Rémy Markowitsch im Kindl: Das Sichtbare und das Verborgene
Es geht um Autos und auch um Zwangsarbeit. Auf Spuren des Verschwundenen begibt sich der Schweizer Künstler Rémy Markowitsch in seiner Schau im Kindl.
Was zu sehen ist, zieht an. Röhren, Kolben, Zylinder, blank und glänzend, bilden symmetrische und verschlungene Gebilde in der fotografischen Serie „Psychomotor“ von Rémy Markowitsch. Sie sehen nach Motorenteilen aus, klar, nach dem Innenleben von Maschinen, aber die Symmetrie erzeugt auch eine Nähe zum Blick in das Innere des Körpers, zu Rippen und Lungenflügeln zum Beispiel. Ein bisschen Erotik liegt in ihren Schlingen und Leitungen. Nicht zuletzt hat das Ornamentale etwas Nostalgisches, von Schmuckmotiven.
Was zu sehen ist, ist nicht alles. Das Sichtbare legt eine Spur aus im Werk des Schweizer Künstlers Rémy Markowitsch, der im Maschinenhaus M2 im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst ausstellt. Der Ausstellungstitel, „No Simple Way Out“, warnt schon ein wenig davor, dass die Begegnung mit dieser Kunst Zeit braucht. Markowitsch ist ein Geschichtenerzähler und Geschichtenerforscher. Die einzelnen Werke sind oft Teile eines Puzzles.
So gehört „Psychomotor“ zu einem Werkkomplex, der um Josef Ganz kreist, einen jüdischen Journalisten und Erfinder (1898 – 1967). Dass Ganz eine heftige Liebe zu Automobilen pflegte, errät man aus einem Blick in sein Archiv aus den 1920/30er Jahren. Das wird in der Ausstellung digital aufgeblättert, wie ein Fotoalbum mit vielen rasenden Kisten, in denen Erwachsene, oft aber auch Kinder sitzen, mit Bilder von Auto-Produktions- und Auto-Rennstrecken.
Flucht in die Schweiz
Aber leider auch Bilder mit vielen Hakenkreuzen. Josef Ganz, der Ingenieur, trug mit seinen Ideen zur Entwicklung des Volkswagens bei – er entwarf den Kleinwagen Maikäfer –, floh nach einer Verhaftung durch die Gestapo und Gefängnis in Berlin in die Schweiz. Auch dort wurde er nach dem Krieg des Landes verwiesen und emigrierte nach Australien.
Rémy Markowitsch, Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Mi. 12–20 Uhr, Do.–So. 10–18 Uhr, bis 26. 2. 2023
Am 5. Oktober, 19 Uh, Gespräch Catching a wild pony. Zum Komplex von Zwangsarbeit, Automobilindustrie und Rausch. Mit Rémy Markowitsch und Dr. Ralf Beil (Generaldirektor Weltkulturerbe Völklinger Hütte).
Das kann und sollte man in der Ausstellung in einem Begleitheft nachlesen, geschrieben von Markowitsch und der Kuratorin Kathrin Becker. Was man sieht, macht neugierig, Markowitschs Ästhetik ist auch spielerisch und überbordend. Aber mit den Informationen verändert sich die Bedeutung. Es gibt ein Kalb, das spricht, „The Casebook Calf“. Als ich ihm zuhöre, erzählt es gerade von Selbstmorden. Sein Leib ist aus Buchrücken zusammengesetzt.
Es gibt einen Hirsch, dessen Körper in bestickte hirschlederne Hosen gekleidet ist, „… hast du meine Alpen gesehen?“ ist der Titel. Tiere sind vielfach gegenwärtig in dieser Ausstellung, manche durchleuchtet, Körper schemenhaft übereinander geblendet, Geister gewesenen Lebens.
Wege der Migration
Neu ist in der Berliner Ausstellung die Videoarbeit „Dobra & Lotte“, fast 40 Minuten lang. Eine junge Frau erzählt, beschreibt Familienfotos, die man nicht sieht, ist einem Familiengeheimnis der Familie Markowitsch auf der Spur. Dobra war die Urgroßtante der Erzählerin Gina Markowitsch, über die in der Familie nicht geredet wurde. Über Recherchen findet Gina heraus, dass Dobra, nachdem sie 17-jährig ein uneheliches Kind geboren hatte, von ihrer jüdischen Familie, die, als Dobra klein war, von Vitebsk nach Zürich ausgewandert war, nach Vitebsk zurückgeschickt wurde und niemand mehr von ihr reden mochte.
Ihre Tochter Lotte kam in ein katholisches Mädchenheim und die Mädchen dort mussten Uniformen nähen, in unbezahlter Zwangsarbeit, für den Fabrikanten Emil Bührle, der mit Geschäften mit dem Deutschen Reich sein Geld verdiente. Ebenjenem Emil Bührle, um dessen Kunstsammlung im Neuen Kunsthaus Zürich seit seiner Eröffnung vor einem Jahr in der Schweiz gestritten wird.
Gina Markowitsch erzählt die Geschichte mit vielen Verästelungen in die Geschichte der jüdischen Migranten hinein, die Markowitsch auch in anderen Arbeiten verfolgt. Dabei geht es auch um den Handel mit Raubkunst, von dem ein alter Katalog zeugte, dessen Bilder Markowitsch in einer fotografischen Arbeit mit vielen Verletzungen zeigt.
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