Reisen mit wenig Geld: Endlich Urlaub? Unbezahlbar!
Nicht alle können reisen. Unser Autor gönnt sich einen Trip – mit überschaubarem Budget. Wie schwer ist entspannen, wenn man rechnen muss?
I n Montpellier, der letzten Station unseres Urlaubs, wird es dann doch schwierig. Meine Freundin und ich quetschen uns mit unserem Gepäck durch das schmale Treppenhaus, ich nehme zwei Stufen auf einmal. „Ganz nach oben“, sagte der Vermieter, bevor er uns den Schlüssel gab. „Raus aus dem Haus, auf den kleinen Balkon, um die Ecke, und da ist der Eingang zu eurer kleinen Wohnung.“
29 Grad. Schweiß rinnt über mein Gesicht, der Körper klebt. Ich freue mich auf eine Dusche. Endlich sind wir an der Tür und schließen auf. Ich muss zweimal blinzeln, bis ich verstehe: Bett, Küche, Dusche und Klo – alles in einem Zimmer. „Scheiße“, sage ich. Meine Freundin fängt an, laut zu lachen.
Wir kennen uns seit vielen Jahren, aber es ist unser erster gemeinsamer Urlaub. Und mein erster, in dem ich mich so richtig erwachsen fühle. Als Kind habe ich die Sommerferien in der Türkei verbracht, da meine Eltern wenigstens einmal im Jahr ihre Verwandten sehen wollten.
In meinen Zwanzigern habe ich Couchsurfing gemacht, habe in günstigen Hostels mit fremden Menschen in einem Zimmer geschlafen oder Freund:innen im europäischen Ausland besucht. Meine letzte Auszeit liegt etwa drei Jahre zurück: ein paar Tage an der Ostsee, in einer kleinen Pension, natürlich ein Sonderangebot.
„Du brauchst Urlaub!“
Urlaub ist Luxus. Jeder fünfte kann sich hierzulande keinen leisten, das geht aus Daten des Statistikamts der Europäischen Union hervor. Auch ich gehörte eine Zeit lang dazu. Ich bin nicht in Armut, aber auch nicht im Überfluss aufgewachsen. So lernte ich, mein Geld mit Bedacht auszugeben. Heute bin ich 30 Jahre alt. In den vergangenen vier Jahren habe ich mir einen Notfallspartopf für alle Lebenslagen anlegen können, der mir ein Gefühl von Sicherheit gibt und auf den ich nicht mehr verzichten möchte.
Bis vor einigen Monaten meine Freundin besorgt feststellt: „Du brauchst Urlaub! Und ich komme mit.“ Wir entscheiden uns für eine Woche Südfrankreich. Meine Freundin kann sich dieses Jahr mehr Urlaub leisten als ich, aber um mein schlechtes Gewissen zu entlasten, legen wir gemeinsam ein Budget fest, das meine Schmerzgrenze von 1.000 Euro sogar noch unterschreitet: 700 Euro für jeden von uns, alles inklusive. Und die Rechnerei beginnt.
Wir sitzen im Zug nach Miramas, einem kleinen Eisenbahnstädtchen nahe Marseille. Felder, Bäume und verlassene Bahnhöfe ziehen an uns vorbei. Die Luft drückt. Schräg gegenüber sitzt ein junges Paar, das sich ein Croissant teilt, neben uns zwei Menschen in Trekkinghosen, bemüht, mit uns ein Gespräch zu beginnen.
Ich erinnere mich an die vielen Autofahrten, die ich mit meiner Familie hinter mir habe. Mit meinen beiden Brüdern auf dem Rücksitz, Schulter an Schulter, Knie an Knie. Ich denke an die vielen Pausen an Autobahnraststätten, die nötig waren, um die mehrtägige Fahrt von Deutschland in die Türkei durchzustehen.
Mir kommt aber auch der Geschmack von selbstgebackenem Poaca meiner Mutter in den Sinn: weiche und fluffige Teigtaschen, gefüllt mit Spinat, Zwiebeln und Hirtenkäse, die sie stets für die Reisen eingepackt hatte.
Im Zug rechne ich nochmal alles durch: 258 Euro für das Interrail-Ticket habe ich bereits bezahlt, 150 Euro kostet unsere erste Unterkunft pro Person für drei Nächte. 292 Euro sind noch übrig. Ich lege uns ein Konto in einer Haushalts-App an. „Ich koche heute Abend ein leckeres Ratatouille“, sagt meine Freundin, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Wir kaufen auf dem Weg ein.“ Ich nicke und versuche, mich zu entspannen.
Unsere erste Unterkunft ist ein kleines Loft auf einer historischen Festung, weit weg von der Innenstadt. Drei Restaurants und eine Eisdiele sind fußläufig, der nächste Supermarkt ist etwa eine halbe Stunde mit dem Bus entfernt. Dafür gibt es zwei große Schlafzimmer und eine riesige Wohnküche.
„Wir haben kein WLAN“, sage ich und versuche, nicht genervt zu klingen. Meine Freundin ignoriert mich. Sie steht am Fenster. Ich lege mein Handy beiseite und stelle mich zu ihr. Wir blicken über kleine Dächer, über Olivenbäume am Rande des Städtchens hinweg auf eine Bucht, den Étang de Berre. Eine Brise streicht über meine Haut und über uns beiden, glasklar, strahlt der blaue Himmel.
Aufgebrauchtes Datenvolumen
Am nächsten Tag machen wir einen Ausflug in die Stadt. Gleich in der ersten Bäckerei kaufe ich mir eine Quiche Lorraine und ein Pain au chocolat, für nur 3,50 Euro. Die günstigen Preise lassen mich aufatmen, der Biss in das Schokocroissant beflügelt mich. Wir streifen durch die menschenleeren Gassen, zielgerichtet Richtung Meer. Blumentöpfe zieren die Straßen, blaue Fensterläden die Häuser.
Neben einem kleinen Hafen entdecken wir einen Strand. Die Hitze flirrt. Einige wenige Menschen liegen auf ihren Handtüchern im Schatten der Bäume, eine Frau sonnt sich auf einem Liegestuhl. Der Wind ist stark, das Salzwasser voller Algen. Auf dem Rückweg springen wir in den Supermarkt, um für den Abend und den nächsten Tag einzukaufen.
Rund 490 Euro habe ich bereits ausgegeben, weshalb wir uns am dritten Tag nichts vornehmen. Mein Datenvolumen ist aufgebraucht. Ich liege faul auf dem Sofa in der Wohnküche und lese Stefan Zweigs „Verwirrung der Gefühle“. Ich muss daran denken, wie ich zum ersten Mal eine ganze Flasche Wein in einem Restaurant bestellt habe, an der Ostsee, vor drei Jahren. Ich wollte einen Freund beeindrucken und orderte, ohne einen Blick auf die Karte zu werfen.
Der Kellner brachte den Wein, füllte unsere Gläser und wir prosteten uns zu. Mit jedem Schluck löste sich der Kloß in meinem Hals ein bisschen mehr. Bis ich irgendwann beschwipst bezahlte und den Betrag auf der Rechnung zum Glück sofort wieder vergaß.
Bett und Klo im selben Raum
Am Abend spazieren wir durch die alten Gemäuer. Es ist angenehm warm. Dicke Autos stehen zwischen Jahrhunderte altem Gestein, einige reihen sich vor einem Restaurant aneinander. Die Außenbereiche sind voll mit Menschen. Gelächter schallt zu uns herüber, Kellner eilen zwischen den Tischen hin und her. Meine Freundin und ich werfen einen Blick auf die Speisekarte: Das günstigste Gericht auf dem Menü kostet 32 Euro. Wir entscheiden, selbst zu kochen.
Tag vier. Wir verlassen Miramas und fahren mit dem Regionalzug nach Montpellier. Die Universitätsstadt unweit der französischen Mittelmeerküste ist bekannt für ihre malerischen Gassen, die Geigenbauer und den Stadtteil Antigone, der in den 70ern im postmodernen römischen Stil gebaut worden ist. Dort werden wir den Rest unseres Urlaubs verbringen.
„Es tut gut, wieder unter Menschen zu sein“, sage ich, als wir am Bahnhof aussteigen. Meine Freundin nickt. Die Mittagshitze drückt auf die Stadt. Wir laufen am berühmten Brunnen der Grazien vorbei, bahnen uns den Weg durch die Menschenmenge in Richtung historisches Stadtzentrum, wo sich unsere Unterkunft befindet.
Und dann das: Bett, Küche, Dusche und Klo, alles in einem Zimmer. Die Entspannung der vergangenen Tage ist wie weggeblasen. Ich setze mich auf das Bett und reibe mir verzweifelt die Augen. „Wie machen wir das?“ Statt zu antworten schreit meine Freundin auf. Ich sehe sie verwirrt an, sie zeigt auf die Wand hinter mir. Eine Eidechse. Jetzt schreie auch ich.
Heiß und stickig
Wir eilen aus dem Miniapartment und setzen uns in irgendein Restaurant. In diesem Moment sind mir die Preise völlig egal. Meine Freundin ordert zwei Gläser Weißwein, für sich ein Fischgericht und für mich eine Bowl. Danach geht es uns besser. Wir treffen eine Abmachung: Jedes Mal, wenn eine:r von uns die Toilette oder die Dusche benutzt, geht die andere Person nach draußen vor die Tür.
Erstaunlich günstige 35 Euro später kehren wir in das Apartment zurück. Ich suche jeden Winkel nach der Eidechse ab. Das kleine Reptil, womöglich verschreckt von unserem Gebrüll, ist wie vom Erdboden verschluckt.
In der ersten Nacht schlafe ich unruhig. Es ist heiß und stickig. Und die Angst, die Eidechse könne wieder auftauchen, treibt mich um. Mir wird klar, warum wir für die Mini-Wohnung jeweils nur 140 Euro für drei Nächte bezahlen. Aber immerhin gibt es in dieser Unterkunft WLAN.
Den fünften Tag des Urlaubs verbringen wir damit, Montpellier zu erkunden. Nach einem Besuch beim Triumphbogen Porte du Peyrou und einem überteuerten Cappuccino in der Markthalle kaufen wir uns für jeweils 1,30 Euro Unesco-Weltkulturerbe: zwei frisch duftende französische Baguettes, die wir am Abend mit fromage und vin blanc verspeisen werden.
Der Magen voll, das Gemüt angeheitert, die Eidechse vergessen. Der Sommerabend wird zur Sommernacht. Die Restaurants sind voll, vor den Bars stehen Menschen.
Auf Französisch träumen
Meine Freundin und ich finden Platz im Außenbereich einer Eckkneipe. Wir bestellen zwei Weißwein und eine Schachtel Zigaretten, das ist in Frankreich in Kneipen üblich – für rund 27 Euro. „Die teuersten Zigaretten meines Lebens“, witzele ich, nehme einen Zug und muss husten.
Plötzlich stellt sich ein Mann vor mich. Braungebrannt in weißem Tanktop. Seine blonden Locken fallen ihm ins Gesicht, sein Blick ist auf mich gerichtet. Er muss Mitte 30 sein. Der Mann sagt etwas auf Französisch. Ich verstehe kein Wort, lächle ihn an und lege mein Handy weg, in das ich ein paar Notizen getippt habe. Meine Freundin übersetzt.
„Was machst du?“, fragt er. „Ich schreib nur etwas auf“, sage ich. „Was schreibst du?“ „Geschichten.“„Ich höre den Leuten zu, die Geschichten erzählen.“ Er grinst. „Leider spreche ich kein Französisch“, sage ich. „Wenn du auf Französisch lebst, dann wirst du auf Französisch träumen“, übersetzt meine Freundin. „Und wenn du auf Französisch träumst, dann wirst du auf Französisch schreiben.“
Ich träume nicht auf Französisch. Stattdessen drückt der Kopf, und mein Magen ist übersäuert, als wir später mit ausgegestreckten Beinen auf dem Bett liegen.
Ein letztes Mal
Der Kaffee am nächsten Morgen am Place de la Canourgue, dem ältesten Platz der Stadt, hebt das Gemüt. Wir sitzen neben gestutzten Sträuchern im Schatten der Bäume. Ich rechne nochmal meine Ausgaben durch: Rund 40 Euro sind noch übrig. Und während wir am sechsten Urlaubstag am vielleicht schönsten Platz Montpelliers verweilen, überkommt mich ein melancholisches Gefühl, das womöglich an jedem Ende eines Urlaubs einsetzt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Unsere Taschen haben wir zum Großteil gepackt. Ein letztes Mal streunen wir abends durch die Gassen. Ein letztes Mal sitzen wir in einem französischen Restaurant. Ein letztes Mal werfen wir einen Blick aufs Geld. 7 Euro noch. Ich atme auf.
Tag sieben. Die Straßen sind vormittags leer. Wir betreten den Bahnhof. Am Gleis drücke ich meine Freundin fest an mich. „Ich will nicht zurück“, sage ich – trotz Rechnerei. „Ich auch nicht“, sagt sie und hält meinen Arm. Dann steigen wir in den Zug, der uns in den hektischen Alltag zurückfahren wird.
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