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Regisseur Oleg Senzow im HungerstreikDer Unnachgiebige

Der in Russland inhaftierte ukrainische Regisseur Oleg Senzow verweigert seit 14 Tagen die Nahrungsaufnahme. Er fordert, Gefangene freizulassen.

Oleg Senzow während des Prozesses gegen ihn im Gericht in Rostow am Don Foto: ap

Am Ende seines Films „Gamer“ geht Alex, die Hauptfigur, zum Fluss, wirft Computer-Maus und Kopfhörer ins Wasser. In der Szene liegt eine Kompromisslosigkeit, die auch auf den Regisseur passt: Oleg Senzow, erst professioneller Computerspieler, dann Regisseur und schließlich politischer Aktivist. Seit zwei Wochen befindet sich der Ukrainer im Hungerstreik. Er werde diesen erst abbrechen, wenn die russische Regierung 63 in Russland aus politischen Gründen inhaftierte Ukrainer freilasse, hatte er aus der Strafkolonie „Der weiße Bär“ unweit der Stadt Labytnangi im hohen Norden Russlands mitgeteilt. Eine entsprechende handschriftliche Notiz veröffentlichte das russischsprachige Nachrichtenportal Mediasona.

Senzows Anwalt Dmitri Dinse sagte am 16. Mai, der Hungerstreik habe „politische Gründe“ und sei auch mit Blick auf die bevorstehende Fußball-WM in Russland begonnen worden.

Weggefährten von Senzow, der bis zu seiner Verhaftung am 11. Mai 2014 durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB zahlreiche Aktionen gegen die Annexion der Krim durch Russland koordiniert hatte, fürchten, dass es Senzow ernst meint. In seiner Autobiografie schreibt der Regisseur, schon als 17-Jähriger habe er sich von Lehrern nichts sagen lassen. Er habe sie provoziert, weil die Lehrer glaubten, sie seien klüger als ihre Mitmenschen. Senzows Gesundheitszustand sei kritisch, heißt es.

Im August 2015 war der ukrainische Regisseur, der in russischer Sprache veröffentlicht, von einem russischen Gericht in Rostow am Don zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden. Er solle Terroranschläge auf Brücken, Stromleitungen und Denkmäler geplant haben, so das Gericht. Bei der Gerichtsverhandlung hatte einer der beiden Belastungszeugen, Gennadi Afanasjew, seine Aussage widerrufen, weil er dazu unter Folter gezwungen worden war. Auch Senzow spricht von einer dreistündigen Folter durch den FSB.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Regisseure wie Pedro Almodóvar, Wim Wenders, Krzysztof Zanussi, Andrzej Wajda und Ken Loach, aber auch die Europäische Filmakademie hatten die russischen Behörden aufgefordert, Senzow freizulassen. Auf Twitter und Facebook gibt es Kampagnen mit dem Motto #FreeSenzow beziehungsweise ##FreeSentsov. Die unterschiedlichen Schreibweisen seines Namens ergeben sich aus der deutschen und der englischen Umschrift.

Senzow stammt aus Simferopol, der Hauptstadt der Autonomen Republik Krim. Der heute 41-Jährige war in seiner Jugend selbst Gamer, später Inhaber eines der letzten Computerspielsalons in Simferopol. Nebenbei begann er zu schreiben, 2011 erschien sein Film „Gamer“.

Er handelt von einem Jugendlichen, der der Spielsucht verfallen ist. Zwar gewinnt der Protagonist bei einer Weltmeisterschaft in Computerspielen den zweiten Platz, doch im realen Leben scheitert der junge Mann. Er versinkt in Depression und Isolation. „Gamer“ lief auf vielen Filmfestivals und wurde mehrfach ausgezeichnet, sollte aber Senzows einziger Film bleiben.

Inzwischen gibt es allerdings einen Film über Oleg Senzow und seinen Fall – The Trial: The Russian State against Oleg Sentsov.

2014 machte sich der Regisseur von der Krim auf den Weg nach Kiew, um die Maidanbewegung zu unterstützen. Senzow, der sich selbst als ethnischen Russen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft bezeichnet, glaubte lange, dass die Halbinsel eine Brücke zwischen der ­Ukraine und Russland sein könne. Kurz vor der Annexion der Krim belieferte er dort von russischen Einheiten blockierte ukrainische Soldaten mit Lebensmitteln und Vorräten.

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