Rentenreform in Frankreich: Schroffe Abfuhr an Gewerkschaften
Der französische Senat stimmt einer leicht modifizierten Version der Rentenreform zu. Doch die Proteste gehen weiter. Auch die Pariser Müllabfuhr streikt.
Wie dies für solche Fälle vorgesehen ist, soll sich nun am Mittwoch die Gemischte Paritätische Kommission der beiden Parlamentskammern, die aus je 7 Abgeordneten und Senatoren zusammengesetzt ist, auf einen Text einigen. Dieser Kompromiss ginge dann erneut an beiden Kammern. Während die Regierung im Senat auf die Stimmen einer Mehrheit der Konservativen und des bürgerlichen Zentrums rechnen kann, sind die Kräfteverhältnisse in der Nationalversammlung sehr ungewiss.
Wegen des Eilverfahrens, mit dem die Regierung gestützt auf den Verfassungsartikel 47.1 die Parlamentarier*innen zeitlich unter Druck setzt, haben die Abgeordneten und die Senator*innen nur bis zum 26. März für ihre Debatten und eine eventuelle Schlussabstimmung. Falls das Parlament nach maximal 50 Tagen der Vorlage nicht zustimmt, kann die Regierung dank dieser Prozedur ihre Reform auf dem Weg von Anordnungen in Kraft setzen. Das tönt nicht sehr demokratisch, doch die Verfassung der Fünften Republik stellt der Exekutive mehrere legale Mittel zur Verfügung, damit sie unbehindert von Einwänden des Parlaments regieren und ihre Gesetze diktieren kann.
Gewerkschaften rufen weiter zum Widerstand auf
Die Perspektive, dass die Staatsführung sich am Ende über das Parlament als Gesetzgeber und Volksvertretung hinwegsetzt, stellt für die Gewerkschaften, die diese Reform weiterhin entschlossen bekämpfen, nur noch eine zusätzliche Provokation dar. Nach mehreren Aktionstagen, Generalstreiks und Demonstrationen im ganzen Land, an denen auf dem Höhepunkt laut Organisatoren mehr als 3 Millionen Menschen auf die Straße gingen, hatten die vereinten Dachverbände dem Staatspräsidenten Emmanuel Macron einen Brief geschrieben, in dem sie ihn eindringlich um eine Audienz ersuchten und ihn aufforderten, die unbeliebte und unsoziale Reform zurückzunehmen, damit das Land den sozialen Frieden finden könne.
Dem hat der Präsident ebenfalls schriftlich eine ziemlich schroffe Abfuhr erteilt. Er möchte offenbar die Machtprobe bis zum Ende durchziehen, obschon auch er weiß, dass eine große Mehrheit der Bürger*innen (rund 7 von 10) die Rentenreform ablehnt und im Gegenteil auch die Proteste befürwortet. Laut einer jüngsten Umfrage des Instituts Odoxa meint sogar eine Mehrheit, dass der Widerstand gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre auch dann weitergehen müsse, wenn die Reform verabschiedet oder als Anordnung in Kraft gesetzt werden sollte. Macron rechnet anscheinend damit, dass sich nach wochenlangen Protesten Resignation breit macht und dass den Streikwilligen schlicht das Geld ausgeht. Er könnte aber auch eine weitere Eskalation in diesem Konflikt provozieren.
Die Gewerkschaften und die auch die politische Linke geben sich noch lange nicht geschlagen. Sie haben in der letzten Woche mit härteren Aktionen und eindrücklichen Mobilisierungen den Druck auf die Regierung noch verstärkt. Mehrere Streikaktionen dauern nun seit Tagen an. Dies gilt namentlich für die blockierten Erdölraffinerien, die von Streikenden des Energiesektors gezielt organisierten Stromunterbrüche, die anhaltenden Störungen im Bahn- und Flugverkehr oder auch die Müllentsorgung in mehreren Städten. Auch in der Hauptstadt türmen sich in der Mehrheit der Quartiere bereits neben übervollen Containern Abfallberge, die inzwischen zum Himmel stinken und die Ratten anziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr