vereinheitlicht. Bestimmte Hunderassen haben weniger Beißhemmung als andere. Für diese sollte die Leinen- und Maulkorbpflicht, insbesondere in Innenstädten, eingeführt beziehungsweise verschärft werden. Es bleibt jedoch immer eine Frage der Gesetzesmäßigkeit. Auch kleine Hunde können Menschen unerwartet angreifen. Gesetze sollten auf keinen Fall bestimmte Hunderassen aus der Stadt verbannen.
Kritiker werfen Tierschützern, die das Leben von gewalttätigen Hunden retten wollen, eine Vermenschlichung des Hundes vor. Stimmt das ?
Das kann ich nicht nachvollziehen. Häufig sind es die Tierschützer, die in der Vermenschlichung des Hundes eine große Gefahr sehen. Diese führe häufig zur Missachtung einer hundgerechten Haltung. Davon wird auch die Erziehung des Tiers beeinflusst und der Hund kann zum Instrument der eigenen Aggressivität werden. Dass Hunde teilweise in kleinen Wohnungen gehalten werden und fast nie Auslauf bekommen, ist der eigentliche Skandal.
Ortwin Renn ist Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS) in Potsdam. 2014 erschien sein Buch „Das Risikoparadox. Wieso wir uns vor dem Falschen fürchten“
Was soll mit dem Hund Chico passieren, der in Hannover seine Besitzer tötete?
Hunde können nicht frei entscheiden und sind kein moralisches Subjekt. Auch über das Schicksal von Chico darf nicht moralisch diskutiert werden. Es geht hier nicht um eine Rassendebatte, sondern darum, die Umstände eines verhaltensauffälligen Hundes in den Blick zu nehmen. Chico hat keine Schuld auf sich geladen, sondern stellt eine objektive Gefährdung für Menschenleben dar. Sofern feststeht, dass er jederzeit wieder Menschen angreifen könnte, muss er eingeschläfert werden.
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