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Reparationsforderungen von PolenBaerbock gibt Warschau einen Korb

Die polnische PiS-Regierung wollte erneut über Weltkriegsreparationen sprechen. Die Frage sei „abgeschlossen“, stellte die Außenministerin nun klar.

Klipp und klar: Für Außenministerin Baerbock ist das Thema Reparationszahlungen an Polen durch Foto: Christoph Soeder/dpa

Warschau taz | Angesichts einer drohenden Wahlniederlage im Herbst 2023 fordern Polens Nationalpopulisten erneut Kriegsreparationen von Deutschland. Dieses Mal will die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 1,3 Billionen Euro haben. Das wären mit 36.000 Euro pro Einwohner rund 16.000 Euro mehr als noch zu Zeiten von Kanzlerin Angela Merkel, als viele Polen voll Hoffnung auf einen Scheck in Höhe von 20.000 Euro warteten.

Doch anders als bisher, als deutsche Politiker versuchten, das Reparationsthema diplomatisch zu umschiffen, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstag in Warschau klipp und klar, dass das Thema „rechtlich abgeschlossen“ sei.

Für Polens Außenminister Zbigniew Rau ist Baerbocks klare Absage eine schwere Schlappe, hatte er doch am Tag zuvor eine „diplomatische Note“ mit der offiziellen Forderung an Berlin nach „Aufnahme von sofortigen Verhandlungen“ unterzeichnet.

Am 1. September, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen 1939, hatte der PiS-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk den neuesten Schadensbericht vorgestellt. Erarbeitet hatte ihn eine PiS-Parlamentariergruppe, Experten und Mitarbeiter der Stiftung Lux Veritas, die zum rechtsklerikalen Medienimperium von Pater Tadeusz gehört.

Baerbock macht einen Gegenvorschlag

Da sich sowohl PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński als auch Premier Mateusz Morawiecki im Kampf um die Gunst der Wähler mehrfach öffentlich darüber empörten, dass Polen „niemals“ Reparationen oder Entschädigungen aus Deutschland erhalten hätte, kommen diese auch im Schadensbericht nicht vor.

Dabei hat das Polnische Institut für Internationale Politik bereits 2004 zwei Bände herausgegeben, in denen die Reparationsleistungen von 1945 bis Ende 1953 penibel aufgeführt sind: Züge, Busse, Lokomotiven, Schienen, Lkws, Straßenbahnen, Baumaterialien, Baumaschinen, Zahnarztstühle, Mähdrescher, Traktoren sowie Produkte aus der laufenden Produktion.

Auf der Konferenz von Jalta im Frühjahr 1945 legten die vier Siegermächte USA, Frankreich, Sowjetunion und Großbritannien fest, dass der Wert der Reparationen, die Deutschland nach der Kapitulation zu leisten hatte, bei 20 Milliarden US-Dollar liegen sollte. Die Sowjetunion sollte Reparationen im Wert von 10 Milliarden erhalten, davon Waren im Wert von 1,5 Milliarden US-Dollar an Polen abgeben.

Auf der Konferenz von Potsdam 1945 gestanden sich die Alliierten das „Recht auf Entnahme von Reparationen“ in den jeweiligen Besatzungszonen Deutschlands zu, die Beschränkung auf den Wert von 20 Milliarden US-Dollar fiel weg. Zudem wurde Polen die „Verwaltung Ostdeutschlands“ bis zur Oder-Neiße-Grenze übertragen und die Vertreibung der dort noch lebenden Millionen Deutschen beschlossen.

Polen übernahm alle Immobilien, die Infrastruktur, die Bergwerke, Stahlhütten und Fabriken, aber auch zurückgelassenes Haus- und Wohnungsinventar von Millionen Menschen, ohne dass dies in den Reparationsbericht eingegangen wäre.

Und Baerbock? Sie machte der PiS-Regierung in Polen einen Vorschlag: Im Gedenken an die Vergangenheit, an die deutsche Okkupation und die Nazi-Verbrechen in Polen sollten heute die Partnerländer Deutschland und Polen versuchen, „gemeinsam Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und diese auch gemeinsam zu gestalten“, sagte sie am Dienstag in Warschau.

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16 Kommentare

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  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Vielleicht hilft es zur Versachlichung der Diskussion, sich einmal durch eines der zugrundeliegende Gutachten zu quälen.

    www.bundestag.de/r...71-17-pdf-data.pdf

    Das Thema nun wieder hervorzukramen, hat Gründe, die offensichtlich nichts mit der Rechtslage zu tun haben. Im Jahr 2006 erklärte die damalige polnische Außenministerin Fotyga (übrigens PiS):



    "Die Position der polnischen Völkerrechtslehre ist überwältigend eindeutig und lässt keinen Zweifel daran, dass Polen auf Reparationen von Deutschland verzichtet hat." Die polnische Regierung habe in der Vergangenheit [also vor 2006] immer wieder erklärt, "dass das Problem der Realisierung der polnischen Reparationsansprüche gegenüber Deutschland abgeschlossen sei".

    wiadomosci.gazeta....a-watpliwosci.html

    • @47351 (Profil gelöscht):

      Danke für den BT-Gutachtenlink -

      Weiß ja nicht - ob Sie jurist sind. But.



      “Schließlich regelt der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 („Zwei-plus-Vier-Vertrag“), der anstelle eines Friedensvertrages geschlossen wurde, nach Auffassung der Bundesregierung abschließend alle Rechtsfragen bezüglich der Kriegsfolgen und Reparationspflichten.…“



      & Däh



      Mit einer solchen Formulierung “…nach Auffassung der Bundesregierung…“ - wa! Klarer kannste in einem Gutachten ( ebenso Schriftsatz etc.) nicht deutlich machen! “Ob das stimmt? - vermutlich nicht! - lassen wir mal lieber offen! Woll

      kurz - Genauso ist es! Da ist nix abschließend - & zwar über Reparationsleistungen!! - geregelt!



      Alles andere sind die bekannten Nebelkerzen der BRD seit 1953 & heute Schlands • da capo al fine - 🙀🥳 -

  • Die Vergangenheit ist nicht vergangen, sie ist nocht einmal vorbei.



    Die jetzt so schön gewinnen in der Ukraine, oder auch nicht, dieser deutsch/polnische Konflikt zeigt das Ergebnis von Kriegen.



    Ausser Spesen nichts gewesen?



    Doch, da waren Millionen Menschen, die alles verloren haben, sogar ihr Leben.



    Dieses Kapitel mit Juristerei abzubügeln, ausnahmslos von CSU bis zur Linken, zeugt von nicht verstanden haben.



    Macht ruhig so weiter, ihr Werte Politiker.

  • Ich selbst stehe "weit links" von der Mitte und bin weder katholisch, noch habe oder werde jemals PIS wählen. Wenn es aber darum geht von Deutschland Widergutmachung für die Verbrechen, den Raub und die Vernichtung von Menschen und Vermögen zu fordern, trage ich dieses zu 100 Prozent!!!! Das gilt für die meisten Polen, die sich zur Zeit in Opposition befinden. Wir wollen Gerechtigkeit.

    Die Verträge, auf die sich Deutschland heute beruft wurden von Regimen unter sowjetischer Knute geschlossen und sind nicht gültig.

    Darum, Polen und auch alle anderen Ländern, den Deutschland Geld schuldet lassen sich nicht länger verarschen!

    • @V M:

      Was für eine Gerechtigkeit? Das Ganze ist eindeutig juristisch abgeschlossen und hat keinerlei Erfolgschancen.

      Sie sind weniger links als ultrabationalistisch genauso wie die meisten Polen die in Duetschland leben. Überall müssen flaggen sein, rassistisch biss ins Mark den Roma und Muslimen gegenüber, aber die Polen sind die aller ärmsten. Sie sind die Opfer der globalen Zoros verschörung. Wäre lustig wenn es nicht traurig wäre

    • @V M:

      Eine interessante Idee, daß Verträge, die von "Regimen unter sowjetischer Knute" geschlossen wurden, nicht gültig sind: das trifft dann wohl auch auf das Görlitzer Abkommen vom 06. Juli 1950 zu und auf den Warschauer Vertrag vom 07. Dezember 1970.

  • Nach 1953, 1970 und den späteren Verlautbarungen aus dem wiedervereinigten Deutschland ist die Sachlage keineswegs juristisch unklar. Es gab Gutachten beider Parlamente zu den Fakten, im Netz abrufbar, aber lang und im Jurist:innendeutsch. Das Thema nationalistisch motiviert im Wahlkampf auf die Agenda zu setzen, das ist kein Novum. Möglicherweise taugt es aber diesmal nicht zum Joker.



    /



    m.faz.net/aktuell/...nski-18288157.html

  • "Im Gedenken an die Vergangenheit, an die deutsche Okkupation und die Nazi-Verbrechen in Polen sollten heute die Partnerländer Deutschland und Polen versuchen, „gemeinsam Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und diese auch gemeinsam zu gestalten“.

    Das könnte fast als eine Aufforderung verstanden werden, sich dem Klimakollaps entgegenzustellen.

    Leider gibt es dafür im Rahmen der konkreten Handlungen beider Regierungen nicht den geringsten Hinweis.

    Es ist unwahrscheinlich, dass in 10 bis 15 Jahren noch irgendjemand behaupten würde, die jetzigen Regierungen wären ihrer Verantwortung gerecht geworden.

    Wer bei Warnzeichen, wie globalen Hitzewellen, Überflutungen, massenhafter Ausbreitung von Erkrankungen in betroffenen Ländern einfach weiter so macht, praktiziert das Gegenteil von Verantwortung. Der UN Generalsekretär spricht von einem internationalen Versagen und fordert, dass der globale Süden für die verursachten Schäden entschädigt wird.

    Er hat jedoch keine Macht und die, die ihm in der UN zuhören, wie Annalena Baerbock ordnen die Klimakatastrophe in ihren praktizierten Prioritäten ganz unten ein. Viele Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen werden dafür eines Tages einen Preis zahlen, den bereits jeder erkennen kann, der ihn sehen will.

  • Leider einer dieser Beiträge, der doppelt so lang sein dürfte, um den Sachverhalt auch nur grob zu beleuchten. Und ich hätte nicht gedacht, in der taz einen Artikel zu lesen, der auf die plumpe Argumentation "dafür haben die doch die deutschen Ostgebiete bekommen" hinausläuft.

    Da fehlt mindestens die polnische Westverschiebung nach 1945, die polnische Verzichtserklärung 1953, der Verlauf der 2+4-Verträge 1990 und der deutsch-polnische Grenzvertrag von 1990, um Lesern den historischen Hintergrund von Reparationsforderungen nahe zu bringen.

  • Zur Zeit von Solidarnosc war die Unterstützungsbereitschaft für Polen in unserer Familie groß. Wer bangten mit und packten Päckchen.



    Nach dem Beitritt Polens zur EU wurde es stark gefördert.



    Leider schien die Liebe zum Nationalismus in Polen ebenso zuzunehmen wie die Wegentwicklung von der Demokratie. Die Ablehnung der EU ist da nur die Spitze des Eisbergs. Ich will nicht alle Polen über einen Kamm scheren und vielleicht gewinnt ja auch nicht die Pis!?



    Aber meine persönlichen Sympathiewerte gegenüber dem Land sind deutlich gefallen.



    Die persönliche Aufbauhilfe, die ich vor Jahren leistete, würde ich heute nicht mehr anbieten.



    Wieso sollte ich für die Unterstützung eines Landes sein, das mein Land diffamiert?



    Leider begegnete ich in jüngster Vergangenheit nur Polen, die ebenfalls sehr nationalistisch eingestellt sind, obwohl sie teilweise schon seit Jahren in Deutschland leben.



    Das Fischsterben in der Elbe und die Begleitumstände haben die Liebe zu Polen nicht reaktiviert.

    pacta sunt servanda, liebe Polen.



    Wenn Ihr vor Jahrzehnten in die Verträge eingewilligt habt, könnt Ihr heute nicht neue Forderungen stellen.

  • Hübsch - daß ihr unter “Mehr zum Thema“ - den Hauptartikel nicht aufführt!



    Mangelnde Professionalität? Absicht?

  • Die Polen sollen sich als Rechtsnachfolger der Sowjetunion an Russland wenden, weil die Polen in der Reparationsfrage von der Sowjetunion über den Tisch gezogen wurden, schrieb die taz im Stil des Kalten Krieges, wissend, dass infolge des Jochs einer Diktatur in Polen eine freie Willensbildung unmöglich war und Reparation beim Zwei plus Vier Vertrag keine Rolle spielte.

    Jahrzehntelang kümmerte es niemanden, dass es sich bei dem Begriff „Wiedergutmachung“ um einen juristisch geprägten Begriff handelte, der die ethische und moralische Dimension vollkommen ausblendete. Israel lehnt den deutschen Begriff "Wiedergutmachung" zurecht ab.

    Niemand kritisiert, dass Baerbock die Ablehnung weiterer Reparationen an Polen rein juristisch begündet und die moralische Dimension der Zerstörungen der Deutschen in Polen lediglich nutzt, um eine gemeinsame Erinnerungskultur zu beschwören.

    Wie schon bei der „Wiedergutmachung“ stehen zuerst juristisch ummantelte ökonomische deutsche Interessen und nicht eine genaue ökonomische Bilanz der ungeheuren deutschen Zerstörungen in Polen - und der daraus resultierenden materiellen und immateriellen Verluste - im Vordergrund der deutschen Außenpolitik.

    Zum Mitschreiben: ca. drei Millionen jüdische pölnische Staatsbürger und 1,9 Millionen nicht jüdische polnische Zivilisten wurden infolge der NS-Politik getötet. u. a. wurde Warschau vollkommen zerstört und kulturelle Schätze in ungeheuren Ausmaß ebenso.

    Michael Schefczyk weist in seiner Untersuchung „Verantwortung für historisches Unrecht“ nach, dass es im Sinne Giordanos nicht mehr möglich ist, „die zweite Schuld“ zu verschweigen, zu ignorieren und zu vertuschen, weil wir jetzt moralische Kategorien dafür haben.

    www.degruyter.com/...45899/html?lang=de

  • Ich denke Frau Baerbock macht klare Ansagen. Die von ihr mitgebildete Regierung macht aber andere Politik. Da jetzt linke oder rechte als Argumente einzuführen bringt da wenig. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen es besser zu machen ( keinen Krieg). Falls wir uns verschiedenen Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit abarbeiten, kommen wir nie in der Zukunft an. Frau Baerbocks Verantwortung aus der Vergangenheit für die Zukunft wird wenig nutzen.

  • "Polen übernahm alle Immobilien, die Infrastruktur, die Bergwerke, Stahlhütten und Fabriken, aber auch zurückgelassenes Haus- und Wohnungsinventar von Millionen Menschen, ohne dass dies in den Reparationsbericht eingegangen wäre."

    Wenn dem so ist, birgt diese Tatsache enormen politischen Sprengstoff. Sollte Polen dauerhaft auf Entschädigung der Kriegslasten bestehen, wird über kurz oder lang in Deutschland die Gegenrechnung aufgemacht und Polen die Vertreibung der Deutschen vorgehalten werden. Vermutlich ist es genau das, worauf die PiS-Strategen setzen. Der zu erwartende antideutsche Reflex würde ihr die Wähler in Scharen zuführen.

    • 6G
      659975 (Profil gelöscht)
      @Phandersaa:

      Natürlich würde es so kommen.



      Aber das ist der PiS egal, ihr geht es nur um Wählerstimmen.