Revision des Mordprozesses Walter Lübcke: Das falsche Bild eines Einzeltäters
Der BGH hat den Freispruch von Markus H. bestätigt. Es bleiben aber offene Fragen – die nun außerhalb der Gerichte aufgeklärt werden müssen.
D ie Hoffnung der Familie Lübcke war klar: dass der Bundesgerichtshof den Freispruch von Markus H. wegen Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke aufhebt und einen neuen Prozess anordnet. Lübckes Witwe war dafür eigens nach Karlsruhe gereist, hatte vor dem Gericht gesprochen. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Der Bundesgerichtshof bestätigte nun den Freispruch – und wies alle Revisionen im Fall Lübcke zurück. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main habe keine Rechtsfehler begangen. „Sehr schmerzhaft“ nannte die Familie dies.
Zwar bestätigte der Bundesgerichtshof auch die lebenslange Haftstrafe für den rechtsextremen Todesschützen Stephan Ernst. Dessen Schuld aber war unstrittig. Noch bitterer muss die Entscheidung für Ahmed I. ausfallen, einen irakischen Geflüchteten, der 2016 in Kassel niedergestochen wurde. Eine DNA-Spur, die seiner ähnelt, fand sich auf einem Messer, das bei Ernst gefunden wurde. Auch hier aber hatte das Gericht Zweifel, auch hier bleibt es beim Freispruch.
All dies gehört zum Rechtsstaat: im Zweifel für den Angeklagten. Und Gerichte können auch nicht verhandeln, bis sämtliche Fragen geklärt sind, sondern nur die zur Schuld der Angeklagten. Und dennoch bleibt die bittere Enttäuschung der Familie Lübcke und Ahmed I.s verständlich.
Denn das Bild, das nun bleibt, ist das eines Einzeltäters. Aber der war Stephan Ernst nicht. Trotz Freispruch ist klar, dass sein einstiger Kumpel Markus H. den Hass gegen Lübcke mit anstachelte. Er stellte den Videoausschnitt eines Auftritts des CDU-Politikers online, was die Hetze gegen diesen lostrat. Er machte mit Ernst Schießtrainings, spähte laut Lübckes Sohn ihr Wohnhaus aus. Auch die Bundesanwaltschaft wollte für Markus H. fast zehn Jahre Haft.
Die Rechtsextremen werden feiern
Nun bleibt er in Freiheit, die rechtsextreme Szene wird das feiern. Und tatsächlich bleiben offene Fragen – die nun anderswo aufgeklärt werden müssen: indem Markus H. doch noch sein Schweigen bricht. Oder im laufenden hessischen Untersuchungsausschuss. Wie genau lief der Mord ab? Wie konnten zwei bekannte Neonazis aus dem Blick geraten und ungestört mit Waffen trainieren? Gab es nicht doch weitere Eingeweihte? Ernst gab an, er habe gedacht, mit seiner Tat im Sinne der Mehrheit zu handeln.
Es ist der Kampf gegen diese Stimmung, der die wichtigste Aufgabe bleibt. Und er wird nicht an Gerichten geführt. Über Jahre konnte gegen Walter Lübcke ohne Gegenwehr gehetzt werden. Und der Hass trifft viele weitere Menschen in diesem Land. Lübckes Angehörige fordern hier mehr Widerspruch, ein Lauterwerden der Anständigen. Es ist ein Appell, den wir alle verinnerlichen sollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands