Religion, Extremismus und Integration: "Konvertiten gelten als illoyal"
Zwei extremistische Konvertiten rechtfertigen keinen Generalverdacht - im Gegenteil: Zum Islam konvertierte Deutsche leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration. Die Ethnologin Esra Özyürek im Interview.
taz: Frau Özyürek, die beiden Konvertiten aus der Sauerland-Gruppe haben nun ausgesagt, tatsächlich Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Warum warnen Sie vor einer alarmistischen Haltung gegenüber Deutschen, die zum Islam konvertiert sind?
Esra Özyürek: Abgesehen von den zwei Personen in der Sauerland-Gruppe gibt es noch ein paar deutsche Konvertiten, die in Afghanistan kämpfen. Die Zahl der deutschen Konvertiten liegt nach Schätzungen von Wissenschaftlern aber insgesamt zwischen 20 000 und 100 000. Ich denke nicht, dass es gerechtfertigt ist, wegen so wenigen Fällen all diese Menschen pauschal zu verdächtigen.
Werden Konvertiten denn wirklich so pauschal verdächtigt?
Ja, natürlich, das kann man quer durch alle Medien beobachten. Und zwar schreiben das Journalisten selbst, aber es kommt auch durch die Aussagen von Politikern zustande. Damit angefangen hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in seinem Interview in der Welt im Jahr 2007. Dann gab es die Diskussion um eine Konvertiten-Zentraldatei.
Dieser Vorschlag kam ja von den Unionspolitikern Wolfgang Bosbach (CDU) und Günther Beckstein (CSU). Ist das Ganze auf Unionspolitiker beschränkt?
Nein. Die Idee, dass man Konvertiten verdächtigen sollte, schwirrt jetzt in der Öffentlichkeit herum und die wenigsten Politiker bezweifeln sie. Im niedersächsischen Landtag gab es eine entsprechende Anfrage an den Verfassungsschutz auch von einem grünen Abgeordneten.
Sie haben die Diskurse zu Konvertiten in Deutschland untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Vor dem 11. September war der typische Diskurs: "Unsere Frauen konvertieren, weil irgendein Mann aus dem Nahen Osten sie dazu verleitet". Jetzt geht es um "unsere Jugendlichen". Es wird immer direkt oder indirekt ausgedrückt, dass sie konvertieren, weil Terroristengruppen sie ausnutzen wollen. Die Konversion wird in beiden Diskursen nicht als eigene Entscheidung dargestellt, sondern als das Ergebnis eines Einflusses von "Außen". Die religiöse Suche der Menschen steht nie im Vordergrund.
Warum nicht?
Weil sowieso gedacht wird, dass man als Deutscher eigentlich christlich sein sollte. Oder eben post-christlich, in dem Sinne, dass man nur noch an Weihnachten in die Kirche geht. Es wird so gesehen, dass nur so eine Person wirklich loyal zu Deutschland sein kann. Ein Konvertit wird aber nicht als loyal betrachtet, sondern als jemand, der sich von "europäischen" Werten verabschiedet hat, und deshalb gilt eine misstrauische Haltung ihm gegenüber als in Ordnung.
Ihrer Forschung zufolge sind Konvertiten aber wichtig für die Integration. Inwiefern?
Sie spielen auffällig oft eine bedeutende Rolle in ihren Moscheegemeinden, ganz besonders die Frauen. Viele sind sehr aktiv im interreligiösen Dialog, organisieren deutsche Sprachkurse für Migranten oder sogar Seminare mit der Polizei, bei denen die Menschen über ihre Rechte aufgeklärt werden. Damit machen sie den migrantischen Muslimen Ressourcen zugänglich, die der Mehrheitsgesellschaft schon verfügbar sind.
Wenn Konvertiten terroristisch aktiv werden, sind es meist Anhänger des Salafismus, also einer Richtung, die nur Interpretationen aus der Entstehungszeit des Islam anerkennt. Ist gegenüber dieser Richtung Vorsicht angebracht?
Es ist wahr, dass die am meisten radikalen Dinge, die von Muslimen getan wurden, von Salafiten getan wurden. Aber das schließt doch nicht die gesamte Gruppe ein. Eine riesengroße Mehrheit der Salafiten in Deutschland ist wirklich friedlich und strengt sich an, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Am liebsten sitzen sie zusammen und diskutieren die Antworten verschiedener Islamgelehrter auf bestimmte Fragen. Zum Beispiel darauf, wieviel Prozent Alkohol in Medikamenten zulässig ist.
Warum ist der Salafismus für Konvertiten so attraktiv?
Den Salafiten geht es schlicht um die religiösen Quellen, die sie sehr ernst nehmen. In diesem Sinne sind sie fundamentalistisch. Gleichzeitig ist es der neueste, modernste Ansatz, weil Traditionen ihnen egal sind. Damit sind sie am offensten für ethnische Deutsche. Für Salafiten ist es wirklich gleichwertig, ob jemand Araber, Deutscher oder Äthiopier ist. Wenn ein Konvertit aber zum Beispiel in eine türkisch-sunnitische Moschee kommt, können die oft älteren Menschen dort nicht so viel mit ihm anfangen, weil für sie die Moschee auch eine Art türkisches Gemeindezentrum ist.
Wirkt es sich auf Konvertiten selbst aus, dass sie so stark mit dem Thema Sicherheit in Verbindung gebracht werden?
Es kommt vor, dass sie zum Beispiel verdächtigend gemustert werden, wenn sie Rucksäcke tragen. Mir ist auch ein Fall bekannt, in dem andere Passagiere nicht mit einer Konvertitin zusammen in die U-Bahn steigen wollten. Meistens sind deutschstämmige Muslime allerdings besser als Migranten in der Lage, sich gegen so etwas zu wehren.
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