Repressionen in Belarus: Im Hausarrest
Der Staat treibt in Belarus mit seinen Bürgern seltsame Spiele. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 93.
A m 23. Mai musste ein Flieger der Fluggesellschaft Ryanair in Minsk notlanden. An Bord waren Roman Protassewitsch, einer der Gründer und ehemalige Chefredakteur des Telegramm-Kanals NEXTA, der in Belarus offiziell als extremistisch bezeichnet wird, und seine Freundin Sofia Sapega. Die Festnahme des Paares stieß auf weltweite Resonanz.
Sapega wird beschuldigt, an Massenunruhen teilgenommen sowie zu sozialer Feindseligkeit und Zwietracht aufgestachelt zu haben. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Freiheitsentzug. Roman Protassewitsch soll sich dreier Straftaten schuldig gemacht haben: Aufstachelung zu sozialer Feindseligkeit und Zwietracht, Organisation von Massenunruhen sowie von Aktionen, die die öffentliche Ordnung massiv verletzen. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Protassewitsch gab dem staatlichen Fernsehsender ONT ein Interview, in dem er sich erkenntlich zeigte – einen Anwalt hatte man bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu ihm vorgelassen. Am 25. Juni tauchte in den sozialen Netzwerken jedoch die unerwartete Nachricht auf, dass sich die beiden jetzt in Hausarrest befänden, allerdings in unterschiedlichen Minsker Wohnungen.
„Wir stehen unter Schock, ich habe Schwierigkeiten zu dem Vorgehen der Staatsmacht Stellung zu nehmen und was das Ziel dabei ist“, kommentierte Protassewitschs Vater die Situation gegenüber der BBC. „Sie sind doch trotzdem unter voller Kontrolle des Staates, die Anschuldigungen gegen sie wurden ja nicht fallen gelassen. Die Anwälte und Behörden sagen der Familie immer noch nichts. Uns berichtet niemand etwas über Romans Zustand oder seinen Status, das ist doch reine Schikane.“
35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.
„Wieso glauben viele, dass Protassewitsch und seine Freundin wegen der Sanktionen (die die EU gegen Belarus verhängt hat, Anm. d. Red.) in Hausarrest sitzen?“, schreibt die Journalistin Tatjana auf Facebook über die aktuelle Situation. „Mit den Sanktionen ist die Forderung verbunden, dass alle frei gelassen werden, nicht nur Protessewitsch. Ich denke, seine Bedingungen wurden dank der Zusammenarbeit gelockert und die Sanktionen hatten damit nichts zu tun. Obwohl die Staatsmacht das als einen Schritt zur Verbesserung der Situation ausgeben kann.
„Das ist natürlich sehr interessant“, schreibt die Journalistin Ewgenja, die Belarus wegen der Repressionen verlassen hat. „Ich habe sofort gedacht, wer wohl der Vermieter dieser Mietwohnungen ist?“
„Na, wie fühlt Ihr Euch bei dieser Nachricht“, wendet sich der Minsker Anton an die Anhänger*innen Lukaschenkos. „Ein Terrorist durch und durch wurde in den Hausarrest entlassen. Funktioniert Eure Logik noch, ist das Gehirn noch nicht explodiert? Wer hat noch vor ein paar Tagen gesagt, dass Sanktionen gar nichts brächten und das Land noch stärker machen würden?“
„Sie nehmen jetzt eine neue Staffel mit Geiseln auf: Roman Protassewitsch und Sofia Sapega wurden heute in der Nähe des Flusses Swislotsch gesehen (unweit der Redaktionsräume des Staatsfernsehens)“, schreibt Anton Motolko, Gründer eines Telegramm-Kanals. „Heute habe ich im Gorki-Park gegen 17 Uhr gesehen, wie ein grauhaariger Journalist vor einer großen Kamera in einem blauen Koffer am Ufer der Swislotsch ein Interview mit Protassewitsch (das ist sicher) und Sapega (wahrscheinlich) gemacht hat. Etwas entfernt davon fuhr Miliz auf und ab.“
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Am 21. Juni hat der Rat der Europäischen Union sein viertes Sanktionspaket gegen das Regime von Alexander Lukaschenko beschlossen. Von außen betrachtet, sieht das alles nach einem seltsamen staatlichen Spiel aus – Hausarrest. Sie versuchen, uns da hinein zu ziehen. Es ist nicht klar, woher diese Mietwohnungen kommen, warum Sapega mit ihren Eltern ins Restaurant und mit Protassewitsch Hand in Hand an einer Uferstraße in Minsk spazieren geht. Mit diesen Menschen wird nur gespielt, eigener Interessen wegen. Derzeit gibt es in Belarus mehr als 500 anerkannte politische Gefangene.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
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