Rik Reinking hat ein lebendes Tatoo gekauft: Einer, der die Kunst braucht
Schädel, Street Art, Fluxus: Rik Reinking sammelt Kunst. Er lebt ganz in ihr und ist in der Szene doch ein Outsider. Zu seinen Werken hat er ein eher väterliches Verhältnis.
HAMBURG taz | Er ist – nein, damit fängt das Problem ja schon an. Mit all den Schubladen, in die sie ihn stecken, mit all den Superlativen, die sie Rik Reinking anheften. Sie passen: alle nicht. Herr Reinking besitzt eine Kunstsammlung. „Aber habe ich je gesagt, dass ich ein Sammler bin?“ Hm.
Zuhause, in seinem Büro. Ein Schädel aus Lego steht neben solchen aus Afrika, dicht an dicht sind sie nebeneinander aufgereiht – oder kuratiert? –, neben dem Schreibtisch, auf dem sich Papiere stapeln, dahinter Metallregale, mit all den Katalogen, Bildbänden. Überall steht und hängt sie hier, die Kunst, mal wandfüllend, mal eher beiläufig – und dann gibt es ja auch noch die ganzen Lager.
Wie viele Kunstwerke, KünstlerInnen sich in seiner Sammlung finden – er weiß es nicht, und es ist nicht mal Koketterie. „Was bringt diese Zahl?“ fragt er dann und man fühlt sich ein wenig ertappt. Kunst des Informel und des Fluxus ist darunter, Arbeiten des Minimalismus und der Konzeptkunst, der Graffiti- und Street-Art, afrikanische Schädel und Malerei der Gegenwart.
Trotzdem lässt sich die Sammlung auf nichts von alledem festlegen. Sie ist, sagt er, „bestenfalls wie ein Tagebuch“ dazu ein Ort, an dem sich Mensch und Kunst begegnen, sich austauschen sollen, um voneinander zu lernen.
Seinen ersten Eintrag in dieses Tagebuch macht er mit 16, ein Horst Janssen, für 250 Mark, damals noch in Oldenburg. Es ist eine schon zu oft kolportierte Geschichte; sie steht ja auch bei Wikipedia.
„Tim“ wiederum hätte mal der Endpunkt seiner Sammlung sein sollen. „Tim“ ist ein großformatiges Tattoo, gestochen auf den Rücken eines gewissen Tim Steiner. Reinking hat „Tim“ gekauft, für 150.000 Euro, über eine Schweizer Galerie. Mit Vertrag und dem Recht, dass die Haut dereinst mal abgezogen wird, gegerbt und aufgekeilt.
Das Motiv interessiert ihn nicht, nicht der „Besitzerstolz“ oder die mediale Schnappatmung, die zuverlässig einsetzt, wenn „Tim“ mal ausgestellt wird, so wie jetzt in Hamburg, in der Tattoo-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe. Was ihn interessiert, das ist der Gegensatz – zwischen dem, was gemeinhin als „High Art“ und „Low Art“ gilt.
„Für mich gibt es diesen Unterschied, diese Wertung gar nicht“, sagt Reinking. Für die oft distinguierte bildungsbürgerliche Kunstwelt hingegen schon. Manche halten seine Schädel für Ethno-Kitsch. Was seine Sammlung verbindet, sagt Reinking, „ist das zutiefst Menschliche“.
Jene, die über ihn schreiben, interessiert aber oft was anderes. Dann ist er der „jüngste Großsammler“, ein „Turnschuh-Sammler“ oder das „Trüffelschwein“, weil er immer wieder Künstler schon kennt, als noch keiner sie kannte. 2014 wurde er vom britischen „Apollo Magazin“ in der Liste der 40 wichtigsten europäischen Sammler unter 40 gewählt. Er hält all diese Attribute für „Blödsinn“. Und findet sie vor allem: „anstrengend“.
Natürlich sammelt er immer weiter, auch jetzt, nach „Tim“. „Ich brauche Kunst um mich“, sagt er dann. Ein irritierender Satz. Lebt Kunst nicht gerade davon, dass man sie nicht braucht, dass sie sich den Verwertungskriterien und Nützlichkeitsmaximen entzieht? Jedenfalls ist sie ihm nie Statussymbol, ihr Preis – „eine fiktive Zahl auf einem Stück Papier“ – bedeutet ihm nichts, sagt er, und nicht mit der bourgeoisen Attitüde dessen, der es sich leisten kann.
Natürlich: Er wohnt nun zwischen Harvestehude, Rothenbaum und Eppendorf, besseres Hamburg also, altes Haus, hohe Decken, ruhige Lage, mit Garten. Aber was sagt das? Nur, dass er nicht mehr der Typ mit „dem klapprigen Seat“ und der Zwei-Zimmer-Wohnung ist, als der ihn der Spiegel einst beschrieb. Heute hat er kein Auto mehr.
Reinking, der in Hamburg Jura und Kunstgeschichte studierte, ist keiner, der vor allem Erbe ist, der ein Familienunternehmen hat. „Ich muss es schaffen, dass sich das Ganze aus sich selbst heraus finanziert.“ Woher das Geld kommt? Er übernimmt Suchaufträge für Alte Meister. Für andere Sammler. Und er agiert auch mal als Berater, als Kunsthändler.
Er genießt deswegen nicht überall den besten Ruf, Galeristen wie Sammler kritisieren ihn, weil er das eine mit dem anderen verbindet, für sich selbst kauft und zugleich eine Instanz ist, die für Wertsteigerung am Markt sorgt.
Dabei ist er selbst einer, der genau diesen „verwirrten Kunstmarkt“ scharf kritisiert, seine Hypes, die horrenden Preise, die dort für manch einen Künstler bezahlt werden. „Der Preis sagt uns nichts über den Inhalt, die Qualität, den Wert der Kunst“, sagt Reinking. Ob es nicht paradox ist, das Spiel zu kritisieren, das man selbst mitspielt? Er findet: Nein. Es sind halt verschiedene Rollen, die er da einnimmt.
Auch als Vorstand der Artfonds 21 AG, einem „Kunstverein mit Rendite“, wie er das nennt, einer Firma, die Kunstprojekte finanziert – und davon profitiert, wenn‘s gut läuft. Da geht es um Kunst, die „erhebliche Wertsteigerung“ verspricht. Als Sammler treibt ihn anderes an: „Ich erlaube mir den Luxus, Kunst zu kaufen, die sich wirtschaftlich nicht entwickeln muss und wird.“
Und ob ein Banksy – der sich auch bei ihm findet – heute 500.000 Euro kostet, morgen eine Million und nächste Woche noch 500 Euro – es ist ihm egal. Es ändert nichts. „Was ist es denn? Es ist eine Leinwand mit ein bisschen Sprühfarbe drauf, egal was man dann reinprojiziert.“ Natürlich, die Feuilletons berichten immer wieder gerne über Auktionsrekorde. „Aber warum eigentlich?“
2008 wird das erste Banksy-Werk für über eine Million Dollar versteigert. Was teuer ist, macht berühmt, ein bisschen zumindest, auch bei jenen, denen gerade zeitgenössische Kunst sonst fremd bleibt. Und der Preis macht die Kunst irgendwie fassbarer, scheinbar. Nur sagt er eben nichts darüber aus, ob sie gut ist.
Was das ist, gute Kunst? „Kunst, die mich überzeugt. Die ich glauben kann. In der eine authentische Auseinandersetzung spürbar wird.“ Mit was? „Mit was auch immer!“ Reinking guckt sich Meisterwerke genauso gerne an wie Nippes. „Mich interessiert nicht die lauteste Arbeit, sondern die, bei der ich den Künstler am meisten spüre“, sagt Reinking.
„Tim“ hat er trotzdem gekauft. Obwohl sie von einem kommt, den sie gerne mal einen „Skandal-Künstler“ nennen, den Belgier Wim Delvoye. Mit Name-Dropping hat er es nicht so. Er will da nicht mitmachen, auch wenn er könnte.
Seit über 20 Jahren ist der Enddreißiger nun dabei, in dieser kleinen, oft eitlen Szene, und längst kann er nicht mehr einfach unbefangen irgendwo hingehen. Sie kennen ihn ja überall schon. Und wenn er kommt, kommen die Erwartungen. Kauft er nicht, kommt der Selbstzweifel, manchmal auch Ablehnung. Bisweilen schickt er deshalb andere vor, also: wenn er kaufen will. Und befürchtet, sie sehen in ihm den „Thanksgiving-Puter“, wie er das nennt.
Wobei: Er kauft nicht, um zu haben, zu sein. Sein Verhältnis zur Kunst ist eher ein Väterliches. Er will sie beschützen. „Wenn ich etwas kaufe, dann habe ich die Verantwortung dafür übernommen.“ Auch bei „Tim“ ist das so. „Es ist doch ein Unterschied, ob ein privater Sammler für sich kauft oder ein öffentliches Museum erwirbt oder ein Hedgefonds Manager investiert.“ Reinking ist einer, der „Kunst sichtbar machen“ will und doch die Anonymität schätzt.
Vernissagen in einer dieser Schnittchen-Galerien sind ihm ein Gräuel, Orte, an denen es darum geht, wer noch da, wo der Wein ist. „Da bin ich echt zu sensibel für.“ Ein Leben ohne Kunst – kann er sich nicht vorstellen. Er muss das aber auch nicht. Er lebt ganz in der Kunst.
Was er geworden wäre, wenn nicht: ja was denn? Irgendwas mit Kunst? Er hätte vielleicht ein Café, sagt er dann, irgendwas, wo man auch essen kann. Ja, das passt.
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