„Rheinmetall entwaffnen“ in Kiel: Friedenscamp vor der Rüstungswerft
In Kiel veranstaltet die Ini „Rheinmetall entwaffnen“ ihr Sommercamp. Sie ist gegen die Unterstützung der Ukraine, aber für den Kampf in Kurdistan.
Zum fünften Mal veranstaltet das Bündnis ein solches Camp. Sie finden an wechselnden Orten statt, immer dort, wo Waffen produziert, exportiert oder transportiert werden. In Kiel passiert das alles: TKMS produziert U-Boote, die in alle Welt verschifft werden, die Bundeswehr bildet aus und außerdem, erklärt Jona, der Sprecher des Camps, habe Kiel eine Geschichte, an die man anknüpfen wolle.
Durch den Matrosenaufstand von 1918 sei ein Lauffeuer entstanden, das sich in Deutschland ausgebreitet und Mord, Tod und Gewalt verhindert habe, sagt der junge Mann mit Kurzhaarschnitt. Dass von dem Camp in Kiel ein ähnlicher Effekt ausgehen könnte, damit rechnet hier niemand, aber immerhin setzt es ein Zeichen für den Frieden. „Die Rüstungsindustrie zu versenken“ und dem „mittlerweile salonfähig gewordenen Krieg“ den Kampf anzusagen, fordern die Aktivisten.
Es regnet. Jona schiebt einen symbolischen Papppanzer in einen Pavillon und erzählt, dass ihn das Bild eines deutschen Panzers vor den Toren Afrins, einer Stadt in der kurdischen Separatistenregion Rojava, politisiert habe. Türkische Angriffe mit deutschen Waffen auf Afrin gaben auch den Anlass zur Gründung des Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“ 2018.
Jeder kann soviel bezahlen, wie er möchte
Jona spricht jetzt schneller und lauter und von denen, „die den Krieg und den Tod produzieren, anzugreifen“. Er kündigt das Sperren von Werkstoren und Zufahrtswegen an. Seine Utopie ist eine Welt ohne Krieg, ohne das Patriarchat, ohne Nationalstaaten und ohne Imperialismus.
Es ist 14 Uhr, die Sonne scheint und die klamme Wiese dampft ein wenig. Wir gehen zum Küchenzelt und holen uns etwas zu essen. Jeder, der Hunger hat, kann kommen und so viel bezahlen, wie man möchte. Es gibt Penne mit rotem und grünem Pesto. Wir nehmen beides und setzen uns auf die Wiese, weil die Bänke voll sind.
Man müsse „aktiv auf den herrschenden Kurs einwirken“, sei es durch Blockaden oder durch das Stürmen der Hauptversammlung von Rheinmetall, sagt Jona. Sprechen mit der Rüstungsindustrie will er aber auch nicht, dafür sei das Verhältnis der Initiative zu Rheinmetall und Co. einfach zu „antagonistisch“.
Jona räumt ein, dass das Camp kein pazifistisches sei. Die Teilnehmenden unterstützen den Freiheitskampf der kurdischen Separatisten in Rojava, die seit Frühling 2017 für eine autonome Verwaltung in Nord-Ost-Syrien kämpfen. Die Frage, ob das nicht ein Widerspruch ist auf einem Camp, das die Kriegsindustrie versenken möchte, macht ihn etwas ratlos.
Bei der Ukraine liege der Fall anders als bei Rojava, denn die Ukraine sei als Nationalstaat der Gefahr des Krieges in dem globalen Nationalstaatengebilde, in dem wir leben, ausgesetzt. In der Ukraine solle deshalb mehr mit Worten und Diplomatie, aber keinesfalls mit in Kiel hergestellten Waffen gekämpft werden.
Darüber, dass die Antifa Nord-Ost am Dienstag per Instagram dazu aufgerufen hat, Kalaschnikows nach Rojava zu schicken, kann Jona nur schmunzeln. „Wenn die Antifa die irgendwo aufgetrieben hat, warum dann nicht dorthin schicken?“, fragt er. „Aber Kalaschnikows werden ja auch nicht in Deutschland hergestellt“, sagt er und Rojava sei eben kein Spielball der Nato – im Gegensatz zur Ukraine.
Die Linke ist sich keineswegs einig bei dieser Bewertung. Am Samstagvormittag ist deshalb in Kiel eine Gegendemonstration geplant. „Gewaltfreiheit in einer gewaltvollen Welt funktioniert nicht“, stellt ein alter Linker aus der ehemaligen Friedensbewegung fest. Er ist vom „stalinistisch autoritären Camp“ schockiert. Wie solle ein Staat seine eigene Souveränität behaupten, wenn er ohne Handlungsspielraum von einem imperialistischen Angriffskrieg überrollt werde?
„Wir als alte linke Menschen müssen zugeben, dass unsere Vorstellungen vor dem Februar 2022 heute als verklärt gelten müssen“, sagt er. Am Samstag werden die Gegendemonstrant*innen jedenfalls ihre Wut, dass „linksradikaler Klassenkampf gutgeheißen und der Versuch eines, wenn auch aus linker Perspektive nicht perfekten Staates, sich zu verteidigen, diffamiert wird“ auf die Straße tragen.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben eine Passage des Textes rausgenommen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben