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Reichsbürgerprozess in StuttgartDer Computer-Nerd des Prinzen

Am zweiten Tag im Stuttgarter Reichsbürgerprozess sagt Wolfram S. aus. Er will von den Absichten der Truppe nichts gewusst haben. Ist das glaubwürdig?

Ein Angeklagter wird in Stuttgart-Stammheim beim Beginn des Reichsbürger-Prozesses am 29. April in den Gerichtssaal geführt Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Stuttgart taz | Am Nachmittag eines langen Verhandlungstags im Hochsicherheitsgerichtssaal Stuttgart-Stammheim präsentiert das Gericht am Montag den Entwurf eines Dokuments, das die mutmaßlichen Umstürzler um Prinz Reuß an ihre Bürger ausgeben wollten. Neben einem Wappen mit Reichsadler steht da „Wehrpass der Deutschen Armee“. Außer persönlichen Angaben heißt eine Rubrik: „Dienstgrad“. Wolfram S., IT-Ingenieur und Fotograf aus Ettlingen bei Karlsruhe, sollte dieses und andere Dokumente für die mutmaßlichen Putschisten um Heinrich Prinz Reuß digital nutzbar machen. Dafür besorgte er sechs Laptops und stattete sie für den Tag X mit geschützten Linux-Programmen aus. Er ist, wenn man so will, der Computer-Nerd des Prinzen.

Es ist der zweite Prozesstag des Stuttgarter Verfahrens im Mammutverfahren gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Prinz Reuß. Die insgesamt 26 Angeklagten, die sich in Stuttgart, München und Frankfurt am Main vor Gericht verantworten müssen, sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen. Dazu ist laut Anklage schon mit dem Aufbau von mehr als 280 militärisch organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden.

S. hat wohl nie eine Waffe in der Hand gehabt. Er war Wehrdienstverweigerer. Ein eher schlanker Mann mit kurz geschorenen Haaren, im kurzärmligen blauen Hemd, die Brille wie ein Visier auf die hohe Stirn geschoben. Er ist der erste und bisher einzige der acht Angeklagten, der in vollem Umfang aussagen möchte. Das Gericht nimmt sich dafür den ganzen Tag Zeit.

Bei Wolfram S. kann man erfahren, wie der Weg eines gut ausgebildeten Systemtechnik-Ingenieurs in den Dschungel von Verschwörungserzählungen führen kann. Und man erkennt, dass S. eine Art Keramik-Strategie verfolgt. Von den hässlichen Absichten der Reuß-Gruppe soll möglichst wenig an ihm hängen bleiben. Er will nur der unpolitische Computer-Nerd des Prinzen gewesen sein.

S. berichtet, dass Katastrophenvorsorge in seiner Familie immer eine Rolle gespielt habe. Der Vater, Mediziner und Atomkraftgegner, habe sich sogar einmal ein Angebot für einen Atombunker machen lassen. Nach seiner Scheidung im Jahr 2019 beschäftigt sich der studierte Elektronikingenieur intensiver mit Katastrophenvorsorge und macht eine Ausbildung zum Schamanen. Dann kommt Corona.

Nichts dabei gedacht?

Über ein eigenes Plattform-Projekt zur Nachbarschaftshilfe kommt S. in Kontakt mit der Prepperszene. In Chats macht er Bekanntschaft mit Verschwörungserzählungen über eine angebliche Allianz und einen Tag, an dem dieser Verbund der ehemaligen Siegermächte die vermeintlich fehlende Souveränität der Bundesrepublik wieder herstelle. S., der Diplomingenieur, sagt: „Ich hab mir das alles angehört, konnte es aber nicht überprüfen. Mein Grundsatz ist: Ich glaube nix, halte aber alles für möglich.“

2021 kommt er mit den mutmaßlichen Reuß-Verschwörern in Kontakt. Er trifft Marco von H. und seine Bekannte Mirka W. auf einer Prepperveranstaltung. Bereit sein, falls die Zivilisation zusammenbricht, das sei für ihn immer ein Thema gewesen und mit dem Corona-Lockdown immer wichtiger geworden. Mirka W. spricht ihn an, es gebe da eine Gruppe, die es mit der Krisenvorsorge ernster meine, die wolle für den Fall gerüstet sein, dass zum Beispiel das Finanzsystem zusammenbreche. „Ich hielt das nicht für sehr wahrscheinlich“, sagt S. Er habe den Eindruck gehabt, dass er seine Ideen für eine Plattform der gegenseitigen Nachbarschaftshilfe habe einbringen können.

Und spätestens da erscheint die Aussage des Angeklagten S. wenig glaubwürdig. Ihm kommen nicht einmal Zweifel, als Mirka W. ihm bei einem persönlichen Treffen die Verschwiegenheitserklärung der Gruppe vorlegte: Wer sein Schweigen breche, dem drohe die Todesstrafe. S. will das nicht ernst genommen haben. „Das war ja wie beim Schuh des Manitu“, sagt er. „Ich habe gedacht: Dann müssen sie mich halt umbringen. Dann haben sie aber auch keinen ITler mehr“.

S. kann sich gewandt ausdrücken, er macht vor Gericht ironische Bemerkungen. Er kann sehr klar und detailliert Auskunft geben, solange es ihn nicht belastet. Das Bild, das Wolfram S. von sich selbst zeichnet, ist mindestens widersprüchlich. Einerseits beschreibt er sich als Menschen, der schon als Sechsjähriger alles auseinandergebaut habe, um dahinterzukommen, wie es funktioniere. „Ich war ein Warum-Kind, wohl ziemlich anstrengend“, sagt er.

Andererseits, wenn kaum zu übersehen oder zu überhören ist, dass sich die Führungstruppe weniger für Essensvorräte zum Katastrophenschutz interessiert als für Waffen und Rangabzeichen, will er nicht weiter nachgefragt haben. Er verweist auf seine „katastrophale Allgemeinbildung“, will gedacht haben, dass die Reuß-Truppe am Tag X mit der Bundeswehr zusammenarbeiten würde. Für Politik und Geschichte interessiere er sich nicht, deshalb habe er nicht gewusst, dass die Bundeswehr militärisch nicht im Inland eingesetzt werden dürfe.

Der „Schöpfer“ habe jetzt genug

„Ich unterscheide Dinge danach, ob sie eine unmittelbare Auswirkung auf mein Leben haben oder nicht“, sagt er. Und so setzt der Elektronik-Ingenieur, dem Datenschutz, wie er sagt, sehr wichtig sei, einen Fragebogen digital um. Mit dem wollte die Truppe durch Ortschaften ziehen und abfragen, wer Waffenerfahrung hat oder Probleme damit, „mit Verstorbenen umzugehen“. Die erste Frage auf dem Formular – noch vor den persönlichen Angaben: „Sind sie geimpft?“

Irgendwann ruft die Gruppe den 22. August 2022 als Tag X aus. Was da genau passiert, ist Wolfram S. unklar. Es könnte zu Stromausfällen und der Unterbrechung der IT-Versorgung kommen, heißt es. Dafür soll sich die Gruppe im Haus des Logistikchefs M. versammeln. Wolfram S. entdeckt seine naturwissenschaftliche Denkweise kurzzeitig wieder und möchte Genaueres wissen: Was steht bevor, wie soll reagiert werden. Um das zu erfahren, fährt er am Vortag extra zu Marco van H. Der hat wenig Zeit und sagt nur: „Der Schöpfer hat jetzt genug.“ S. will das einfach so hingenommen haben, wie auch zuvor den Reichsadler oder auch die Formulierung auf einem Fragebogen: „Falsche Aussagen werden als Hochverrat gewertet und durch ein Militärgericht abgehandelt.“ Der Tag X fällt aus, Wolfram S. will ab da nur noch passives Mitglied gewesen und seinen Ausstieg geplant haben.

Keiner wird Wolfram S. für ein wirklich militantes Mitglied der Gruppe halten können, er hat für die digitale Logistik gesorgt. Wie viel er von den möglichen Umsturzplänen heute gewusst haben will, ist offensichtlich: nichts. Wie viel er gewusst haben konnte, machen die Dokumente klar, die an diesem Tag für alle sichtbar auf dem Projektor liegen. Ziemlich viel.

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16 Kommentare

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  • Es ist so typisch für eine bestimmte Personengruppe: Erst die Allmachtsphantasien, Machtmissbrauch, Pläne die mindestens problematisch genannt werden müssen und dann haben die Superdurchblicker von nichts gewusst und die Anderen sind schuld.

    • @aujau:

      Ich fürchte mittlerweile, dass dieses Verhalten eher Regel als Ausnahme unter „Machern“ ist. Protagonisten dieser Art findet man bereits im kleinsten Verein: Die Realität aggressiv ablehnen, maximale Zerstörung anrichten und dann keine Verantwortung übernehmen zu wollen ist ein so oft gesehenes Muster.

      • @Helmut Fuchs:

        Und es hat eine lange Tradition.

  • Da stell icke als Diplomingenieur mir man janz dumm



    und was ich nicht weiß macht mich nicht heiß



    ist seine fachidiotische Verteidigungsstrategie.

  • Ach was! ©️ Loriot 💯💯💯te

    “Reichsbürgerprozess in Stuttgart



    : Der Computer-Nerd des Prinzen



    Am zweiten Tag im Stuttgarter Reichsbürgerprozess sagt Wolfram S. aus. Er will von den Absichten der Truppe nichts gewusst haben. Ist das glaubwürdig?“



    & Däh - a 🥱



    “Und spätestens da erscheint die Aussage des Angeklagten S. wenig glaubwürdig.“

    Benno Stieber & die Headlinerastellis - zum mit 🖊️en



    Glaubhaft oder nicht glaubhaft - das ist hier die Frage!



    Ob der Mann glaubwürdig ist - steht auf einem anderen Blatt 🍁!;)



    always at your servíce & immer wieder gern! Gell

    unterm—- aus der Lamäng



    www.jura.uni-frank...itsbeurteilung.pdf



    &



    Was ist der Unterschied zwischen glaubwürdig und glaubhaft?



    Glaubhaftigkeit bezieht sich dabei auf die Aussage; eine Aussage, die schlüssig und nachvollziehbar ist, wird als glaubhaft bezeichnet. Glaubwürdigkeit bezieht sich hingegen auf die Person des Aussagenden; eine Person, bei der davon ausgegangen wird, dass sie die Wahrheit sagt, ist glaubwürdig.



    Schonn schön gesagt! => Rahmen 🖼️ & übern Schreibtisch! - 🙀🥳🧐 -

    • @Lowandorder:

      Hat hier jemand *Schraubenzieher* gesagt?

      Nein? Schade…

      • @THu:

        …Nagel zum aufhängen reicht - 🖼️ - 🔨 -

        Ps - … wenn jemand über Strafprozesse schreibt und ihm ganz offensichtlich die Grundlagen des Prozessrechts fremd sind!



        Sorry - es gibt auch noch andere ehrbare Berufe! Gellewelle

  • Fassungslos was es für Idioten gibt, der Mann hat ein Studium erfolgreich abgeschlossen.



    Was mich stört nicht mal eine gute Schulbildung, ein Studium macht resistent gegen diese dümmsten Verschwörungstheorien und Umsturzfantasien.

    • @Peace85:

      Sie dürfen nicht übersehen, wieviele Idioten durch politische Entscheidungen in die Hochschulen geschleust wurden.

      Die Mehrzahl ist dann in den MINT-Fächern nach drei Semestern bereits mangels Kenntnis der ersten binomischen Formel weg vom Fenster, aber einige halten leider durch. Dass die sich u.a. in einem Aufbaustudium zu Schamanen ausbilden lassen, war mir allerdings neu.

    • @Peace85:

      "Was mich stört nicht mal eine gute Schulbildung oder ein Studium macht resistent gegen diese dümmsten Verschwörungstheorien und Umsturzfantasien."



      Das ist nun leider wirklich nichts neues. Was ich schon für einen Unfug von hochstudierten Menschen habe hören müssen, geht auf keine Kuhhaut.



      Zur Bildung gehört ein gebildeter Geist, sonst ist der Mensch nur so schlau wie ein Bibliotheksgebäude.

      • @Encantado:

        Während neuerdings MINT Absolventen zu Heilsbringern oder besseren Menschen überhöht, wird übersehen, dass nicht wenige zu unerträglichen Besserwissern dadurch werden. Wir kennen alle diese Form der Arroganz: man versteht etwas Fachliches, das nicht jeder gelernt hat, und schon glaubt man, für das eigene Verständnis gibt ee überhaupt keine Grenzen mehr.

        • @THu:

          "Während neuerdings MINT Absolventen zu Heilsbringern oder besseren Menschen überhöht (...) und schon glaubt man, für das eigene Verständnis gibt es überhaupt keine Grenzen mehr."



          Das stimmt, aber warum grenzen Sie das auf MINT-Studiengänge ein?

  • Interessant ist ja dass Wolfram S. auf Nachfrage seine eigene politische Ausrichtung als „links-grün“ bezeichnet…unabhängig davon inwiefern das nur eine Schutzbehauptung ist, sorgt diese Aussage gerade in vielen Foren für helle Aufregung.

    • @Saile:

      Wer sich selbst wörtlich als "links-grün" bezeichnet, ist es eher nicht. Weil dieser zusammengesetzte Ausdruck eigentlich nur bei rechts-braun verwendet wird.

    • @Saile:

      Er glaubt wohl, mit diesem Bekenntnis bei der linksgrün-versifften Elite anzukommen. Jeder weiß schließlich, dass diese Leute überall im Hintergrund die Strippen ziehen.

      • @THu:

        Lol