Reisen im Zentrum von Spanien: Auf verlassenen Pfaden
Ehemalige Zugstrecken werden im Westen Spaniens zu Radwegen. Sie führen durch eine wenig bekannte Kulturlandschaft.
Berghänge, Hügel, Sträucher, Stein- und Korkeichen … soweit das Auge reicht. Extremadura, im Westen Spaniens, ist eine der am dünnsten besiedelten Gegenden der Iberischen Halbinsel. Die Region macht genau das jetzt zum Aushängeschild für den Tourismus. Stillgelegte Bahnstrecken wurden zu Vías Verdes, Grünen Wegen, umgebaut. Schienen und Schwellen wurden herausgerissen, das Gleisbett wurde zum Fahrradweg. Wo einst Passagiere, Vieh oder Eisenerz transportiert wurden, sind bequeme Radstrecken durch eine einzigartige Kulturlandschaft entstanden.
Die längste – die Via Verde Ruta de La Plata – beginnt in der nördlichen Nachbarregion Castilla y León. Noch kommt sie nur aus dem kleinen Ort Navalmoral de Béjar auf der Nordseite der Sierra de Béjar, den westlichsten Ausläufern des Gredosgebirges. Doch bald schon soll es weiter im Norden, in Salamanca, losgehen.
Es geht über den Pass von Béjar. Dieser wurde bereits seit Römerzeiten für die sogenannte Ruta de Plata – Silberweg – durch den Westen des heutigen Spaniens genutzt. Bis heute ist die Römerstraße zu sehen. Sie dient den Pilgern als Jakobsweg. Neben der alten Zugstrecke führt auch die Nationalstraße über diesen flachsten Pass von Gredos.
Mit sanftem Gefälle geht es auf dem alten Gleisbett hinunter ins Ambroz-Tal. Ziel: Das rund 70 Kilometer entfernt liegende Plasencia, die viergrößte Stadt Extremaduras, Bischofsitz mit einer einzigartigen Doppelkathedrale, die es erlaubt die Entwicklung der spanischen Kirchenarchitektur zu studieren.
Anfahrt Von Madrid fährt mehrmals am Tag ein Zug nach Plasencia. Ein Fahradverleih wie https://www.bikesatforest.com/ bringt einem dann an den Ausgangspunkt der Tour. Dass Unternehmen, das an der Planung der Eurovelo-1-Strecke in Extremadura maßgeblich beteiligt war, verleiht normale Bikes und E-Bikes, sorgt für den Gepäcktransport und hilft auch bei der Routenplanung.
Vías Verdes die Routen gibt es in ganz Spanien. Sie haben eine eigene Seite.
Vorbei an den Berghängen von Gredos mit ihren bis in den Frühsommer hinein schneebedeckten Gipfeln, durchfahren wir einen Tunnel und kommen wir schließlich nach einer alten Eisenbahnbrücke zum Höhepunkt Tour, nach Hervas. Der Ort in der Provinz Cáceres nennt eines der besterhaltenen jüdischen Viertel in ganz Spanien sein Eigen. Verwinkelte Gässchen ziehen sich den Hang hinauf. Fachwerkhäuser aus Kastanienholz und luftgetrockneten Lehmziegeln säumen die Gassen. So manche Tür schmückt bis heute der Davidsstern. Im Schatten der Kirche Santa María, deren Ursprünge auf den mittelalterlichen Orden der Tempelritter zurückgehen, lebten einst 45 jüdische Familien.
Sefardische Spuren
Die Sefarden, die iberischen Anhänger des hebräischen Glaubens, waren im 13. Jahrhundert nach Hervás gekommen. Ende des 14. Jahrhunderts folgten zahlreiche Flüchtlinge aus Kastilien und Andalusien, wo im Jahre 1391 Progrome gegen die religiöse Minderheit ausbrachen.
Die Neuankömmlinge im damals nur mehrere Hundert Einwohner zählenden Ort verdingten sich als Ärzte, Weber, Sattler und Weinbauern. Bald schon wurde Hervás zum reichsten Dorf der Umgebung und zum Zentrum des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Die Hälfte der jüdischen Steuergelder des Fürstentums Béjar, zu der Hervás einst gehörte, kamen von hier. Eine Synagoge entstand.
Hervás erlebte seine Blüte im 15. Jahrhunderts. Die christliche und jüdische Religion lebten friedlich miteinander, bis 1492 die katholischen Könige Fernando II. von Aragon und Isabel I. von Kastilien ganz Spanien unter ihre Herrschaft brachten. Für die sefardische Kultur war dies das Ende. Die neuen Herrscher bestimmten per Erlass vom 31. März 1492, dass alle Juden zum christlichen Glauben überzutreten hatten oder das Land binnen vier Monaten verlassen mussten. Die Sefarden ließen sich überall im Mittelmeerraum nieder. So manche Familie bewahrt bis heute den Schlüssel ihres einstigen Hauses in Hervás auf.
Doch nicht nur Kirchen haben die Tempelritter im Süden des Gredosgebirges hinterlassen. Sie legten auch Kastanienhaine an. Die ältesten Bäume liegen unweit der Vía Verde in der Nähe des Dorfes Torre de Veón. Die Wälder laden vor allem im Herbst zu langen Spaziergängen ein.
Die Zuglinie entlang der Ruta de la Plata kam einst aus Astorga, wo sie Anschluss an andere Linien bis hinauf zum Atlantik fand. Nach Plasencia ging es weiter in den Süden bis zum Hafen von Sevilla. Es war eine der wenigen Strecken, die nicht sternförmig über die Hauptstadt Madrid liefen. Seit sie 1996 endgültig stillgelegt wurde, muss, wer etwa von Plasencia nach Salamanca will, wieder über die Hauptstadt Madrid fahren. Aus rund 130 Kilometern werden so über 450 Kilometer.
Schafe und weiße Kühe
Neben Personen wurden auf der Strecke meist die für Extremadura typischen Merinoschafe und einheimische weiße Kühe transportiert. Die weißen Kühe hat das gleiche Schicksal ereilt wie den Zug. Die zähe, dem heißen Sommer und den kalten Wintern auf dem ausgedehnten Weideland mit Stein- und Korkeichen trotzende Rasse ist weitgehend aus der Landschaft verschwunden. Da sie nicht so schwer wird wie andere Kuhrassen, sind die weißen Kühe einfach nicht mehr rentabel. Nur am Rande des Nationalparks Monfragüe am Tajo sind sie wieder zu sehen. Dort werden sie auf dem Gut Haza de la Concepción der extremenischen Regionalregierung gezüchtet.
Auch hier unweit des tief eingeschnittenen Canyons des Tajos – wegen der zahlreichen Geier und Adler beliebt bei Vogelbeobachtern – lädt eine Via Verde zum Radfahren ein. Die Vía Verde de Monfragüe war einst eine Nebenstrecke der Ruta de la Plata für den Transport ebenfalls für Güter- und Personenverkehr und Teile einer Linie, die von Madrid bis Portugal führte. Es geht fast ausschließlich durch sanftes, hügeliges Weideland mit Stein- und Korkeichen. Hier weiden die schwarzen iberischen Schweine. Höhepunkt ist Malpartida de Plasencia, etwa fünf Kilometer von der Strecke entfernt mit der zum historischen und künstlerischen Erbe ernannten Kirche San Juan Bautista.
Auch Industrie hatte das vergessene Estremadura einst. Die Via Verde de la Jayona – so benannt nach einer Eisenerzmine die heute als Naturdenkmal besucht werden kann. Wer sich für Geologie interessiert, kann hier den Zusammenstoß zweier Erdplatten mitten im Bergwerk sehen. Vier der 11 Ebenen des Bergwerks können besucht werden. Es ist eine Mischung aus Stolen und Tagebau, die sich seit der Stillegung 1921 zu einem einzigartigen Biotop gewandelt hat. Die Bahnstrecke, die ausschließlich dem Güterverkehr diente, hatte einen Anschluss an den Zug nach Plasencia.
Wer nach längeren Routen sucht, der kann die Vías Verdes mit den alten Viehtriebwegen, die das Netz der Caminos Naturales verbinden, nutzen. Oder besser noch, in Plasencia den Eurovelo 1 der vom Nordkap kommenden zum Kap San Vicente in Portugal führt, einschwenken und so die beiden extremenischen Weltkulturerbestädten Cáceres mit seinen Palästen und Kirche sowie Merida mit einem der am besten erhaltenen römischen Amphitheatern besuchen.
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