Rentenproteste in Frankreich: Wut und Misstrauen
Eine Rentenreform ist in Frankreich überfällig. Doch viele misstrauen Macrons Vorhaben. Sie befürchten, dass sie bald noch weniger Geld haben werden.

D ie nächsten Präsidentschaftswahlen sind in Frankreich erst in zweieinhalb Jahren. Doch das politische Schicksal von Emmanuel Macron entscheidet sich schon in diesen Tagen. Der Präsident will mit seiner Rentenreform beweisen, dass er mehr Mut und mehr Durchsetzungskraft hat als alle seine Vorgänger. Wenn er die „Mutter aller Reformen“ gegen den Protest der Straße durchsetzt, hat er die Weichen für seine Wiederwahl gestellt. So lautet zumindest das Kalkül in den Hinterzimmern des Präsidentenpalasts.
Keine Frage: Die 42 Renten-Sonderregelungen abzuschaffen, ist nüchtern betrachtet eine gute Idee. Es ist nicht einzusehen, warum ein Busfahrer der Pariser Verkehrsbetriebe früher in Rente geht und auch noch mehr Geld bekommt als sein Kollege in Bordeaux. Das alte System, das noch aus dem 19. Jahrhundert stammt, ist undurchsichtig und unverständlich. Die Reform als solche wird deshalb von einer Mehrheit begrüßt. Doch die Französinnen und Franzosen trauen Macron nicht zu, ein neues, gerechteres System zu schaffen. Im Gegenteil: Sie fürchten, hinterher nur weniger Geld zu haben. Sie misstrauen dem Mann im Elysée, der in der ersten Hälfte seiner Amtszeit die soziale Ungleichheit nur noch verstärkt hat.
Sicher haben Macrons Reformen den französischen Unternehmen gut getan. Doch die Mehrzahl der Franzosen profitierte nicht davon. Im Gegenteil: Die Proteste der „Gelbwesten“ führten dem Staatschef drastisch vor Augen, dass es noch ein anderes Frankreich gibt, das bei seiner Politik nur verliert.
Dieses andere Frankreich streikt und demonstriert nun. Es sind nicht nur die Eisenbahner, die ihr eigenes Rentensystem behalten wollen und deshalb die Arbeit niederlegen. Längst hat der Protest auch all jene erreicht, die mit der Sozialpolitik Macrons unzufrieden sind. Und das sind viele. Krankenschwestern, Lehrer, Studentinnen und Polizisten demonstrieren schon seit Monaten, weil sie nicht mehr genug zum Leben haben. 52 Prozent der französischen Haushalte haben laut OECD Probleme, mit ihrem Geld bis zum Monatsende hinzukommen. Die Rente ist für sie nur die Spitze des Eisbergs.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens