Reproduktive Rechte: Tagesreise zum Schwangerschaftsabbruch?
Wie nah ist nah genug für eine angemessene Versorgung? Die Bundesländer lehnen strenge Vorgaben für die Erreichbarkeit von Abtreibungseinrichtungen ab.
taz | Joachim Volz gibt nicht auf. Er streitet weiter für das Recht, als Chefarzt der Gynäkologie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu können. Gegen ein ablehnendes Urteil des Arbeitsgerichts Hamm hat er Rechtsmittel eingelegt. Eines ist ihm aber bereits gelungen: Es wird wieder über die mangelhafte Versorgungslage bei Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch diskutiert.
Volz arbeitet am Klinikum Lippstadt (NRW). Nach der Fusion seiner evangelischen Klinik mit einem katholischen Träger erhielt er Anfang 2025 die Anweisung, keine Abtreibungen mehr durchzuführen, außer in eng begrenzten medizinischen Notfällen. Das Arbeitsgericht Hamm lehnte seine Klage dagegen ab. Der Arbeitgeber könne derartige Vorgaben machen. Keine Rolle spielte für das Gericht Volz’ Argument, dass die Frauen der Gegend um Lippstadt kein ausreichendes Angebot für Schwangerschaftsabbrüche mehr finden.
Im Schwangerschaftskonfliktgesetz, einem Bundesgesetz, heißt es: „Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher.“ Doch was ist ein „ausreichendes Angebot“? Das Gesetz macht hierzu keine konkreten Vorgaben.
Im Sommer wurde die Elsa-Studie zur Lage ungewollt Schwangerer veröffentlicht. Die Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums kommt zum Ergebnis, dass in 85 Landkreisen (davon 43 in Bayern und 8 in Baden-Württemberg) keine ausreichende Erreichbarkeit von Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch besteht. Als Kriterium gilt hier, ob mindestens 95 Prozent der Bevölkerung eines Landkreises binnen 40 Minuten mit dem Auto eine entsprechende Klinik oder Arztpraxis erreichen können.
Nur Bremen hat wirksame Regelung
Zur Situation in Lippstadt sagt das NRW-Gesundheitsministerium auf Anfrage, dass es in Lippstadt durchaus ein konkretes Angebot gebe. Gemeint ist eine Tagesklinik, die operative und medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Weitere Einrichtungen in Bielefeld, Dortmund, Gütersloh und Hamm seien mit dem Pkw in 40 bis 60 Minuten erreichbar.
Die Bundesländer akzeptieren das 40-Minuten-Kriterium der Elsa-Studie aber ohnehin nicht. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz schreibe keine Wohnortnähe vor. Ausreichend sei, wenn die An- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln an einem Tag machbar ist. Dementsprechend gehen alle Bundesländer davon aus, dass sie die gesetzlichen Anforderungen für ein „ausreichendes Angebot“ erfüllen.
Das Kriterium der Tagesreise stammt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch von 1993. Der Bundestag könnte im Schwangerschaftskonfliktgesetz aber durchaus strengere Anforderungen vorgeben. Außerdem könnte der Bundestag regeln, dass die Länder bei schlechter Versorgungslage öffentliche und private Krankenhäuser verpflichten können, ein ausreichendes Angebot sicherzustellen. Laut Bundesverfassungsgericht ist dies möglich, erfordert aber eine spezielle gesetzliche Grundlage.
Bisher gibt es nur ein Bundesland, das eine solche Regelung geschaffen hat. In Bremen trat 2023 ein Gesetz in Kraft, nach diesem „ergreift und finanziert die Freie Hansestadt Bremen Maßnahmen, die auf die Herbeiführung und Sicherung eines bedarfsgerechten Angebots hinwirken“. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhardt (Linke) sind jedoch keine Versorgungsengpässe bekannt. Deshalb gab es auch noch keine entsprechenden Maßnahmen.
Es ist ein Paradox, dass ausgerechnet ein Bundesland mit guter Versorgungslage bereit ist, Engpässe zu beseitigen. Allerdings versichern auch die übrigen Länder, dass sie an einer besseren medizinischen Versorgung interessiert sind und deshalb zum Beispiel an Ärzt:innen appellieren, entsprechende Angebote zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert