Remis im Revier: Die Liebe trägt wieder Königsblau
Schalke 04 trotzt Titelaspirant Borussia Dortmund ein Unentschieden ab. Gelsenkirchen ist wieder konkurrenzfähig in der Bundesliga.
Es war ein erstaunlicher Satz, der dem Trainer des weiterhin akut vom Abstieg bedrohten FC Schalke 04 nach dem 2:2 gegen Borussia Dortmund entglitt, nach einem Unentschieden, das zumindest tabellarisch weder ein Befreiungsschlag noch ein entscheidender Schritt zum Klassenerhalt war.
Und dennoch sagte Thomas Reis, nachdem er dem Sturm der Euphorie entkommen war, der draußen auf den Rängen tobte: „Wir müssen schauen, dass wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben.“ Als drohe der größte Krisenklub der vergangenen drei Jahre ernsthaft wieder in einem Zustand des Übermuts hineinzugeraten. Aber wer dieses Fest der königsblauen Fußballenergie während der 90 Minuten erlebt hatte, konnte die mahnenden Worte des Trainers ganz gut verstehen. Die Menschen bejubelten das Unentschieden wie einen riesengroßen Sieg, und der eine Punkt, der dabei vergeben wurde, spielte dabei nur eine Nebenrolle.
In so einem Derby geht es traditionell nicht nur darum, selber erfolgreich zu sein, berauschend ist für viele Fans des BVB und des FC Schalke immer auch das Gefühl, dem Gegner richtig wehgetan zu haben. Nun haben die gebeutelten Gelsenkirchener ihrem Rivalen zwei Punkte auf dem Weg zur ersehnten Meisterschaft geklaut, Punkte, die womöglich noch von entscheidender Bedeutung sein werden, wenn es um den Bundesligatitel geht.
Außerdem konnten sie nach zuvor fünf Derbys in Folge ohne eigenen Treffer wieder Tore bejubeln, und vielleicht am wichtigsten: Das Gefühl, wieder konkurrenzfähig zu sein, das im Herbst und im Januar verloren gegangen war, ist nach inzwischen sieben Partien ohne Niederlage und insgesamt sechs Treffern in den drei jüngsten Spielen endgültig zurück. „Wir sind wieder da, sind auf Tuchfühlung, es ist wieder offen“, sagte Torhüter Ralf Fährmann.
Die Liebe der Fans
In den Trikots des königsblauen Revierklubs spielt derzeit eine Mannschaft, die sich der ganzen Liebe ihrer Fans sicher sein kann, und das ist in diesem Duell mit dem BVB traditionell von immenser Bedeutung. Vor genau dieser Liebe, die im Stadion durch eine betörende Mixtur aus Gesängen, Gebrüll und Jubel zum Ausdruck kam, hatten die Dortmunder sich gefürchtet.
Trainer Edin Terzić hatte in jedem Interview und vermutlich auch in seiner Ansprache vor der Mannschaft gefordert, mit kühlem Kopf die eigene fußballerische Überlegenheit auszuspielen, statt sich auf den emotionalen Zweikampffußball der Schalker einzulassen. Vor allen Dingen in der ersten Halbzeit hatte das auch gut geklappt, der BVB hatte durch ein Tor von Nico Schlotterbeck (38.) geführt und etliche weitere schön herausgespielte Möglichkeiten gehabt.
Auch das zwischenzeitliche 1:2 durch Raphael Guerreiro ein kleines Fußballkunstwerk (60.), aber, sagte Schalkes Torhüter Fährmann: „Wir haben mit unseren Waffen gekämpft, einen richtigen Fight hingelegt.“ Solche Mannschaften sind für den BVB auch nach dem Aufschwung der ersten Jahreswochen mit der weiterhin bestehenden Serie von inzwischen neun Bundesligapartien ohne Niederlage, ein Problem.
Momente der Nachlässigkeit
Es häuften sich wieder einmal diese kleinen Nachlässigkeiten, die sich eine fußballerisch überlegene Mannschaft eben nur erlauben darf, wenn sie deutlich führt oder offensiv derart effizient spielt, dass auch ein paar Gegentreffer keine Punkte kosten. An diesem Tag war es der wahrscheinlich beste Dortmunder der bisherigen Saison, der sich zwei solcher Momente erlaubte, die der FC Schalke brutal bestrafte: Jude Bellingham.
Vor Marius Bülters 1:1 verlor er den Ball während einer zu riskanten Einzelaktion im Bereich der Mittellinie, was den Schalker Konter einleitete (50.). Und vor dem 2:2 ließ er Bülter viel zu viel Raum und Zeit zur Flanke auf Kenan Karaman, der den umjubelten Ausgleich köpfte (79.). „Wir müssen daraus lernen, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen“, sagte Terzić, unklar ist jedoch, wie groß die Entwicklungsfähigkeit der Dortmunder wirklich ist.
Denn dieses wohl bekannte Problem hatte der BVB nur in der Phase im Griff, als fast alle Spieler gesund zur Verfügung standen, als der Konkurrenzkampf im Training groß war. Diese Zeit ist nun vorbei, und irgendwann musste nach acht Siegen am Stück ja der Moment kommen, in dem mal wieder ein paar Punkte verloren gehen. Zumal die Dortmunder weiterhin ohne einen verlässlichen Torjäger spielen; Sébastien Haller arbeitet fleißig, ist aber vor dem gegnerischen Tor vollkommen wirkungslos.
Die große Frage ist, ob die Dortmunder wirklich während der vergangenen Wochen den erhofften Entwicklungsschritt machen konnten. Oder ob sie jetzt, wo mehrere Spieler verletzt sind, doch wieder zu dieser charakterlich schwierigen Mannschaft werden, die fußballerisch zwar besser ist als viele Gegner, aber trotzdem Punkte verliert, weil sie nicht die passende Haltung zum jeweils anstehenden Spiel findet. Das Heimspiel gegen Köln am kommenden Samstag wird erste Antworten liefern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher