Rehabilitierung von NS-"Kriegsverrätern": "Pauschale Aufhebung ist besser"
Joachim Gauck, Exchef der Stasi-Unterlagenbehörde, plädiert für die Aufhebung der NS-Urteile gegen "Kriegsverräter". Und attestiert der Union "Restbestände unaufgeklärten konservativen Denkens".
taz: Herr Gauck, am heutigen Freitag debattiert der Bundestag über die von der NS-Militärjustiz wegen Kriegsverrats Verurteilten. Sollen diese Urteile pauschal aufgehoben werden?
Joachim Gauck: Ja. Viele NS-Opfergruppen sind erst Jahrzehnte nach 1945 rehabilitiert worden, etwa die Zwangssterilisierten und die Deserteure. Die letzte Opfergruppe, denen die Anerkennung noch verweigert wird, sind die Kriegsverräter.
Die Union argumentiert: Jeder Einzelfall von Kriegsverrätern kann gerichtlich geprüft werden, jedes Urteil kann aufgehoben werden. Was spricht dagegen?
Ich war auch lange dieser Ansicht. Doch wenn man die Arbeiten von Wolfram Wette und Detlef Vogel liest, merkt man: Der Verdacht, dass die als Kriegsverräter Verurteilten ihre Kameraden verraten haben, ist unbegründet. Kriegsverrat war ein Abschreckungsmittel der NS-Justiz gegen unwillige Soldaten. Diese Verfahren haben deutliche Züge einer repressiven, totalitären Einschüchterung. Die Opfer waren oft einfache Soldaten, die mit dieser Justizkeule bearbeitet wurden. Was Wette in dem Buch "Das letzte Tabu" darstellt, zeigt, dass die pauschale Aufhebung der Urteile der bessere Weg ist.
Der CSU-Politiker Norbert Geis hat 2007 im Bundestag gesagt, dass, "wer Kriegsverrat beging, oft in verbrecherischer Weise den eigenen Kameraden geschadet hat". Verstehen Sie, warum die Union - zumindest in Teilen - so hartnäckig mauert? In Teilen - das ist wichtig. Es gibt auch Christdemokaten, die ganz anders denken. Aber offenbar gibt es bei anderen Loyalitäten zu der Nachkriegszeit, in der Opa kein Nazi und die Wehrmacht sauber war. Es gibt noch Restbestände eines unaufgeklärten konservativen Milieus.
Faktisch blockieren diese Restbestände in der Union die pauschale Aufhebung der Urteile. Es gibt im Bundestag zwar eine Mehrheit für die Aufhebung, doch die kommt aus Koalitionsräson nicht zum Tragen.
Das wäre betrüblich. Man muss darauf hoffen, dass auch Konservative die Arbeiten von Wette zur Kenntnis nehmen. Nur so können die unbegründeten Vorurteile gegen Kriegsverräter ausgeräumt werden. Auch bei den Deserteuren hat die Rehabilitierung sehr lange gedauert.
Rot-Grün hatte 2002 Deserteure und Kriegsdienstverweigerer rehabilitiert - und die Kriegsverräter ausdrücklich ausgenommen. Ein Fehler, den es nun zu korrigieren gilt?
Ich denke, ja. Historische Erkenntnisprozesse brauchen Zeit. Auch bei der Wehrmacht hat es lange gedauert hat, ehe deren Verbrechen ins allgemeine Bewusstsein gedrungen sind.
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