Revisionsurteil im Shell-Prozess: Verantwortung fürs Klima: ja. Konkrete Auflagen: nein
Klimaschützer hatten Shell verpflichten wollen, seine CO₂-Emissionen zu reduzieren, und setzten sich 2021 durch. Jetzt kippt ein Gericht das Urteil.
Laut dem Gericht hat Shell, wie andere Unternehmen auch, durchaus eine Verpflichtung, die negativen Folgen des durch CO₂-Ausstoß entstandenen Klimawandels zu begrenzen. Das „Menschenrecht auf den Schutz vor gefährlichem Klimawandel“ gelte nicht nur für Bürger gegenüber ihren Regierungen, sondern auch gegenüber Unternehmen, zumal solchen, deren Aktivitäten zu den Problemen beitragen. Auch durch EU-Gesetzgebung sei Shell gezwungen, „immer weniger Treibhausgase auszustoßen“, so die vorsitzende Richterin de Carla Joustra.
Daraus lasse sich allerdings keine Reduzierung um 45 Prozent oder einen anderen konkreten Anteil ableiten. „In der Klimawissenschaft besteht zum jetzigen Zeitpunkt ungenügend Einigkeit über einen bestimmten Prozentsatz der Reduzierung, an den sich ein individuelles Unternehmen wie Shell halten müsste“, so die kurz nach dem Urteil veröffentlichte schriftliche Version. Weiterhin könne ein Unternehmen nicht dazu verpflichtet werden, die Emissionen seiner Kunden zu vermindern.
Zudem sei es sinnlos, Shell aufzuerlegen, den Weiterverkauf von Öl und Gas anderer Betriebe einzustellen, da konkurrierende Akteure dessen Marktanteile in diesem Fall einfach übernehmen würden. „Jede Reduzierung hat einen positiven Effekt bei der Bestreitung von Klimawandel, doch das bedeutet noch nicht, dass eine Auflage für Shell weltweit entsprechende Folgen hat“, so die Vorsitzende. Im Übrigen sei Shell schon mit der Verminderung des eigenen Ausstoßes beschäftigt, um damit seiner gesellschaftlichen Verantwortung zu entsprechen. Aktuell habe das Unternehmen eine Reduzierung um 30 Prozent erreicht, bis 2050 wolle es 50 Prozent erreichen.
Das Vorgehen gegen Großverschmutzer ist ein Marathon
Es gilt als sicher, dass Hauptkläger Milieudefensie, der niederländische Zweig von Friends of the Earth, nun höchstinstanzlich in Revision geht. Für Milieudefensie ist Shell „einer der größten Klimaverschmutzer der Welt“. Mit dem 2019 begonnenen Prozess legte man den Grundstein für die Strategie, große Unternehmen mit besonders schlechter Emissionsbilanz persönlich für ihren Beitrag zur Erderwärmung verantwortlich zu machen und gegebenenfalls eine Reduzierung gerichtlich einzufordern. Diese Strategie hat man inzwischen auf mehrere andere große Akteure angewendet. Im Januar kündigte man einen Prozess gegen die größte niederländische Bank ING an, der man vorwirft, übermäßig viel mit stark verschmutzenden Unternehmen zusammenzuarbeiten.
In einer Stellungnahme am Dienstagmittag erklärte Milieudefensie-Direktor Donald Pols: „Eines ist sicher: Das Vorgehen gegen Großverschmutzer ist ein Marathon und kein Sprint. Wir werden, auf welche Weise auch immer, weitermachen, bis alle verschmutzende Unternehmen mit der Verursachung gefährlichen Klimawandels aufhören.“ Gegenüber der taz zeigte er sich von dem Urteil überrascht. „Wir haben überzeugend dargelegt, dass Shell seine Emissionen reduzieren muss. Das Gericht folgt unseren Forderungen im Wesentlichen, nur eben ohne eine spezifische Verminderung aufzuerlegen. Wenn man ansonsten inhaltlich recht hat, ist das schon eine bittere Pille.“
Das veränderte gesellschaftspolitische Klima, in dem die Zustimmung für aktive Nachhaltigkeitspolitik schwindet, wollte Pols nicht für das Urteil verantwortlich machen. An der Strategie, gegen individuelle Unternehmen vorzugehen, werde man festhalten. „Das Gericht sagte ja auch, dass sie eine Verantwortung haben“, äußerte sich hoffnungsvoll auch Roger Cox, der Anwalt der Umweltschutzorganisation. Er erklärte, das Urteil betreffe „nicht nur Shell, sondern die gesamte Wirtschaft. Das Gericht sagt sehr deutlich, dass nicht nur Länder, sondern auch Unternehmen eine Verantwortung haben, ihre Emissionen in Übereinstimmung mit dem Pariser Abkommen zu begrenzen.“
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