Richterin Sisi Khampepe in Südafrika: Sie weist Zuma in die Schranken
In Südafrika brauchte es das Verfassungsgericht, um Expräsident Jacob Zuma Grenzen zu setzen. Die Justiz ist das Bollwerk gegen Willkür und Hybris.
S isi Khampepe ist nicht die geborene Heldin. Aber als die Präsidentin des südafrikanischen Verfassungsgerichts am 29. Juni Expräsident Jacob Zuma zu 15 Monaten Haft wegen Missachtung der Justiz verurteilte, wurde sie weltberühmt. Das nicht nur wegen ihres Muts gegenüber einem der mächtigsten Männer des Landes, sondern auch wegen der Empörung, die sie in ihrem Urteil zum Ausdruck brachte.
Zumas Boykott der Untersuchungskommission, die sich mit den Korruptionsaffären während seiner Amtszeit 2009 bis 2018 beschäftigt, und sein herablassender Umgang mit diesen Untersuchungen bedrohten „die Integrität der Verfassung, des Rechtsstaats und dieses Gerichts“, so die Richterin. „Missachtung besteht nicht nur im Akt der Nichterfüllung einer richterlichen Anordnung, sondern umfasst die Art der Missachtung, ihr Ausmaß und ihre Umstände.
Ich muss daher die einzigartigen und skandalösen Aspekte dieser besonderen Missachtung einbeziehen. Würde ich diese Aspekte ignorieren, würde ich mit einem geschlossenen Auge urteilen und mich davor scheuen, angstfrei zu entscheiden.“ Zuma genieße als Expräsident besondere politische Stellung: „Er hat viel Macht, andere dazu zu verleiten, richterliche Verfügungen ebenfalls zu ignorieren, denn seine Handlungen und jedwede Konsequenzen daraus oder ihr Ausbleiben werden von der Öffentlichkeit genau beobachtet.
Wenn sein Verhalten straflos bleibt, fügt er der Rechtsstaatlichkeit erheblichen Schaden zu.“ Selten hat ein höchstrichterliches Urteil solche massiven Folgen gehabt. Kurz nachdem Zuma die Haft antrat, zündelten seine Anhänger und Scharfmacher. In seiner Heimatprovinz KwaZulu/Natal und rund um Johannesburg haben Plünderer fast alle Einkaufszentren ausgeraubt und in Brand gesteckt, über 200 Menschen sind ums Leben gekommen – es sind die schwersten Gewaltausbrüche in Südafrika seit Ende der Apartheid.
Schwerste Unruhen seit Ende der Apartheid
Zumindest die Anfänge dieser bürgerkriegsähnlichen Gewalt hat Zumas Umfeld organisiert – als Kampfansage an den Staat. Viele Hoffnungen der Menschen in Südafrika auf ein besseres Leben nach Ende der Apartheid sind unerfüllt geblieben. Die Integrität der Justiz bleibt jedoch eine zentrale Errungenschaft, wenn nicht sogar die wichtigste.
Ohne Rechtsstaat gibt es keine Investitionen, wird historisches Unrecht nicht aufgearbeitet, werden die alten Segregationsstrukturen und das extreme Gefälle zwischen Arm und Reich nicht überwunden. Die Gerichte sind in Südafrika die letzte Hoffnung derer, die bis heute auf die Früchte der Freiheit warten. Es entbehrt nicht der Ironie, dass Sisi Khampepe ihren Posten ausgerechnet Zuma verdankt.
Die Juristin aus Soweto war eine der ersten unabhängigen schwarzen Rechtsanwältinnen ihres Landes, sie trat schon zu Apartheidzeiten mutig auf – und als Verfassungsgerichtspräsidentin schrieb sie 2019 ein bahnbrechendes Urteil, das den Rechtsbegriff der kriminellen Vereinigung auf Gruppenvergewaltigungen ausdehnte, damit beteiligte Männer unabhängig von ihren konkreten Handlungen verurteilt werden können.
Sie weist nun Zuma in die Schranken und mit ihm den Anspruch vieler Herrscher, auf ewig über dem Gesetz zu stehen. Die Renaissance des Rechts ist in ganz Afrika eine begrüßenswerte Kehrseite des Niedergangs politischer Institutionen. Wo Willkür um sich greift, bleiben am längsten diejenigen staatlichen Akteure übrig, die sich auf höhere Prinzipien berufen können: also Richter mit ihren Gesetzen und Verfassungen.
So konnten in den letzten Jahren Verfassungsrichter in Kenia und in Malawi im Namen des Gesetzes manipulierte Wahlen annullieren und neu ansetzen. In Sudan und in Mauretanien wird gegen bisher als unantastbar geltende Exdiktatoren ermittelt. Geschriebene Regeln erinnern daran, dass es eine höhere Macht gibt als die Laune des Herrschers.
Hoffnungsträger Justiz
Deswegen ist das Beharren auf den Buchstaben obskurer Paragrafen in alten Gesetzestexten oder vergessenen UN-Konventionen dort, wo ansonsten alles in Scherben fällt, eines der wenigen friedlichen Protestmittel. Es ähnelt vordergründig dem religiösen Fundamentalismus, der aus Bibel- oder Koranzitaten Handlungsgebote ableitet – aber es ist Letzterem unbedingt vorzuziehen als Grundlage einer modernen Ordnung.
Afrikas mutige Richter verdienen mehr internationale Aufmerksamkeit. Die Justizsysteme Afrikas sind unterfinanziert, ihre Ausstattung spricht oft elementaren Standards Hohn, eine gute juristische Ausbildung ist ein teurer Hürdenlauf mit schwierigen Auslandsstationen. Und Mut ist gefährlich.
Aus der Elfenbeinküste musste einst der junge Richter Epiphane Zoro fliehen, nachdem er 1999 dem Oppositionsführer Alassane Ouattara die vom Staat abgesprochene ivorische Nationalität bescheinigt hatte, um ihm eine Präsidentschaftskandidatur zu ermöglichen – sein Urteil wurde gekippt, und Zoro verbrachte elf Jahre im Exil; heute ist er unter Präsident Ouattara Minister.
Nicht ganz so mutig war in der Demokratischen Republik Kongo Richterin Chantal Ramazani, die 2016 den wichtigsten Oppositionsführer Moise Katumbi wegen eines Immobiliendeals schuldig sprach und ihn damit von den fälligen Präsidentschaftswahlen ausschloss. Anschließend zog sie ins Exil und enthüllte, wie sie zu dem Urteil gezwungen wurde. Aber Ramazani konnte eben nicht „angstfrei“ urteilen wie ihre südafrikanische Kollegin Khampepe.
Zumas Agieren als Präsident, seine Korrumpierung des südafrikanischen Staats und sein Abräumen aller moralischen Prinzipien der einstigen Befreiungsbewegung ANC sind ein Hauptgrund dafür, warum es den meisten Menschen in Südafrika heute schlechter geht als zu Zeiten Nelson Mandelas. Von der Aufarbeitung der Zuma-Jahre durch die Justiz hängt es ab, ob ein Neuanfang möglich ist, und daher ist der Mut von Richterin Khampepe von epochaler Bedeutung.
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