Regierungskrise in Brasilien: Um Bolsonaro wird es einsam

Der Rücktritt von Brasiliens Justizminister Sergio Moro trifft die Regierung ins Mark. Der Superminister wendet sich jetzt gegen den Präsidenten.

Brasiliens Präsident zieht ein schiefes Gesicht, während er in ein Mikrofon spricht.

Sichtlich zerknittert: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro kommentiert den Rücktritt Sergio Moros Foto: Erado Peres/ap

São Paulo taz | Inmitten der Gesundheitskrise durch das Coronavirus ist Brasilien am Wochenende auch in eine politische Krise gestürzt. Der Auslöser: Am Freitag abend gab der brasilianische Justizminister Sergio Moro seinen Rücktritt bekannt. Der prominente Ex-Richter äußerte schwere Vorwürfe gegen Präsident Jair Bolsonaro und ging.

Ausschlagend für den Rücktritt war Bolsonaros Entscheidung Maurício Valeixo, Chef der Bundespolizei und enger Vertrauter Moros, zu entlassen. Bolsonaro hatte seinem „Superminister“ Moro nach der Wahl 2018 eigentlich freie Hand bei der Nominierung der ihm unterstehenden Behörden versprochen. Auf einer Pressekonferenz wurde der sonst eher reservierte Moro deutlich: Bolsonaro nehme aus politischen Gründen Einfluss auf die Bundespolizei und wolle einen Vertrauten als Chef einsetzen, um an geheime Informationen über Ermittlungen zu gelangen.

Einige Stunden später trat wiederum der rechtsradikale Präsident vor die Presse, um die „Wahrheit wiederherzustellen“. Der sichtlich aufgewühlte Bolsonaro wies die Vorwürfe zurück und ging in gewohnter Manier zum Gegenangriff über. Moro habe sich auf einen Deal einlassen wollen, sollte er von ihm in den Obersten Gerichtshof nominiert werden – ein Vorwurf, den Moro zurückweist.

Vieles deutet darauf hin, dass Bolsonaro versucht, durch die Entlassung seine Söhne zu schützen. Gegen die ermittelt die Bundespolizei. Sein Sohn Carlos, ebenfalls ultrarechter Politiker, der wegen seiner cholerischen Art auch „Pitbull“ genannt wird, soll in sozialen Medien Fake-News-Kampagnen organisiert haben. Laut Presseberichten stand er kurz vor der Verhaftung durch die Bundespolizei.

Unzufrieden mit Bolsonaros chaotischer Corona-Politik

Am Samstag veröffentlichte das Enthüllungsmedium The Intercept Brasil pikante Recherchen über Ermittlungen gegen Präsidentensohn Flávio. Als Abgeordneter soll er öffentliche Gelder umgeleitet und damit illegale Bauprojekte einer Miliz finanziert haben.

Den Bolsonaros werden schon lange Verbindungen zu den paramilitärisch organisierten Milizen nachgesagt, die in Rio de Janeiro viele arme Stadtteile mit Waffengewalt kontrollieren und hinter dem Mordanschlag auf die linke Stadträtin Marielle Franco stehen sollen.

Der spektakuläre Abtritt Moros hat wahrscheinlich aber noch andere Gründe. Der Politiker aus der südbrasilianischen Stadt Curitiba war unzufrieden mit der chaotischen Corona-Politik Bolsonaros. Außerdem sagen ihm viele eigene Ambitionen für die Wahl im Jahr 2022 nach.

Vor seiner politischen Karriere hatte sich der 47-Jährige einen Namen als Anti-Korruptionsrichter gemacht und durch die Verurteilung von Ex-Präsident und PT-Legende Luiz Inácio „Lula“ da Silva bei vielen Brasilianer*innen Heldenstatus erlangt. Recherchen stellen jedoch seine Unabhängigkeit in Frage und vieles deutet auf einen von Moro orchestrierten Komplott gegen die Arbeiterpartei PT hin – der letztlich erst die Wahl von Bolsonaro möglich machte.

Bolsonaro steht weitgehend isoliert da

Ironische Pointe: Bei seiner Pressekonferenz am Freitag musste der notorische PT-Jäger Moro die Unabhängigkeit der Bundespolizei während der Regierungszeit der Arbeiterpartei anerkennen.

Der Abgang Moros trifft die Regierung ins Mark. Der extrem beliebte Moro war ein Brückenbauer zur politischen Mitte, entsprechend heftig waren die Reaktionen nach seinem Rücktritt. Nicht nur der Militärflügel zeigte sich enttäuscht über Bolsonaros Umgang, auch Unternehmerverbände und enge Verbündete gingen offen auf Distanz zum Präsidenten.

Erst vergangene Woche hatte Bolsonaro für weitreichende Empörung gesorgt, als er den populären Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta nach Auseinandersetzungen über die Bekämpfung der Corona-Krise gefeuert und durch einen treuen Gefolgsmann ersetzt hatte.

Durch sein katastrophales Krisenmanagement steht Bolsonaro mittlerweile politisch weitestgehend isoliert dar. Es wird vermutet, dass auch der zweite „Superminister“, Wirtschaftsminister Paulo Guedes, bald gehen wird. Die Regierung sei am Ende, lautet das Urteil vieler Analyst*innen.

Pedro Serrano, Professor für Verfassungsrecht an der Katholischen Universität São Paulo, ist zurückhaltender. „Die Regierung hat durch den Rücktritt von Moro einen schweren Schlag erlitten“, sagte Serrano der taz. „Aber Bolsonaro hat immer noch viele Unterstützer. Ob das ausreicht, um im Amt zu bleiben, wird man erst in den nächsten Wochen sehen.“

Aufgrund der Anschuldigungen von Moro könnten nun Ermittlungen gegen Bolsonaro eingeleitet werden. Medien berichten, dass der Ex-Justizminister zahlreiche Gespräche aufgezeichnet hat, die den Präsidenten schwer belasten könnten. Auch die Stimmen nach einem Amtsenthebungsverfahren werden lauter. Sollte die Anschuldigungen von Moro bewiesen werden, sieht Serrano die rechtlichen Möglichkeit eines Impeachments gegeben. Bisher habe es dafür zwar nicht die notwendigen Mehrheiten im Kongress gegeben – das könnte sich nun durch den Abgang Moros schnell ändern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.