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Illustration: Oliver Sperl

Repression gegen die linke SzeneAngst als politisches Kalkül

Hausdurchsuchungen und Überwachungsmaßnahmen: Der Staat geht zunehmend härter gegen die linke Szene vor. Was macht das mit den betroffenen Menschen und Strukturen?

Timm Kühn
Von Timm Kühn aus Berlin, Jena und Leipzig

D ie Nacht auf den 15. März 2023 endet für Ronja und Piet M. abrupt. „Aufmachen, Polizei!“, hören sie von draußen. Eine Einheit des Thüringer SEK steht auf der Terrasse des Hauses der beiden Eltern, die aus Angst vor Nazis ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Kaum hat Piet M. die Terrassentür geöffnet, so erzählt er es der taz, ziehen die Po­li­zis­t:in­nen den völlig nackten Mann in die Nacht und werfen ihn auf den kalten Steinboden. Beamte fesseln seine Hände auf dem Rücken mit Kabelbindern, knien auf seinem Oberkörper. M. muss später vom Notarzt behandelt werden.

Im ersten Stock rennt seine Tochter ans Fenster. „Ihr bringt meinen Papa um! Lasst meinen Papa in Ruhe!“, schreit sie. Die Be­am­t:in­nen stürmen ins Schlafzimmer, erzählen die M.s weiter, wo nicht nur die beiden Eltern, sondern auch ihr damals 8-jähriger Sohn geschlafen habe. Gleichzeitig schlagen Po­li­zis­t:in­nen in der Küche eine Glastür mit einer Ramme ein. Ronja M. hört das Rumpeln der Treppe, als die Be­am­t:in­nen in den ersten Stock vorrücken – wo sich die Zimmer der beiden anderen Kinder, damals 13 und 16 Jahre, befinden. Auch diese Räume werden von bewaffneten und vermummten SEK-Kräften gestürmt. „Auf den Boden, ich will deine Hände sehen!“, habe ein Beamter die 16-jährige Tochter der M.s angebellt.

Auf taz-Nachfrage zu den Ereignissen während der Durchsuchung haben sich das LKA Thüringen, die Staatsanwaltschaft Dresden und die Generalbundesanwaltschaft nicht geäußert. Man äußere sich nicht zu laufenden Verfahren, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft.

Keiner der an diesem Morgen im Haus anwesenden Menschen hat etwas verbrochen. Die Polizei ist auf der Suche nach der ältesten Tochter der M.s, die sich damals seit einem Monat ihrer Verhaftung entzieht. Die Be­am­t:in­nen verdächtigen sie, sich im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf Neonazis beteiligt zu haben, die sich dort für einen SS-Gedenkmarsch zum „Tag der Ehre“ trafen. Zuletzt waren im sogenannten Budapest-Komplex die Antifas „Gino“ in Paris und Thomas J. (Szenename „Nanuk“), in Berlin festgenommen worden.

Die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn Ende Juni wurde vielfach als unrechtsstaatlich kritisiert. Dort sitzt sie seither in Isolationshaft. Auch dass kürzlich die in Nürnberg in U-Haft sitzende Hanna S. wegen „versuchten Mordes“ angeklagt wurde, werten Un­ter­stüt­ze­r:in­nen als Versuch, mit überdrehten Anklagepunkten Druck auf die Untergetauchten auszuüben. Die hatten in der Vergangenheit erklärt, sich stellen zu wollen, wenn ihnen Verfahren in Deutschland zugesichert werden – worauf die Behörden bisher aber nicht eingegangen sind.Doch in Städten wie Leipzig und Jena, wo viele der Untergetauchten herkommen, sind längst nicht nur die Untergetauchten von dem Ermittlungsdruck betroffen.

Illustration: Oliver Sperl

In Verfahren wie dem Budapest-Komplex ermittelt die Polizei nach Paragraf 129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dieser Vorwurf, für die Polizei leicht zu erheben, eröffnet Er­mitt­le­r:in­nen quasi das gesamte Repertoire an Überwachungsmaßnahmen: Hausdurchsuchungen, Observationen, das Abhören von Telefonen, der Einsatz von Kameras, Peilsendern und verdeckten Ermittler:innen. In Strukturermittlungsverfahren werden soziale Netzwerke der radikalen Linken durchleuchtet, wobei sich die Polizei erst mal für je­de:n interessiert, di­e:der mit Verdächtigten in Verbindung stehen.

Die Wahrscheinlichkeit etwa, als unbeteiligte Person Be­trof­fe­ne:r einer Hausdurchsuchung zu werden, steigt in Städten wie Leipzig inzwischen offenbar schon durch das Wohnen in einem linksradikalen Milieu an. Zwar wird nicht offiziell erfasst, wie oft die Polizei Hausdurchsuchungen durchführt, schreibt das LKA Sachsen auf taz-Nachfrage. Eine der taz vorliegende Antifa-Recherche, die auf öffentlichen Quellen basiert, kommt jedoch alleine in Leipzig seit 2020 auf 82 Hausdurchsuchungen, die Antifakontexten zugerechnet werden können.

Am 15. März 2023 etwa, als die Polizei bei Familie M. anrückt, werden in Leipzig und Jena 13 Wohnorte durchsucht. Bei Hausdurchsuchungen geht die Polizei unterschiedlich vor: Mal verhalten sich die Beamten höflich – mal fragwürdig. Ein Bewohner einer WG in Leipzig-Connewitz berichtet etwa der taz, das SEK habe seine Wohnungstür aufgeschossen, sein Zimmer gestürmt und ihn 45 Minuten gefesselt – was die Polizei in dieser Länge dementiert. Einem Bericht der linken Rechtsschutzorganisation Rote Hilfe zufolge wirft das SEK in den Flur einer Jenaer Wohnung eine Blendgranate. Nur gefasst wird niemand. Kei­ne:r der Untergetauchten hält sich in den durchsuchten WGs und Elternhäusern auf.

Laut der Rechtsanwältin Waltraut Verleih komme es immer wieder vor, dass Durchsuchungen im Nachgang als rechtswidrig erklärt werden: Etwa, weil Wohnungen gewaltsam geöffnet, Räume Dritter betreten oder zu viele private Dinge fotografiert werden. Betroffene müssten dafür aber auf eigene Kosten einen Anwalt engagieren, das Geld gebe es auch im Erfolgsfall nicht zurück. „Das Gesetz geht davon aus, dass es keine rechtswidrigen Hausdurchsuchungen gibt“, sagt Verleih. Ersetzt würde nur der materielle Schaden. „Dass Sie vielleicht Schlafstörungen haben, von ihren Nachbarn gemieden werden oder ihr Vermieter sie kündigt, hat da keine Relevanz“, so Verleih.

In Leipzig hängt der gestiegene Ermittlungsdruck viel mit der Soko Linx zusammen, einer Sonderkommission für linksextreme Straftaten des LKA Sachsen, ins Leben gerufen im November 2019. Damals hatte sich der Kampf gegen die Gentrifizierung Leipzigs aufgeheizt, einige Baustellenfahrzeuge brannten, die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma wurde zu Hause von Unbekannten attackiert. Wohl auch als Schützenhilfe für den Leipziger Oberbürgermeisterwahlkampf, in dem sich die CDU als Law-and-Order Kraft aufspielte, gründete Roland Wöller (CDU), damals Innenminister Sachsens, öffentlichkeitswirksam die Soko Linx. „Klarer politischer Populismus“, sagt die Linken-Politikerin Juliane Nagel heute dazu.

Seither steht die Einheit unter Rechtfertigungsdruck – und zeigt sich ihrerseits hoch motiviert, Strukturen der organisierten Kriminalität in der linken Szene zu finden. Die Einheit ist in viele Verfahren involviert. Am Bekanntesten ist sie aber für ihre Konstruktion der Gruppe um Lina E., den Budapest-Komplex und für Ermittlungen gegen linke Ultras des Fußballclubs Chemie Leipzig. Immer ranken sich Skandale um die Einheit. So sind etwa Ermittlungsdetails über Beschuldigte beim gesichert rechtsextremen Compact-Magazin aufgetaucht. Der ehemalige Leiter der Soko Linx, Dirk Münster, wurde damals nicht müde, in Interviews eine linke Terrorgefahr zu beschwören. Im Frühling 2023 erklärte Münster etwa, seine Einheit habe noch eine Liste von etwa 150 Links­ex­tre­mis­t:in­nen im Visier.

In einem interkulturellen Zentrum in der Jenaer Altstadt erzählen Ronja und Piet M. weiter davon, wie ihre Hausdurchsuchung abgelaufen ist. Die beiden wirken im Gespräch locker, sie scheinen keinen großen Wert auf Formalitäten zu legen. Doch wenn Ronja M. von der Hausdurchsuchung spricht, spannt sich ihr ganzer Körper an. Noch immer klingt sie fassungslos.

„Die haben mich nicht zu meiner Tochter gelassen“, sagt sie immer wieder. Nachdem die SEK-Beamten das Kinderzimmer stürmten, habe sie nur zu ihrem 13-jährigen Sohn gedurft. Piet M. sei in der Küche festgesetzt worden, von der Familie isoliert. Ihre damals 16-jährige Tochter sei eine Stunde mit einem SEK-Beamten allein gewesen, erzählt Ronja M. Sie habe das Weinen ihrer Tochter im anderen Zimmer gehört. Doch der Einsatzleiter habe nur gehöhnt: „Jetzt kann sie mal zeigen, ob sie groß ist.“

Die M.s erzählen, von Anfang an seien die Be­am­t:in­nen menschenverachtend aufgetreten. „Wir brauchen jetzt mal die Pässe von diesem Gedöns“, habe ein Beamter gesagt, „Wir dürfen hier alles“ ein anderer. Als Ronja M. einen Anwalt anruft, habe ihr ein Polizist das Handy abgenommen. Als sie zu ihrer Tochter wollte, habe der Einsatzleiter gesagt: „Wollen Sie das wirklich? Das wir Sie auf den Boden packen und so gewaltsam mit Ihnen sind, während ihre Kinder zuschauen?“. Ronja M. sagt: „Ich bin überzeugt, dass an uns ein Exempel statuiert werden sollte, damit unser Kind sich stellt.“

Betroffene berichten von Panikzuständen

In einer kürzlich veröffentlichten Dokumentation des nichtkommerziellen Medienkollektivs Le-Je, das für diesen Text Teile seiner Recherche mit der taz geteilt hat, berichten zahlreiche Betroffene von Hausdurchsuchungen und daraus resultierenden Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch der taz berichten mehrere Betroffene von Schlafstörungen, Panikzuständen und Flashbacks. So auch Familie M. Insbesondere um ihre Kinder mache sie sich Sorgen, erzählt Ronja M. Ihr jüngster Sohn, damals acht Jahre alt, habe starke Anzeichen von Traumatisierung gezeigt. Er habe oft schlecht geschlafen, angefangen, sich in seinem Zimmer Höhlen zu bauen. Bald nach der Durchsuchung habe er sich plötzlich an nichts mehr erinnern können.

Dafür sei der eigentlich sehr eigenständige Junge seinen Eltern ständig hinterhergelaufen, habe ihre Nähe gesucht. Die Schule habe gemeldet, dass seine Konzentration nachlasse, dass er jedes Mal, wenn er einen neuen Raum betritt, sich mit dem Rücken zur Wand setze. „Es ist besser geworden“, sagt Ronja M. Aber noch vor Kurzem, als sie in der Stadt auf dem Fahrrad an einem Streifenwagen vorbeifahren, habe der inzwischen 9-Jährige anhalten müssen, um Luft zu holen.

Der Soziologe Philipp Knopp von der Bertha-von-Sutt­ner-Universität in St. Pölten sagt, martialisches Auftreten könne Teil der Einsatztaktik der Polizei sein. Eine Wohnung sei für die Polizei ein unbekannter und damit potenziell unsicherer Raum. Gleichzeitig sei ein solches Auftreten auch eine „proaktive Legitimierung“, eine Botschaft: Die Durchsuchten sind so gefährlich, dass ein solches Auftreten nötig ist. „Die Polizei glaubt wirklich, dass es sich bei Antifas um gefährliche Kriminelle handelt, vergleichbar der organisierten Kriminalität – und setzt entsprechende Mittel ein“, sagt Knopp.

„Es gibt Studien über Deutungsmuster in der Polizei, die zeigen, dass Linke oft als Störer und Rebellen gesehen werden“, so der Soziologe. Für Rechte gelte das nicht gleichermaßen. Pegida-De­mon­stran­t:in­nen hätten in Sachsen beispielsweise lange als „normale Bür­ger:in­nen“ gegolten, die „nur ihre Meinung vertreten“. Das sei ein gesamtgesellschaftlich geteiltes Bild. „Rechte gelten oft – trotz allem – zumindest als ordentlich“, sagt Knopp. Diese Sichtweise trage dazu bei, dass linke Gewalt oft als gefährlicher wahrgenommen werde als rechte.

Ein:e Ak­ti­vis­t:in aus diesem vermeintlich gefährlichen Milieu ist Samy A. In einem Café im Leipziger Stadtteil Connewitz erzählt A. von besseren Zeiten. A. ist bei Kappa Leipzig organisiert, einer antiautoritären kommunistischen Gruppe. Weil auch gegen A. Ermittlungsverfahren laufen, möchte A. weder bei echtem Namen genannt werden, noch das eigene Geschlecht in der Zeitung lesen. A. sagt, eine ganze Zeit lang habe in der Leipziger Szene „ein Gefühl der Überlegenheit“ geherrscht. Die Polizei habe nach Aktionen oft im Dunkeln getappt, sei damit gescheitert, linke Strukturen zu zerschlagen. Die Stimmung in Connewitz sei heiter gewesen.

Heute sei das anders. „Die Leichtigkeit ist weg“, sagt A. Die Gründe dafür seien vielfältig: Die Pandemie, Vorfälle von sexueller Gewalt in der Szene. Doch eine wichtige Rolle spielten eben auch die vielen Ermittlungsverfahren. Es gebe ein „diffuses Gefühl der Angst“, alle bekämen mit, was passiert, auch wenn sie nicht direkt betroffen seien. Aktuell sei es in Connewitz zwar wieder ruhiger geworden, erzählt A., weil viele Verfahren in Gerichtsschleifen hängen – doch die Soko Linx habe klar signalisiert, nicht nachzulassen. Auch auf Demos trete die Polizei repressiver auf, lasse weniger durchgehen.

Der größte Druck habe während des Antifa-Ost-Verfahrens um Lina E. bestanden, sagt A. „Da wurden teils Leute gemieden.“ Viele hätten Angst gehabt, plötzlich auf Basis von Kennverhältnissen in Akten und Ermittlungen aufgenommen zu werden. Menschen, die sich vorher grüßten und guten Kontakt hatten, taten plötzlich so, als würden sie sich nicht kennen. „Sich in Strukturermittlungsverfahren nicht zu isolieren, ist für jedes Umfeld eine enorme Belastungsprobe“, sagt A. Die letzten Jahre hätten viele Freundschaften belastet, auch kaputt gemacht.

Die Repression lähmt uns. Leute ziehen sich aus dem Aktivismus zurück oder sind verunsichert. Unglaublich viele Ressourcen müssen für Soliarbeit aufgewendet werden, die dann für andere Kämpfe fehlen

Samy A., Ak­ti­vis­t:in

Doch die Szene habe keinen produktiven Umgang damit gefunden. Lediglich die üblichen verbalradikalen Reflexe habe es gegeben, eine „Mund abwischen, weitermachen“-Rhetorik. Dem Staat bloß keine Schwäche zeigen, sei die Mentalität gewesen. Im Mai letzten Jahres hat sich Kappa deshalb unter dem Titel „Die Repression wirkt. Reden wir darüber“ an die Szeneöffentlichkeit gewandt. Darin argumentiert die Gruppe, Gefühle der Schwäche zuzulassen. „Obwohl es schwerfällt – wir müssen uns einfach eingestehen, dass die Zermürbungstaktik der Polizei auch erfolgreich ist“, sagt A.

„Die Repression lähmt uns. Leute ziehen sich aus dem Aktivismus zurück oder sind verunsichert. Unglaublich viele Ressourcen müssen für Soliarbeit aufgewendet werden, die dann für andere Kämpfe fehlen“, sagt A. Gibt es keine Strukturen zum Umgang mit den psychischen Folgen der Repression, bleibe die nötige Care-Arbeit zudem oft an Flintas hängen. Auch das könne Freundschaften und Strukturen weiter belasten.

Auch die Linken-Politikerin Juliane Nagel sieht die Angst und Einschüchterung, die die Hausdurchsuchungen in den letzten Jahren ausgelöst haben. „Gleichzeitig gibt es aber auch einen großen Solidarisierungseffekt“, sagt sie. In den letzten Jahren habe sich auch ein bürgerrechtsaffines und erweitertes linksliberales Spektrum zunehmend gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus gestellt. „Am Tag X nach dem Urteil gegen Lina E. sind etwa viele Leute über ihren Schatten gesprungen und haben ein solidarisches Zeichen für Antifaschismus gesetzt – obwohl sie Gewalt doof finden“, sagt Nagel.

Und tatsächlich ist keineswegs ausgemacht, dass die Repression erfolgreich ist. Einerseits koste die öffentliche Stigmatisierung als „kriminell“ einer sozialen Bewegung oft Ressourcen, sagt Soziologe Knopp. Andererseits könne Repression eine Bewegung sogar stärken. „Wenn sich genügend Akteure solidarisch zeigen, zeigt Repression vor allem, wie stark die Unterdrückung, wie groß die Ungerechtigkeit ist“, sagt er. Derzeit trifft die wachsende Repression aber auf eine Schwächephase linker Bewegungen – nicht nur in Sachen Antifaschismus. So werden auch die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation von Po­li­ti­ke­r:in­nen in die Nähe des Terrorismus gerückt, in Präventivhaft gesteckt und inzwischen in drei separaten Verfahren als kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 verfolgt.

In einem Café in Berlin-Kreuzberg nippt eine Sprecherin dieser vermeintlich kriminellen Organisation, Carla Hinrichs, an einem frisch gepressten Orangensaft. Auch bei Hinrichs ist die Polizei bereits am frühen Morgen teils vermummt und mit gezogenen Waffen eingebrochen. Das Haus ihrer Eltern wurde ebenfalls bereits durchsucht. Und auch Hinrichs kämpft mit den Folgen, dem Gefühl des Ausgeliefertseins. „Am frühen Morgen muss nur der Hausmeister die Mülltonnen rausbringen – und ich sitze senkrecht im Bett“, sagt sie.

44 Durchsuchungen gegen Letzte Generation

Laut dem RAZ e. V., einer der Letzten Generation nahestehenden Unterstützer:innen-Gruppe, hat es seit Dezember 2022 insgesamt 44 Durchsuchungen im Kontext der Ermittlungen gegen die Letzte Generation gegeben. Demnach wurden Wohnungen auch mal nur wegen Besprayens eines Weihnachtsbaumes am Brandenburger Tor durchsucht. Auch weitere Dritte – ein Kontoverwaltungsservice, ein bei Fridays for Future engagierter Bühnentechniker sowie zwei Werbeagenturen – waren laut der Gruppe von Razzien betroffen.

Die Letzte Generation eckt mit Straßen- und Flughafenblockaden an – bleibt aber immer betont gewaltfrei, die Ak­ti­vis­t:in­nen stehen mit Klarnamen und Gesicht zu dem, was sie tun. Hinrichs versteht deshalb nicht, warum es bei ihr überhaupt eine Hausdurchsuchung gab. Die Polizei müsse nicht herausfinden, wer die „Hintermänner“ der Letzten Generation sind. Die Organisationsstruktur sei auf der Webseite der Gruppe festgehalten. „Offensichtlich wollten sie Druck aufbauen, sie wollten mich und meine Beziehungen zu den Menschen um mich herum kaputt machen“, sagt die Aktivistin.

Für den in der Klimakrise weitgehend untätig bleibenden Staat sei eine Bewegung des massenhaften zivilen Ungehorsams gefährlich, betont sie, insbesondere, wenn sich Ak­ti­vis­t:in­nen nicht von Strafen abschrecken ließen. Hinrichs glaubt deshalb, der Staat wolle die Gruppe durch Durchsuchungen „einschüchtern“.

Sowohl Hinrichs als auch A. gehen nicht davon aus, dass die Repression nachlassen wird. A. sagt, die Zeit des vermeintlichen liberalen Umgangs des Staates mit Linken sei eine „Illusion“ gewesen. A. gehe davon aus, dass sich die gesellschaftlichen Krisen – Wirtschaft, Kriege, Klima, Migration – in den kommenden Jahren eher noch zuspitzen. „Der Staat muss in Krisen Handlungsfähigkeit beweisen“, sagt A. Weil aber innerhalb kapitalistischer Verhältnisse die Krisenursachen nicht bewältigt werden könnten, werde der Staat besessen davon, Härte zu zeigen – gegen Bürgergeldempfangende, Migrant:innen, An­ti­fa­schis­t:in­nen und eben Klimaaktivist:innen.

Neben Öffentlichkeitsarbeit seien vor allem Supportsysteme wichtig, sagt Hinrichs. „Wenn meine Wohnung noch mal durchsucht wird, weiß ich, dass danach zwei meiner besten Freunde auf der Matte stehen werden, mich in den Arm nehmen, einen Sekt öffnen oder mir Wasser in die Badewanne einlassen, was immer ich gerade brauche.“ Solche Absprachen seien neben dem Netz von An­wäl­t:in­nen und Psycholog:innen, das die Letzte Generation inzwischen aufgebaut habe, enorm wichtig.

„Es braucht wieder ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass Linkssein bedeutet, mit Repression konfrontiert zu werden“, sagt A. – und zwar ein Stück weit unabhängig davon, für welche Aktionsformen man sich entscheide. Das sei hart, aber kein Grund, in Panik zu verfallen. „Denn ohne die Dinge zu beschönigen: Es ist möglich, mit Repression leben zu lernen“, sagt A. „Es ist ja genau wie in der Klimakrise“, lacht Hinrichs. Selbst wenn die Menschheit heute aufhöre, CO2 auszustoßen, die Klimakrise sei unvermeidlich. Genauso ließen sich die vielen bereits laufenden Verfahren gegen die Letzte Generation nicht mehr aufhalten. Ein bisschen gebe das einem ja auch Bestätigung. „Ich kämpfe ja gegen die Zerstörung, die vom Staat ausgeht“, sagt Hinrichs. „Wenn der sich wehrt, heißt das, dass ich irgendwas richtig mache.“

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18 Kommentare

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  • "Der Staat geht zunehmend härter gegen die linke Szene vor."

    Wenn er das tut, reagiert er vielleicht auf die Gewalterfahrungen von Polizisten durch die linke Szene, z. B. Hamburg WWF vor ein paar Jahren:

    SPIEGEL: Auf dem Gerüst am Schulterblatt 1 und auf den Dächern entlang der Straße lägen Molotowcocktails, Eisenstangen und Zwillen bereit, auch Feuerlöscher und Gehwegplatten. "Verletzungen bis hin zum Tod" würden billigend in Kauf genommen."

    15-Kilo-Gehwegplatten von den Dächern geschmissen sind nicht ohne.

    www.spiegel.de/spi...hah-a-1182459.html

    • @shantivanille:

      Wieder einmal Halbwahrheiten? Die Behauptungen der Polizei, dass Molotovcocktails bereitlagen wurden später sogar von der Tagesschau widerlegt. Das man deswegen Leute mit Schussfreigabe in die Viertel geschickt hat -aufgrund nachweislicher Lügen- blieb für alle beteiligten Beamten mal wieder straffrei.

  • Durch solche Geschehnisse gerät auch bei uns die Demokratie in ernste Gefahr. Putin, AfD, BSW, Trump, Orban, Meloni etc. etc. freuen sich schon jetzt - ist doch ihr Grundgedanke der, die lästigen Meinungen anderer Leute zu eliminieren - wie auch immer.



    Und wo bleiben unsere Demokraten?? Die halten sich bedeckt oder finden das auch noch prima, gell Herr Söder?

  • Der Rechtsruck ist damit komplett.

    Jagdszenen uniformierter Kräfte hinter angeblich Linken hatten wir schon.



    Prügelszenen gegen Links hatten wir schon



    MP Salven auf unschuldige Minderjährige hatten wir schon.

    Und all das nicht vor 80 Jahren ...

  • Mir kommt das alles wie ein böses Spiel vor. Die Polizei gegen die Linksextremisten und umgekehrt. Die Fronten sind häufig verhärtet. Ein positiver Artikel in der linken Presse über die Polizei - undenkbar.

    Für die Linken sind Polizisten (verkappte) Gewalttäter, ungerecht und natürlich rechts(extrem), mit einem "Wort": ACAB. Die Antifas & Co. sind für die Polizei Gewalt- und Straftäter.

    Die gegenseitige Provokationen scheint beiden Parteien besonderen "Spass" zu machen, es ist wohl eine Art Folklore. Die Einen überreizen Hausdurchsuchungen, die Anderen planen "Aktionen". Aufhören? Auf keinen Fall! Dafür ist es zu schön, das böse Spiel. ;-)

  • Die extreme Linke nimmt genauso die Opferrolle ein wie der braune Rand der dummen Alternativen:



    Im Arikel steht doch "A. ist bei Kappa Leipzig organisiert, einer antiautoritären kommunistischen Gruppe." oder "Die Letzte Generation eckt mit Straßen- und Flughafenblockaden an – bleibt aber immer betont gewaltfrei" Was ist an Flughafenblockaden gewaltfrei? oder " Damals hatte sich der Kampf gegen die Gentrifizierung Leipzigs aufgeheizt, einige Baustellenfahrzeuge brannten, die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma wurde zu Hause von Unbekannten attackiert." Brände legen -Bürger attackieren... und ihr findet das rechtens? Was habt ihr für ein Verständnis von Recht und Unrecht? Die Braunen sind schlauer als ihr... die treten lieber fadenscheinig als Opfer auf und nicht als Täter. Bekämpft die braunen und nicht den Staat, das würde euch besser stehen!

    • @Krumbeere:

      Ein wohltuend ausgewogener Kommentar. Die Braunen kann man eh vergessen...aber die Linken sind auch nicht immer die Guten und machen mehr falsch als richtig.

  • Eigentlich ja fast schon lustig, dass sich Sachsen und Thüringen an Linken abarbeiten.



    Sind alle gewalttätigen Rechten schon verhaftet und weggesperrt?

  • Der Rechtsruck erstreckt sich überall hin. Schon kurz vor der Pandemie wurde in Tübingen ein Wohnprojekt polizeilich Videoüberwacht. Das Ganze wurde nur zufällig von Nachbarn entdeckt. Natürlich erwies sich die Aktion als rechtswiedrig. Das selbe Projekt wurde mehrfach durchsucht mit nur wenigen Monat Abstand. Unter anderem mit der Begründung das ein Bewohner bei einer Straftat in Stuttgart beteiligt gewesen sei, obwohl dieser nachweislich zum gleichen Zeitpunkt in einer anderen Stadt auf einer friedlichen Demo war. Die meisten Polizisten sehen ihre Hauptfeinde links.

    • @Lui:

      Da sie die Pandemie ansprechen: Die starke Regulierung, verbunden mit Einschränkungen der Grundrechte, war kein genuin „rechtes“ Machwerk. Der Versuch eine Impfpflicht für alle einzuführen, kam auch von rot-grün. Diese Meldestellen gegen „Diskriminierung“, sind ein autoritäres linkes Projekt. Das Narrativ, alles Autoritäre käme von links ist jedenfalls nicht haltbar. Im Übrigen bringt uns das Lagerdenken nicht weiter, mit Blick auf Probleme.

  • Wenn Robert Habeck eine Anzeige gegen einen Rentner erstellt, der eine erkennbare Satire, nämlich "Schwachkopf professional" anstelle der Werbung "Schwarzkopf professionell" weiterleitet und die Staatsanwaltschaft willfährig dafür eine Hausdurchsuchung (!) für angemessen hält, dann frage ich mich, was insgesamt mit dem Rechtsstaat passiert.

    Inzwischen wurde ein Antisemitismusvorwurf nachgeschoben - der Beschluss der Hausdurchsuchung fußte ausschließlich auf o. g. Vorwurf.

  • Wann kommt massives Vorgehen gegen OK?

    • @Erfahrungssammler:

      Gegen die OK ?



      Dann wäre es keine OK denn OK hat IMMER Köpfe in der Politik.

  • „Ich kämpfe ja gegen die Zerstörung, die vom Staat ausgeht“, sagt Hinrichs. „Wenn der sich wehrt, heißt das, dass ich irgendwas richtig mache.“



    Muß nicht zwingend so sein. Aber es kann ein Hinweis darauf sein, dass die Verwaltung überfordert ist, weil eine Verhaltensänderung nötig wäre. Diese funktioniert in den wenigsten Fällen von heute auf morgen. Bei Staatsbediensteten dauert das zudem etwas länger, da sie täglich ein gefordertes Kontinuitätsverhalten einüben. Da widerstrebt es um so mehr, wenn verständliche Änderungen angesagt sind, aber die Blase in der gearbeitet und gelebt wird, ein Beibehalten des bisherigen Verhaltens einfordert.



    Also ist das sich erwehren in den häufigsten Fällen nur der Hinweis jemand ist aufgewacht und hat bemerkt das er/sie sich ändern soll/muss; das Gewissen hat sich gemeldet. So gesehen stehen die Aktionen der LG noch am Wirkanfang einer umfassenden gesellschaftlichen Veränderung. Daher ist der Widerstand dagegen auch so hart. Später wird die LG als verrückt bezeichnet und danach sind die Forderungen zur Veränderung eine Selbstverständlichkeit. Menschen wie Dirk Münster werden dann viel verzeihen müssen, um weiter haufrecht leben zu können.

  • Es gibt zwei Trends, die zeigen, dass die stärkste Gefährdung für demokratische Mitbestimmung von Vertretern des demokratischen Staates ausgeht:







    Da ist zu einem die Steigerung des Potenzials staatlicher Repressionen durch (i) Aufrüstung der Polizei und (ii) Ausweitung der Polizeibefugnisse. Begründet werden diese Maßnahmen regelmäßig damit, dass Einsatzkräfte die Einsatzkräfte besseren geschützt und wirksamerer Mittel in die Hand bekommen müssten. Dass (politische) Gewaltverbrechen sich in den letzten 30 Jahren qualitativ oder quantitativ extrem verändert hätten, kann man kaum feststellen.

    Da ist zum zweiten die zunehmend doktrinäre Behauptung einer untrennbaren Allianz von repräsentativer Demokratie und (markt-)liberalem Gesellschaftsmodell, die jeden Gegenentwurf und jede Kritik als extremistisch diffamiert und hegemoniale Ordnungsgewalt beansprucht. Egal ob die Kritik von z.B. Verfechtern radikaler Demokratie, von links, rechts oder aus der Ökobewegung kommt, sie steht immer, nicht ganz zu Unrecht, einen Systemwandel zu fordern und gilt damit als potenziell verfassungsfeindlich, ergo strafbar.







    Die wehrhafte Demokratie droht in der eigenen Wagenburg zu ersticken.

  • Soko Linx & SEK. Da sind doch anständige Medien gefragt, sich als Recherche-Team zusammenzutun, um rauszufinden und zu veröffentlichen, wie viele von diesen "BeamtInnen" mit der AfD, den Freien Sachsen und schlimmeren faschistischen Gruppierungen verbandelt sind.

    • @Ardaga:

      Also ich sehe Recherchen zu den Identitäten von aktiven SEK-Beamten als nicht sonderlich aussichtsreich an.



      Bei der SoKo LINX wird man sicherlich fünding, nur wird es im sächsischen Innenministerium + Regierung niemanden stören.

  • Das kann man alles der EU melden, und dann zusehen, wie die EU schweigt.