: Risikofaktor Öl
von BEATE WILLMS
Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man sagen, der Krieg gegen Irak habe längst begonnen. Denn genau das lässt die Stimmung an den Finanzmärkten vermuten, wo sich die Indizes auf strikter Talfahrt befinden. Kein Tag vergeht, ohne dass Händler auf die „Kriegssorgen“ verweisen. Der Deutsche Aktienindex ist auf das Niveau von 1996 gefallen. „Allein das Bedrohungsszenario ist für sich gesehen problematisch“, sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, und meint damit nicht nur die mangelnde Kauflust der Anleger. Die Unsicherheit über die Entwicklung am Golf drückt nicht nur auf die Kauflust der Anleger, sie verstärkt auch die rezessiven Tendenzen in der realen Wirtschaft, wo die Verbraucher in einen Konsumstreik getreten sind und die Unternehmen ihre Investitionen zurückgestellt haben.
Dabei geht es weniger um die konkreten Kosten eines Krieges. Diese beziffert der Wirtschaftsberater der US-Regierung, Lawrence Lindsey, auf „100 bis 200 Milliarden US-Dollar“, was verglichen mit den letztjährigen Steuersenkungen von rund 1,3 Billionen US-Dollar wohl „eher ein Klacks“ sei. Im Golfkrieg 1990/91 hatten die USA selbst nur rund 10 Prozent der Kosten getragen, der Löwenanteil war auf Saudi-Arabien und Kuwait entfallen. Laut Deutsche Bank war der deutsche Beitrag mit 6,6 Milliarden US-Dollar sogar eine halbe Milliarde höher als der US-amerikanische.
Im Mittelpunkt der Sorgen stehen vielmehr der steigende Erdölpreis und die Konjunktur, die in Deutschland mit neuesten Prognosen von 0,1 (Deutsche Bank) bis 0,3 Prozent (Commerzbank) für das laufende Jahr zu zerbrechlich ist, als dass sie einen größeren Schock aushalten könnte. Wie teuer kann das Öl noch werden, wollen Unternehmen und Verbraucher wissen. Wie sicher ist die Ölversorgung? Kann es Rationierungen und Fahrverbote wie 1973 geben? Was wären die Folgen für die deutsche Wirtschaft? Noch mehr Firmenpleiten? Massenentlassungen? Der US-amerikanische Ökonom Paul Krugman fasst es weniger aufgeregt so zusammen: „Die ökonomischen Risiken eines Irakkriegs drehen sich nur um eins: ums Öl.“
Schon jetzt ist der Preis für ein Barrel Erdöl (159 Liter), der Anfang des Jahres noch bei knapp über 18 US-Dollar lag, auf mehr als 28 Dollar gestiegen. Experten sehen darin bereits eine so genannte Risikoprämie, also eine Vorwegnahme möglicher Einschränkungen in Höhe von zwei bis acht Dollar enthalten. An der Verfügbarkeit und am Preis des Rohstoffs hängen weite Teile der Weltwirtschaft. Über den Daumen gepeilt, bedeutet ein Anstieg des Ölpreises um 10 US-Dollar für das Wirtschaftswachstum in der so genannten westlichen Welt ein Minus von einem viertel bis halben Prozent. Denn 75 Millionen Barrel werden täglich weltweit verbraucht – längst nicht mehr so viel wie früher, aber immer noch ein Drittel davon stammt aus der Region, in der noch mehr Potenzial steckt: Insgesamt lagern hier gut zwei Drittel der bekannten, wirtschaftlich förderbaren Ölvorräte.
So sind derzeit unzählige Volkswirte in Ministerien, Wirtschaftsforschungsinstituten, Verbänden und Banken damit beschäftigt, Szenarien für den Kriegsfall zu entwerfen. Auch BASF, Bayer, DaimlerChrysler und andere große deutsche Unternehmen, für die die USA ein wichtiger Markt sind, beschäftigten bis zu einem halben Dutzend Experten mit Modellrechnungen, aus denen sie entsprechende Strategien ableiten wollen. Dabei reicht die Mathematik allein nicht. Außer auf die gewöhnlichen Konjunkturindikatoren können die Volkswirte nur auf historische Analogien zu früheren Krisensituationen und Kriegen zurückgreifen. Eine äußerst spekulative Angelegenheit, bei der erfahrungsgemäß Pessimismus überwiegt (siehe Kasten rechts).
Bislang werden Prognosen vor allem intern genutzt. Die Research-Abteilung der Deutschen Bank ist die erste und bislang einzige, die in ihrem aktuell veröffentlichten „Weltwirtschaftlichen Überblick“ einen Krieg gegen den Irak als gegeben voraussetzt – was ihr prompt Ärger mit anderen Instituten einhandelte, die einen Angriff weiterhin nur unter „Prognoserisiko“ andeuten. „Wir halten es nicht für korrekt, dies bereits vorauszusetzen“, so der Chefvolkswirt der Allianz-Dresdner-Gruppe, Michael Heise. Schließlich sei „eine geordnete Lösung der Krise wahrscheinlicher“.
Trotz des hohen Anteils an Spekulation und Intuition zeigen die verschiedenen Szenarien eine ähnliche Tendenz. Übereinstimmend folgen sie dem Ansatz, dass die möglichen ökonomischen Folgen vor allem von zwei Fragen abhängen: Wie lange dauert der Krieg? Und wird es den USA im Falle eines Sieges gelingen, eine stabile neue Regierung zu installieren? Denn die Antworten bestimmen maßgeblich, wie verfügbar und wie teuer Öl mittel- und langfristig für den Westen sein wird.
Im best case – den auch Grant Aldonas, US-Staatssekretär für internationalen Handel, meint, wenn er sagt, „ein erfolgreicher Angriff auf den Irak würde einen der wahren Schatten beseitigen, die über der Weltwirtschaft liegen, und zugleich den Hahn für irakisches Öl öffnen“ – würden die USA rasch siegen und umgehend ein amerikafreundliches Regime an die Macht bringen.
Zum worst case käme es dagegen, wenn sich der Krieg hinzieht, weil der Widerstand stärker ist als erwartet und es dem irakischen Staatschef Saddam Hussein zudem gelingt, entweder die Förderanlagen in den Nachbarländern oder notfalls auch die eigenen zu zerstören, die Ölfelder in Brand zu setzen und möglicherweise zusätzlich terroristische Angriffe in den USA oder verbündeten Ländern zu organisieren.
Wenn die erste Annahme einträfe, käme es vermutlich zwar tatsächlich zu dem befürchteten Anstieg des Rohölpreises. Dieser sollte nach übereinstimmender Einschätzung der meisten Experten aber schnell vorbei sein, weil sowohl die USA als auch die europäischen Länder ihre Lager gut gefüllt haben und angesichts der schwachen Konjunktur ohnehin eher wenig verbrauchen. Die Volkswirte der Deutsche Bank Research gehen davon aus, dass die Grenze bei etwa 35 US-Dollar liegt, Gustav Horn, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält kurzfristig auch mehr als 40 US-Dollar für möglich.
Mittel- und langfristig erheblich entscheidender dürfte aber sein, dass die USA in diesem Szenario Zugriff auf die irakischen Ölquellen bekämen. Eine ihr genehme neue irakische Regierung könnte die staatlichen Konzessionen zur Ausbeutung dann nämlich an internationale Konzerne vergeben. Und welche das sein dürften, wenn er an die Macht kommt, hat Achmed Chalabi, Chef des Oppositionsverbandes Irakischer Nationalkongress, längst verkündet: „US-Firmen werden vollen Zugang zu irakischem Öl haben.“ Die durch das Ölembargo auf aktuell eine halbe Million Barrel zurückgefahrene Fördermenge würde vermutlich rasch ausgeweitet – sechs oder sieben Millionen Barrel pro Tag wären möglich. Das würde den Ölpreis heftig reduzieren – und die anderen ölproduzierenden Länder der Region unter Druck setzen. Edward Nell und Willi Semmler, Ökonomen an der New School University in New York, glauben, dass es dann „eine regionale Union unter US-Protektion“ gibt, in der sich zumindest der Südirak, Kuwait und die kleineren Golfstaaten zusammenschließen. Bei einer stabilen irakischen Regierung wäre diese Konföderation ein interessanter Verbündeter des Westens und ein wichtiger Puffer für den Fall, dass sich in Saudi-Arabien antiwestliche Kräfte durchsetzen. Denn dann hätte der Westen immer noch rund ein Drittel der Weltölvorräte und wäre unabhängig von saudischem, aber auch von russischem Öl.
Trifft aber – was Nell und Semmler für wahrscheinlicher halten – die zweite Annahme zu, dass der Krieg länger dauert und nicht nur die Öllieferungen aus dem Irak, sondern auch aus den Nachbarländern ganz oder teilweise ausfallen, würde der Ölpreis auf unabsehbare Zeit in die Höhe getrieben. George Perry vom US-amerikanischen Wirtschaftsforschungsinstitut Brookings rechnet bei einem Ausfall der Lieferungen aus Saudi-Arabien oder gar aus dem gesamten Mittleren Osten mit Preisen von 75 bis 161 US-Dollar. Eine Größenordnung, an die allerdings kaum einer seiner Kollegen glauben mag. Einig sind sie sich jedoch darin, dass auch ein Rohölpreis von 40 US-Dollar über einen längeren Zeitraum als die von DIW-Experte Horn für das erste Szenario erwarteten „wenigen Wochen“ verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben würde. Sowohl für die USA als auch für Europa entstünde so mit einem bestenfalls stagnierenden Wirtschaftswachstum, hoher Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen die Gefahr der Stagflation. Die Geldpolitik steckte dann in einer Falle: Erhöht sie die Zinsen, um die Inflation zu bekämpfen, drängt sie die Wirtschaft in die Rezession. Senkt sie sie, um die Konjunktur anzukurbeln, treibt sie die Preise weiter hoch.
Dabei sind die Chancen für Europa und Deutschland insgesamt schlechter als für die USA. Verantwortlich dafür ist zum einen die Ausgangslage: Während die US-Wirtschaft mit einem aufs Jahr hochgerechneten Wachstum von 2,3 bis 2,5 Prozent derzeit zumindest eine moderate Erholung zeigt, haben die Eurozone mit 0,5 bis 0,7 und vor allem Deutschland mit möglicherweise nur noch 0,1 bis 0,3 Prozent die Wende noch nicht geschafft. Gleichzeitig bezieht die Europäische Union dem BP Statistical Review of World Energy 2002 zufolge mit 176,2 Millionen von 637,1 Millionen Tonnen einen viel größeren Teil ihres Öls aus der Golfregion als die USA mit nur 138 Millionen von 895,6 Millionen Tonnen. Hinzu kommt die starke Abhängigkeit von der US-Wirtschaft, die immer noch der Hauptmotor für die Weltwirtschaft ist. Seit 1995 hat sie 40 Prozent des Weltwirtschaftswachstums erzeugt. Wenn ihr Wachstum um ein Prozent zurückgeht, bedeutet das auch ein Minus von 0,5 Prozent für den Euroraum. Der deutschen Wirtschaft könnte dabei ihre starke Ausrichtung auf die Exportindustrie zum Verhängnis werden. Zwar sind die USA mit einem Anteil von 10,6 Prozent nur der zweitwichtigsten Abnehmer, aber laut DIW-Experte Horn dürften „letztlich auch deutsche Lieferungen in alle übrigen Exportregionen leiden“. Schließlich bekämen auch sie die nachlassende US-Nachfrage zu spüren und müssten ihre Aufträge zurückschrauben. Der Export ist jedoch der einzige Faktor, der die Konjunktur in Deutschland überhaupt noch antreibt, denn neben den privaten Konsumausgaben und den Unternehmensinvestitionen fällt auch die öffentliche Hand aus: Allzu oft hat Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) seine Sparziele bekräftigt. So hängt derzeit jeder dritte Arbeitsplatz von den Ausfuhren ab (siehe Kasten). „Unsere Hoffnung beruht allein auf den Exporten“, warnt Hans-Joachim Haß, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).
Mögliche Nachfrageeinbrüche würden vor allem die Automobilindustrie und den Anlagen- und Maschinenbau treffen, die einen Anteil von 30 bzw. 16 Prozent an den deutschen Exporten in die USA haben. Aber auch die Pharmaindustrie ist dort dick im Geschäft. Sie profitiert davon, dass die Preise für Medikamente in den USA kaum kontrolliert werden und entsprechend höher sind.
Eine ganz andere Argumentation, weshalb deutsche Firmen keinen Krieg wollen können, entwickelte der noch amtierende Bundeswirtschaftsminister Müller. Ihm zufolge ist das Irakgeschäft längst nicht abgeschrieben. Im ersten Quartal 2002 stiegen die deutschen Ausfuhren – besonders Baumaschinen, Stahlerzeugnisse, Kraftfahrzeuge, Landmaschinen und Medizintechnik – um 46,6 Prozent auf immerhin 104 Millionen Euro.
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