Regierungserklärung von Olaf Scholz: Merz beklagt „karikaturenhafte“ Rede

Mit heftigen Attacken reagiert die Opposition im Bundestag auf die Regierungserklärung des Kanzlers. Der warnt vor einem „Wettbewerb mit Populisten“.

Olaf SCholz spricht im Bundestag

Berlin, 26. Juni: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Regierungserklärung zu den Gipfeltreffen von EU und NATO im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN afp/taz | Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hat der Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen Verlust der Handlungsfähigkeit attestiert. „Sie haben für kein Ziel Ihrer Regierung mehr die Unterstützung auch nur eines Teils, geschweige denn der Mehrheit der Bevölkerung“, sagte Merz im Plenum des Bundestags an den Kanzler gerichtet. „Noch nie in der Geschichte unseres Landes hat eine Regierung so gegen die klaren Interessen der eigenen Bevölkerung regiert wie Sie.“

Die Ampelkoalition habe „keine Idee, keinen Plan, kein Konzept mehr für Deutschland“ und werde nur noch wegen des „reinen Machterhalts“ zusammengehalten, ätzte der CDU-Bundesvorsitzende. Als Beleg nannte er die Schwierigkeiten der Koalition, einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vorzulegen.

Die wirtschaftliche und politische Schwäche Deutschlands habe Konsequenzen für ganz Europa, kritisierte Merz. „Von keinem anderen Land in Europa geht gegenwärtig so viel Unsicherheit und so viel Unklarheit aus wie von Deutschland.“ Dabei müsste Deutschland eigentlich der Stabilitätsanker Europas sein.

Merz reagierte mit seiner Rede auf die vorangegangene Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Scholz hatte darin eingeräumt, dass die Politik Vertrauen verloren habe – zugleich zählte er eine Reihe von Maßnahmen auf, die er als Erfolg seiner Koalition wertete.

„Ständige Krisenerfahrungen haben Vertrauen erschüttert, das kann man gar nicht anders sagen“, sagte Scholz. Es gebe aktuell einen „Wettbewerb mit dem Populisten und Extremisten, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwecke missbrauchen“. Die Politik stehe vor der Aufgabe, der Verunsicherung entgegenzuwirken: „Was wir tun müssen ist, die Sicherheit stärken – die Sicherheit im Inneren und Äußeren.“

Das Thema Sicherheit werde „klare Priorität“ in dem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr haben, den die Koalition im Juli vorlegen werde, kündigte Scholz zu den bevorstehenden Gipfeln von EU und Nato an. „Ohne Sicherheit ist alles nichts – und das werden wir mit dem, was wir hier auf den Weg bringen, auch zum Ausdruck bringen.“

Scholz bezeichnete das Ergebnis der Europawahl, bei der seine Partei ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hatte, als „Einschnitt“: Das Ergebnis habe gezeigt, „dass ganz offenbar angesichts all der vielen Krisen vielen die Zuversicht abhanden gekommen ist“ sagte er. Daraus folge ein Auftrag an die Regierung: „Wir müssen dort, wo Zuversicht fehlt, sie neu begründen.“

Einsparungen im Sozialbereich lehnte Scholz ab, weil dies zu Lasten des gesellschaftlichen Zusammenhalts gehen würde: Es dürfe „keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente“. Ziel der Regierung müsse es sein, dass die Wirtschaft wieder schneller wachse – denn der Staat habe mehr Ausgabenspielraum, „wenn der Kuchen wächst“.

Scholz warnt vor Verteilungsdebatten

Seine Koalition werde deshalb gemeinsam mit dem Haushaltsentwurf einen „Wachstumsturbo“ mit auf den Weg bringen, kündigte Scholz an. Dazu gebe es „sehr kollegiale Gespräche in der Bundesregierung“, fügte der Kanzler hinzu – und erntete dafür Gelächter von der Opposition.

Eindringlich warnte der Kanzler vor Verteilungsdebatten – der Schwerpunkt müsse viel eher auf der Konjunkturbelebung liegen. Scholz beklagte eine „unglaubliche Ausbreitung des Nullsummen-Denkens“. Dieses führe nur „zu Neid und Missgunst und nicht zum Miteinander“.

Merz erwiderte, die Darstellung des Kanzlers habe „wirklich etwas Karikaturenhaftes“ an sich. Der CDU-Chef machte die Politik der Bundesregierung auch für das Erstarken von extremen politischen Kräften verantwortlich.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hielt der Koalition vor, keine Lehren aus ihrem schlechten Abschneiden bei der Europawahl gezogen zu haben. Dobrindt bilanzierte: „Migration tatenlos, Wachstumsschwäche tatenlos, Wohlstandsverlust tatenlos: Sie haben keinen Plan, Sie haben keine Idee für das Land, und manche bezweifeln, ob Sie überhaupt noch eine Koalition haben.“

Streit um Ukraine-Politik der Bundesregierung

Der Linken-Abgeordnete Sören Pellmann warf Scholz mit Blick auf den Ukraine-Krieg einen falschen Ansatz vor. Es fehlten wegweisende Entscheidung in Richtung Frieden und Sicherheit, sagte der Vorsitzende der Linkengruppe im Bundestag. „Aufrüstung führt nur zur Drohkulisse und zur falschen Prioritätensetzung im Inneren, aber nicht zu mehr Frieden und Sicherheit“.

AfD-Chef Tino Chrupalla warf der Koalition vor, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht zu vertreten. „Nur wenn die Bürger abgeholt werden und sich auch wahrgenommen fühlen, werden sie auch die Institutionen und die Akteure dahinter akzeptieren“. Dies geschehe aber nicht. „Genau das ist der Grund, Herr Scholz, warum sie bei der Europawahl diesen Klatsch gekriegt haben.“

Auch die Abgeordnete Sahra Wagenknecht vom BSW attackierte die Koalition, sie ignoriere die Sorgen der Menschen. „Ihr Verständnis von Demokratie ist wirklich bemerkenswert: Die Wähler erteilen Ihnen und der ‚Ampel‘ eine Abfuhr sondergleichen, und Sie machen einfach weiter, als wäre nichts passiert“, sagte Wagenknecht. Das finde sie „schlicht empörend“. Außerdem betreibe Scholz eine Politik, die „Schritt für Schritt in einen großen europäischen Krieg hineinführen“ könne.

Zuvor hatte der Bundeskanzler den BSW und die AfD wegen ihres Boykotts der Bundestagsrede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj scharf angegriffen. „Das war falsch, das war feige und dieses Hauses unwürdig“, sagte Scholz in seiner Regierungserklärung.

Alle Parlamentarier des BSW und die der AfD bis auf vier Abgeordnete waren der Rede vor zwei Wochen ferngeblieben. „Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören“, lautete die Begründung der AfD-Fraktionsspitze. Das BSW warf Selenskyj vor, er trage dazu bei, „eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern“, während es auf der anderen Seite „Signale aus Moskau zu einem Waffenstillstand entlang der jetzigen Frontlinie“ geben würde.

Scholz wies am Mittwoch im Bundestag die vom russischen Präsidenten gestellten Bedingungen für einen Waffenstillstand zurück. „Putin setzt weiter voll auf Krieg und Aufrüstung, darüber darf niemand hinwegsehen“, sagte er. Dies zeige sich „am deutlichsten an seinem vermeintlichen Waffenstillstandsangebot“. Dieses fordert von der Ukraine die Abgabe von durch Russland noch gar nicht besetzten Gebieten und den Verzicht auf jeglichen militärischen Beistand in der Zukunft.

Wer glaube, dass die Ukraine „das überleben würde und dass daraus ein dauerhafter Frieden in Europa wird, der muss schon sehr viel Russia Today schauen“, sagte Scholz. Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) erteilte dem AfD-Abgeordneten Steffen Janich in der Debatte einen Ordnungsruf, weil er Scholz während dessen Rede als „Kriegstreiber“ bezeichnete.

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