Reichsbürger diskutieren Razzia: Werbung für das Deutsche Reich

In Hannover begrüßen Reichsbürger die Razzia vor anderthalb Wochen als PR. Mit dabei: ein Beschuldigter der mutmaßlichen Terrorgruppe.

Ein Mann mit einer Kapuzenjacke auf der "Deutsches Reich" steht

Halten die Bundesrepublik für illegitim und zeigen deshalb gerne schwarz-weiß-rot: Reichsbürger Foto: Christophe Gateau/dpa

HANNOVER taz | Auf dem Spielplan des Leibniz-Theaters stehen Weihnachtsstücke: „Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens“ oder „Swinging Christmas“. In das private Theater in Hannover kehren in dieser Zeit aber auch Männer und Frauen ein, um ganz anderen Geschichten zu lauschen; Geschichten von Fürsten und Adelsgeschlechtern, von 1871 und dem Deutschem Reich.

Von der wirklichen Wahrheit ist in dem Eckgebäude an der Kommandanturstraße die Rede. Denn diejenigen, die sich in einem Nebenraum des Leibniz-Theaters auf Einladung des Leiters immer wieder treffen, glauben an ein vermeintlich einzigartiges Wissen. Sie wollen es unbedingt an Jüngere, auch in Schulen, weitergeben.

Es waren rund 30 Leute, die sich am vergangenen Samstag in den hinteren Räumen des Theaters einfanden, um Erhard Golla aus Solingen zum Thema „Der rechtliche Weg in die Verfassung 1871“ zu lauschen. Um 14 Uhr begann die Einführung gegen Spende von zehn Euro, Kaffee, Tee, Wasser und Kekse inklusive. Das Treffen war über einen regionalen Unterchat namens „Wahlkommissionen“ beworben worden. Autos kamen aus Hessen, Wolfenbüttel, Wittmund, Flensburg.

Ein ähnliches Treffen, am 13. Dezember am selben Ort, war spontaner Art. Der Anlass: die bundesweite Razzia gegen mehr als 50 Aktive der sogenannten Patriotischen Union oder auch „Neue Deutsche Armee“ genannt, einer Gruppe von Reichsbewegten, die für den Tag X einen Staatsstreich geplant haben sollen.

Waffen und Goldbarren

Die Polizei nahm den 71-jährigen Immobilienhändler Heinrich XIII. Prinz Reuß als Rädelsführer fest, und stellte bei unzähligen Razzien 93 illegale Waffen sowie Goldbarren im Wert von sechs Millionen Euro sicher. Einer der Durchsuchten wird wenige Tage später in Hannover mit Applaus begrüßt: Matthes Haug. Auch er soll der Gruppe um Prinz Reuß angehöre

Nur eine Woche nach der Razzia begrüßt der Leiter des Theaters, Joachim Hieke, den Physiker aus Baden-Württemberg auf dem Podium. Neben diesem sitzen der bekannte Reichsideologe Hans-Joachim Müller sowie Haugs Co-Referent Björn Auen. Hieke gibt sich beeindruckt: Seit zwei Jahren öffne er sich dieser Szene in seinem Haus. In Telegram-Gruppen werden Mitschnitte der Veranstaltung per Audiodatei verbreitet. Sie liegen der taz vor.

Um 6 Uhr morgens habe die Polizei seine Tür aufgebrochen, der Rahmen sei kaputt, berichtet Haug, Autor von „Das deutschen Reich – von 1871 bis heute“. Mit Kabelbinder sei er als Terror-Unterstützer festgesetzt worden. „Ich treffe mich ab und zu mit Prinz Reuß“, sagte Haug, etwa auf dem Jagdschloss des Prinzen in Thüringen. In Hannover kennt nicht nur Haug „den Prinzen“, sondern auch Hans-Joachim Müller aus Leipzig. Auf dem Podium berichtet er von seiner Bekanntschaft mit dem mutmaßlichen Rädelsführer der Patriotischen Union.

Müller, Haug und weitere behaupten in Hannover, 1871 seien die Menschen wirklich frei gewesen. Gepriesen werden Bismarck und die Verfassung des Deutschen Reiches. Für sie ist die BRD eine ungeliebte Verwaltungseinheit, die abgeschafft gehöre, während das Deutsche Reich noch schlummere. „Es ist eine Riesenchance, wenn wir an 1871 anknüpfen, eine einmalige Chance für Deutschland“, sagte Haug.

Hans-Joachim Müller, Youtuber  und Reichsbürger

„Prinz Reuß hat zu mir gesagt, wenn ich kein Staatsvolk habe, schmeißen mich die Russen gleich wieder raus“

Bundesweit geht das Bundesamt für Verfassungsschutz von etwa 23.000 An­hän­ge­r*in­nen der heterogenen, reichsideologischen Szene aus. In Niedersachsen rechnet das Landesamt für Verfassungsschutz der Bewegung rund 900 Personen zu. Müller dürfte zu den Stars dieser verschachtelten, kaum überschaubaren, aber in jüngerer Zeit erstarkten Szene gehören. 2020 verbreitete er die antisemitische US-amerikanische Verschwörungsideologie ­QAnon.

Mehr als zehn Millionen Mal wurden seine Videos auf Youtube bislang angeschaut. Bei Telegram hat er eigene Kanäle. In einem gemeinsamen Video mit Martin Kohlmann, dem rechtsextremen Kopf von „Freies Sachsen“, schwärmte er davon, in diesem Bundesland ein eigenes Königreich zu errichten.

In Hannover redet Müller mit ­alterstiefer Stimme; er redet und redet, gefällt sich in der Rolle des belesenen, autoritären Ostdeutschen. Er betont, er sei ja Lehrer. Hieke berichtet stolz, seit zwei Jahren mit Müller bekannt zu sein. „Lass uns mal einen anderen Staat machen“, darüber seien sie ins Gespräch gekommen.

Der Kulturschaffende Hieke ist in Hannover als Gegner staatlicher Coronamaßnahmen bekannt. Schnell sind sich auf dem Podium am 13. Dezember alle einig, dass der vereitelte Putsch ausschließlich positive Propaganda für sie darstelle. Ein „Aufweckprogramm für die deutschen Schlafschafe“, witzelt Hieke.

Wirr aber entschieden

Diese Ansicht teilt Hans-Joachim Müller, der sich auch Hajott nennen lässt – wie die Abkürzung von Hitlerjugend. Müller zeigte sich entsetzt, dass die staatlichen Handlanger sich an den „Hochadel“ wagten. Reuß bräuchte bloß seine zwei Fürstentümer zurück, um ein Reich haben zu können, sagte Müller. „Prinz Reuß hat zu mir gesagt, wenn ich kein Staatsvolk habe, dann schmeißen mich die Russen gleich wieder raus.“ Reuß soll als Regent in spe schon Kontakt zur russischen Regierung aufgenommen haben.

Es geht wirr, aber entschieden zu. Von der Bundesrepublik oder Bundesregierung hält in dem Saal anscheinend niemand etwas.

Auch am vergangenen Samstag tagten die Reichsideologen noch lange im Hinterzimmer. Der Referent Golla warb für die deutsch-russische Freundschaft – es geht um mehr als nur das Deutsche Reich. Medien, die vor dem Leibniz-Theater filmen, stören da nur. Fragen werden gar nicht erst zugelassen. Sofort stürmen Besucher heraus, schimpfen und es kommt zu Handgreiflichkeiten. Einer Bitte um Stellungnahme kam Hieke am Sonntag nicht nach.

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