Remastertes Album von Juana Molina: Zeitreise mit Drossel

Die argentinische Musikerin Juana Molina hat ein zwanzig Jahre altes Album remastert: Beim Hören eröffnen sich immer wieder neue Schichten.

Juana Molina an der Gitarre

Juana Molina beim Festival in Sines 2016 Foto: imago

Gerade erst war Juana Molinas Debütalbum erschienen, da war für die argentinische Musikerin schon der Zeitpunkt zu einem Neustart gekommen. „Rara“ (1996), ein folkig-dynamisches Gitarre-trifft-Keyboard-Album, war in ihrer Heimat komplett durchgefallen – nicht etwa weil die Musik missfiel, sondern weil die argentinische Öffentlichkeit – Kritiker wie Fans – es der Künstlerin Juana Molina übel genommen hatte, dass sie ihre Karriere als Comedian an den Nagel gehängt und sich der Musik zugewandt hatte.

Ihre TV-Show „Juana y sus hermanas“ (1991–1993) hatte sie zur populärsten Entertainerin des Landes und zum argentinischen Exportschlager in die südamerikanischen Nachbarländern gemacht. Doch schon damals war die Musik, gerade auch deren spröde Klänge, ihre große Liebe. Zusammen mit ihrem Vater, dem populären Tangosänger Horacio Molina, landete Juana bereits als Sechsjährige einen Hit. Molina komponierte Songs, schon lange bevor sie damit an die Öffentlichkeit ging.

Als sie Mitte der neunziger Jahre ein Kind bekam, wollte sie raus aus der Sackgasse, als die sie die Arbeit fürs Massenpublikum und im argentinischen Fernsehen empfand – und machte endlich das, was sie wirklich begeisterte. Nachdem dieser Versuch in Gestalt des Debütalbums gefloppt war, zog sie vorübergehend nach Los Angeles – wo „Rara“ auf offenere Ohren gestoßen war. Molina fuchste sich in die Welt der elektronischen Klang­erzeugung ein, konzentriert darauf, in diesem Feld eine eigene Stimme zu finden.

So entstand das knapp mit „Segundo“ betitelte zweite Album vor 21 Jahren, das jetzt neu veröffentlicht (mit Texten, Zeichnungen und Fotos) und zudem von Molina auch neu gemastert wurde. In neueren Interview bezeichnete sie das experimentierfreudige, sehr freie Album als ihr liebstes, es habe den Grundstein gelegt für alles, was darauf folgte. Zugleich beklagte sie den ihrer Meinung damals zu dünnen Sound; so kam es zu der Überarbeitung.

Plötzlich Fans in Japan

„Segundo“ brachte zwar in ihrer Heimat immer noch nicht den Durchbruch, dafür aber, obwohl sie spanisch sang, bekam Molina plötzlich Fans in Japan. Und es generierte auch in Europa und den USA Aufmerksamkeit. Ex-Talking-Head David Byrne war ihr prominenter Fürsprecher und nahm Juana Molina mit auf Tour. Auch die Indie-Frickler von The Notwist wurden zu Bewunderern; zum aktuellen Album „Vertigo Days“ der Band steuerte Molina etwa den Track „Al Sur“ bei.

Von heute aus betrachtet, lässt sich „Segundo“ als Ankündigung hören, dass Molinas besondere Begabung darin liegen würde, bei einer bestimmten Soundsignatur nie vollständig anzukommen, es sich nirgendwo allzu gemütlich einzurichten; Molina entwickelt von da an immer mehr ein Händchen für eine Produktionsweise, die beim ersten Hören zugänglich genug ist, dass man dabei bleibt – und die, auf ganz subtile Weise, immer neue Schichten offenbart.

Juana Molina: „Segundo“ (remastert) (Crammed/Indigo)

Der Track „El Zorzal“ auf „Segundo“ etwa beginnt klassisch folky, Molinas eher dünne Stimme – selten wirkt sie auch nur annähernd so komplex wie die Klangtexturen, die sie schafft – mäandert vor sich hin. Seltsam wabernd klingt der Song letztlich aus, fast reibt man sich die Augen. Im Text geht es um einen Mann, der vom Gesang einer Drossel geweckt wird. Fortan läuft alles bei ihm aus dem Ruder; am Ende des Tages ist sein Leben ein anderes.

Molina gelingt es, Songs folkig-intim klingen zu lassen und zugleich unerwartete Fluchten aus der Innerlichkeit zu schaffen, die mit dem Genre oft einhergeht. Sie stellt Nähe her und assoziiert gleichzeitig frei und unerwartet. Bisweilen hören sich ihre Tracks an, als würde man leicht bekifft in einem Kuriositätenkabinett umherschlendern; immer wieder gibt es neue Eindrücke mitzunehmen.

Als ihre Eltern 1976 vor der Machtübernahme der argentinischen Militärjunta nach Europa flohen und den Winter auf der damals recht verlassenen balearischen Insel Ibiza verbrachten, lernte Molina als Jugendliche durch dort überwinternde Hippies indische Musik kennen. Ihr aus dieser Zeit rührendes Faible für repetitive Drone-Sounds zeichnet sich bereits auf „Segundo“-Tracks ab, auch wenn die Anmutung des Albums folkiger ist als die von neueren Veröffentlichungen – bei dem kurz vor dem Lockdown aufgenommen, ziemlich gelungenen Livealbum „ANRMAL“ (2020) etwa klingt sie energiegeladener und punkiger. „Segundo“ ist der Beginn davon, dass die heute 60-jährige, eigenwillige Künstlerin sich mithilfe von Klängen frei strampelte – konsequent bis heute.

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