Reichsbürger-Prozess in Celle: Doch keine Kaiserreichs-Terroristin
In Celle geht der Prozess gegen eine mutmaßliche Mitverschwörerin der „Kaiserreichstruppe“ zu Ende. Selbst die Anklage fordert einen Freispruch.

In der Anklage hatte das alles noch ganz anders geklungen. Man beschuldigte sie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Die Mutter von drei Kindern hat – und das bestreitet sie auch nicht – mehrere Telegram-Gruppen verwaltet, in der sich zunächst Bundeswehr-Veteranen und Ahrtal-Helfer tummelten, später aber auch Coronaleugner, Reichsbürger und Rechtsextreme.
Daraus rekrutierten sich Mitglieder jener Truppe, die als sogenannte „Kaiserreichsgruppe“ unter dem Namen „Vereinte Patrioten“ irrwitzige Pläne schmiedeten: Sie wollten bundesweite Stromausfälle herbeiführen, mit Anschlägen auf die kritische Infrastruktur, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus einer Talkshow entführen, mithilfe einer ausländischen Allianz die Bundesregierung stürzen und eine Rückkehr zur konstitutionellen Monarchie einleiten.
Einsatz als Nahkampf- und Internetspezialistin?
Vor den Oberlandesgerichten in Frankfurt, Stuttgart, München und Koblenz laufen zum Teil noch die aufwändigen Mammutprozesse gegen die mutmaßlichen Köpfe der Bewegung, darunter Prinz Reuß und die Ex-AfD-Abgeordnete und -Richterin Birgit Malsack-Winkemann.
Auch dort finden sich verschiedene Angeklagte aus Norddeutschland auf der Anklagebank, wie der Ex-Hauptkommissar Michael Fritsch, ein Rechtsanwalt aus Hannover, eine Ärztin aus Vechelde (Kreis Peine). Schon verurteilt wurden etwa ein Kleinkünstler aus Bad Zwischenahn in Koblenz und ein 67-jähriger Reichsbürger vor dem Oberlandesgericht in Hamburg.
Dass die 39-Jährige in dieser Bewegung keine herausragende Rolle gespielt hat, hatte sich in Celle schon früh angedeutet. Es gebe allerdings, erklärt der Generalstaatsanwalt, eine Reihe von Vorwürfen, die sich in den Akten ein wenig anders lasen und die erst die Beweiserhebung vor Gericht ausräumen konnte.
Dazu zählen insbesondere die Dienste der Angeklagten. Die Hobby-Kampfsportlerin hätte, so geht es aus Chats und den Aussagen eines V-Mannes hervor, für die Nahkampfausbildung und Schulungen zur Internetsicherheit eingesetzt werden sollen. Sie sollte außerdem ausländische SIM-Karten besorgen, was sie zwar zusagte, aber dann nicht mehr tat.
Als Fast-V-Frau wird von einem V-Mann belastet
Denn der 39-Jährigen, das legte sie vor Gericht überzeugend dar, war relativ schnell mulmig geworden als ihr klar wurde, in was für einer Gesellschaft sie sich da bewegte. Sie sei da so reingerutscht, sagt sie. Ihr gingen viele Corona-Maßnahmen zu weit.
Zwei Treffen hat sie mitgemacht, eines im thüringischen Schlotheim und eines in Verden an der Aller. Da stand sie aber schon in Kontakt mit der Polizei. Am Rande einer Montagsdemo in Sarstedt bei Hannover im Februar 2022 hatte sie eine Polizeibeamtin angesprochen und ihr gesagt, sie habe Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder.
Trotzdem – und das hatte man ihr anfangs vorgeworfen – blieb sie in Kontakt mit der unheimlichen Truppe, fuhr sogar zu einem weiteren Treffen. Wenn er gewusst hätte, dass es in der Zwischenzeit mindestens eines, wahrscheinlich aber mehrere Treffen mit dem Landeskriminalamt gegeben hatte, dass das LKA erwogen hatte, sie als V-Person einzusetzen, dann hätte er dieses Verhalten wohl anders beurteilt, erklärte der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft in seinem Plädoyer.
Einer, der tatsächlich als V-Mann eingesetzt war, hatte die Frau erheblich belastet. Er war es, der auf ihre Funktion als Nahkampftrainerin und Internetspezialistin hinwies. Auch seine Aussage vor Gericht habe die Dinge im Nachhinein aber sehr viel unschärfer erscheinen lassen, beklagte der Anklagevertreter.
Da hatte der Mann dann nämlich doch gar kein Nahkampftraining direkt beobachtet und konnte sich auch an sonstige Schulungsauftritte nicht so richtig erinnern. Mit anderen Worten: Das Ganze war vielleicht auch eher Hörensagen.
Bewaffnung: Ein Schlagring in Form eines Katzenkopfes
Auch der Verstoß gegen das Waffengesetz entpuppte sich als vergleichsweise harmlos: Man hatte einen Schlagring in Form eines Katzenkopfes bei der Frau beschlagnahmt. Den habe sie aber einfach immer am Schlüsselbund bei sich geführt – einen engeren Zusammenhang zu den Umsturzplänen gab es da nicht.
Überhaupt, sagte der Staatsanwalt, traue er Frau B. nach all ihren Einlassungen auch nicht zu, dass sie ernsthaft geglaubt hätte, sie könne Leute dazu ausbilden, die professionellen Personenschützer von Karl Lauterbach auszuschalten.
Ihrem Verteidiger blieb da am Ende kaum noch Material übrig für sein Plädoyer, auch er forderte einen Freispruch. Die Angeklagte nutzte das ihr zustehende letzte Wort, um sich für die faire Behandlung durch das Gericht zu bedanken. Ein Urteil wird erst in der kommenden Woche, am 21. März, ergehen.
Als Beleg dafür, dass es sich bei der Kaiserreichsgruppe um eine irrlichternde Vereinigung von Fantasten handelt und die Justiz auch in den anderen Verfahren mit Kanonen auf Spatzen schießt, taugt der Fall allerdings nicht. Sie habe immer noch Angst vor ihren ehemaligen Mitverschwörern, sagte die 39-Jährige am Rande des Prozesses.
„Die sind völlig gewissenlos gewesen, denen war völlig egal, dass Menschen sterben werden“, hatte sie schon bei ihrer ersten Aussage vor Gericht im Februar gesagt. Sie überlege nun, mit ihren Kindern ein weiteres Mal umzuziehen.
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