Reportage aus Trumps Amerika : Nacktfotos mag er gar nicht
Clinton ist Rentner, Demokrat, Bernie-Sanders-Fan, religiös, gesellschaftskonservativ und Waffenbesitzer. Eindrücke aus dem Alltag im Trump-Amerika.

taz FUTURZWEI | Als Clinton mich fragt, wie es mir geht, weiß ich erst nicht, was ich antworten soll.
Ich fliege nach drei Monaten Aufenthalt aus den USA zurück nach Deutschland. Mathilda sitzt neben mir, und Clinton ist der Vorname des Mannes, der uns zum Flughafen fährt.
Drei Monate haben wir in Easton, Pennsylvania, in einem Haus gelebt. Während die ersten 100 Tage der neuen Trump-Regierung verstrichen, sind wir 6.000 Kilometer durchs Land gefahren, um mit allen möglichen Leuten zu sprechen.
Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Boks, 28, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Fuentes, 30, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
„Mir geht es super“, sage ich schließlich und denke daran, wie sehr mir die amerikanische Gesprächskultur fehlen wird.
Mit Mathilda habe ich in Diners stundenlang darüber diskutiert.
„Die Kellnerin hat gerade wörtlich übersetzt gesagt. ‚Ich bin so erleichtert, dass es euch geschmeckt hat‘“, hatte sie mir verwundert in unserem Lieblingsfrühstücksrestaurant gesagt. „Stell dir mal vor, das würde jemand in Deutschland sagen, die Leute wären doch super skeptisch!“
Adornitische Alltagseindrücke
Wenn es eine typisch deutsche Alltagsirritation in Amerika gibt, dann ist es die Attitüde, die Kassierer:innen und Kellner:innen in Restaurants oder Einkaufsläden an den Tag legen. Adorno, der während der Nazizeit im Exil und darüber hinaus in den USA lebte, hat sich diesem Phänomen 1958 in seinem Essay „Kultur und Culture“ gewidmet und herausgestellt, wie Deutsche in der amerikanischen Freundlichkeit zuerst Oberflächlichkeit sehen.
Sie würden sofort eins und eins zusammenzählen und daran denken, wie die amerikanischen Kellner:innen mit ihrer herzlichen Art das Trinkgeld, mit dem sie bezahlt werden, einheimsen müssen oder Kassierer:innen nur deswegen so viel lächeln, weil sie vom kapitalistischen Boss des Ladens dazu gezwungen werden.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°33: Wer bin ich?
Der Epochenbruch ist nicht mehr auszublenden. Mit ihm stehen die Aufrüstung Deutschlands und Europas im Raum, Kriege, Wohlstandverluste, ausbleibender Klimaschutz. Muss ich jetzt für Dinge sein, gegen die ich immer war?
Mit Aladin El-Mafaalani, Maja Göpel, Wolf Lotter, Natalya Nepomnyashcha, Jette Nietzard, Richard David Precht, Inna Skliarska, Peter Unfried, Daniel-Pascal Zorn und Harald Welzer.
Adorno fragt in seinem Vortrag dann irgendwann sinngemäß, was die Deutschen eigentlich wollen – Anschnauzer und ungefilterte Unfreundlichkeit zum Frühstück, nur damit sich das alles im Nachhinein viel echter und tiefer anfühlt?
Und auch heute frage ich mich, was seltsamer ist: ein wenig geschauspielerte Feel-Good-Vibe-Atmosphäre? Oder Leute, die nach einem super Essen von der Freundlichkeit der Bedienung, die nur leicht vom Ost-Berliner lowest standard – „Ick werd dir wat husten Hafamilch, Hafamilch, ham wa nich!“ – abweicht, so sehr irritiert sind, dass sie dafür Adorno heranziehen müssen?
Jeder Tag ein Kulturschock
Eigentlich ist hier jeder Tag ein Kulturschock, denke ich.
Gestern haben wir bei Freunden gefeiert und aus irgendeinem Grund hat sich niemand zum Essen hingesetzt (!). Zudem gab es in der top designten Küche ausschließlich Plastikgeschirr - und Besteck. Diese Unsitte haben Mathilda und ich aber erst intern im Auto vermerkt, weil wir vom Haus der Gastgeber:innen so fasziniert waren.
Eine entweihte Kirche, in der die beiden erst geheiratet haben, dann vor lauter Euphorie eingezogen sind und in der sich jetzt das wohl größte James Brown-Porträt der Welt befindet. Einer der Gastgeber aus der Kirche hat seit Trumps Wahl aufgehört, jegliche Form von Nachrichten zu konsumieren und sagt, dass er noch nie so glücklich war. Aber es ist im Alltag fast unmöglich, nicht an Trump und seine Politik zu denken.
An den Häusern, in denen wir sonst zu Gast waren, sind Pride und Transflaggen befestigt, während in den Nachbarstraßen „Trump/Vance“- Banner wie Gardinen aushängen. „Trump macht hier alles kaputt, sogar Familien! Manche reden nicht mal mehr miteinander!“, sagt Clinton, während sein Blick starr auf die Straße gerichtet ist. „Ich habe nicht für diesen Mann gestimmt und vermeide es möglichst, über ihn zu reden.“
Lebensunterhalt als Identität
Clinton ist Demokrat, Afroamerikaner, Schlagzeuger in einer Band und zweimal pensioniert. Seine erste Rente bekommt er von seinem Job als Gefängniswärter. Arbeit ist für Clinton wichtig, aber im Gegensatz zu vielen Deutschen ist nicht die Arbeitsstelle als Ort das identitätsstiftende – viel mehr die Tatsache, dass man Arbeit hat und seine Rechnungen bezahlen kann.
Er ist der Typ US-Bürger, der in der Kirche für dich betet, seine Nachbar:innen respektvoll in Ruhe lässt und sein Leben vor allem nach Moral ausrichtet. Gerade die ist aber von einem so klassisch amerikanischem Wertesystem geprägt, dass er im Gespräch für Europäer:innen immer etwas edgy klingt. Besonders, wenn er es so selbstbewusst vorträgt:
„Na klar besitze ich noch immer meine Dienstwaffe, habe sie zwar noch nie benutzt und lobe jeden Tag, an dem das nicht passiert. Aber wenn mich jemand umnieten will, dann bin ich froh, dass ich sie habe.“
Es ist das Thema, das die meisten linken Europäer:innen am liebsten in Stellung bringen, wenn in Gesprächen ausnahmsweise mal positiv über die USA gesprochen wird. Allerdings scheint sich das Waffenthema jetzt in seiner Absurdität einfach nur noch in eine immer größer werdende Liste einzureihen, die die USA unliebenswert machen, während Trump und sein Gefolge gerade versuchen, das Land in eine Autokratie zu verwandeln.
Hass auf die USA
„Wir waren vorher schon ein sehr gehasstes Land“, sagt Clinton betreten. „Jetzt hasst uns wirklich jeder!“
Es wirkt nicht so, als würde Clinton aus linken oder identitätspolitischen Gründen gegen Trump sein. Ich weiß nicht einmal, ob Clinton vor Trumps Amtsantritt sonst im Alltag viel über Politik geredet hat. Trotzdem hält er jetzt auf der weiteren Fahrt eine Wutrede, die ihn wirken lässt wie einen Kampagnenhelfer von Bernie Sanders.
Clinton bezieht zwei Renten und muss Uber fahren, um zu überleben. Freund:innen von ihm verkaufen ihre Immobilien aus Angst, bankrott zu gehen.
Viele könnten aufgrund der neuen, miesen Wirtschaftslage mit ihren Paychecks nicht mehr von Monat zu Monat, sondern nur noch Woche zu Woche planen. Und dann gäbe es noch die Leute in seinem Bekanntenkreis, die trotzdem glauben, durch ihren Präsidenten reicher, schöner und erfolgreicher zu werden. „Sie vergessen, dass Trump sich einen Dreck um sie kümmert“, ruft er in Richtung Straße, klopft mit der flachen Hand auf das Lenkrad und regt sich so leidenschaftlich auf, wie man sich in einem sicheren Raum voller Gleichgesinnter über die dummen MAGA-Leute und AfD-Wähler aufregen kann.
„Aber ich weiß echt nicht, wie ich mit Leuten umgehen soll, die mir erklären, dass sie Trump gewählt haben“. Also versucht er das Thema irgendwie auszublenden, um nicht verrückt zu werden. Mit Bekannten würde das ganz gut gehen, aber wie das mit seiner republikanischen Schwester funktionieren soll, weiß er noch nicht. Seit der Wahl haben sie noch kein Wort miteinander gesprochen.
Reisewarnungen für die „älteste Demokratie der Welt“
Mir fällt ein, wie Mathildas und meine Eltern, meine Oma und Freund:innen uns gefragt haben, ob sie uns in den USA besuchen dürfen. Dann zählten sie immer auf, welche amerikanische Großstadt sie sehen, was sie dort essen und welche Süßigkeit sie probieren wollen, um dann aber immer wieder klarzustellen: „Aber wenn ihr nicht da wärt, würden wir jetzt auf keinen Fall in die USA reisen!“
Laut einer Umfrage des Stern von Ende April würden derzeit 54 Prozent der Deutschen aufgrund der politischen Lage von Reisen in die USA absehen. Von den Leuten, die die Linkspartei wählen, sind es sogar über 76 Prozent. Nur die Mehrheit der AfD-Wähler hält USA-Reisen gerade für vollkommen unbedenklich. Deutsche Reiseanbieter berichten von spürbaren Einbrüchen in ihren USA-Angeboten.
Clinton kann durch seine Rente bei American Airlines, seinem zweiten ehemaligen Arbeitgeber, kostenlos mit Firmenflugzeugen durch die Welt fliegen. Aber am liebsten bleibt er in den USA, erklärt er. Nur einmal war er in Europa. Das war 1998, um mit seiner Familie ein Mädchen in Frankreich zu besuchen, das bei ihnen als Austauschschülerin gewohnt hatte.
Clinton erzählt davon, wie herzlich seine europäischen Gastgeber:innen waren. „Aber die Kinder dort, ja? Die haben getrunken!“, sagt er aufgebracht. „Bier und Wein, als wäre es nichts! Mit 16!“
Im französischen Haus hat er dann in einem Fotoalbum Urlaubsbilder der Familie angeschaut und das Buch schnell weggelegt, als darin auf einmal lauter Nacktfotos der Gastgeberin am FKK-Strand aufgetaucht sind. Für die französische Familie war es offenbar ok, und der Gastgeber habe ihn sogar ermuntert, doch weiter durch das Album zu blättern.
Bill Clinton in Frankreich
„Und da habe ich mir gedacht: Was ist los mit dem Mann?“, fragt Clinton so aufgeregt, als hätte er die Bilder gerade zum ersten Mal gesehen. „Wenn ich solche Bilder hätte, würde ich die irgendwo verstecken, aber ich würde es doch nicht Gästen zeigen!“, fährt er fort. „Ich meine, ich habe selten das Verlangen, Gästen Nacktbilder meiner Frau zu zeigen!“
Damals, 1998, wurde im Fernsehen gerade von Clintons Präsidentennamensvetter Bill Clinton und dessen Affäre mit einer Praktikantin berichtet.
„Und weißt du, was die Franzosen zu mir gesagt haben?“, fragt Clinton unverändert entsetzt. „Die sagten: ‚Oh ihr Amerikaner, ihr seid so spießig. Unser Präsident fährt mit seiner Geliebten und seiner Frau in den Urlaub, jeder weiß das und niemand stört sich dran’.“ Er schüttelt stakkatohaft den Kopf. „Man, Man, Man“, sagt er. „Die Franzosen sind schon ein eigenartiges Volk.“
Damals war alles anders, als das, was er kannte. Und irgendwie war es eine der schönsten Reisen seines Lebens.
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