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Regierungsbildung in ThüringenWahl ohne AfD-Debakel

Auch ohne eigene Mehrheit ist Mario Voigt im ersten Versuch zu Thüringens Ministerpräsident gewählt worden. Stimmen kamen offenbar von der Linken.

Der alte und der neue Ministerpräsident: Bodo Ramelow beglückwünscht seinen Nachfolger Mario Voigt zu schweren Aufgabe Foto: Karina Hessland/reuters

Erfurt taz | Zwei Finger der rechten Hand zum Schwur erhoben, steht Mario Voigt mit ernster Miene vor der Thüringer Flagge. Der CDU-Landeschef hat es geschafft: Schon im ersten Wahlgang bekam er mit 51 Stimmen die notwendige Mehrheit.

Bis kurz vor der Wahl war unsicher, ob das klappen würde, denn die sogenannte Brombeerkoalition seiner CDU mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD hat selbst nur 44 Stimmen. Dass es dann doch geklappt hat, lag wohl an einer Partei, mit der die CDU kategorisch eine Zusammenarbeit ausschließt: der Linken.

Feierlich legt Mario Voigt an diesem Donnerstagmorgen im Plenarsaal den Eid ab, den die Thüringer Verfassung vorsieht, und fügt an: „so wahr mir Gott helfe“. Dann nimmt er die Glückwünsche, Blumen und einen Brombeerstrauch entgegen, den ihm Steffen Schütz, der Co-Vorsitzende des BSW in Thüringen, überreicht. In seiner Antrittsrede dankt Voigt seinem Vorgänger Bodo Ramelow von der Linken, spricht von Demut und Respekt. Ministerpräsident in Thüringen sein, das sei „die schönste Verantwortung, aber auch die herausforderndste Aufgabe.“ Mindestens mit Letzterem hat er sicher recht.

Auch wenn Mario Voigt nun Ministerpräsident ist, das Regieren in Thüringen wird nicht leichter. Die vergangenen Wochen waren ein Vorgeschmack auf die kommenden fünf Jahre. Auf die zähen, wochenlangen Verhandlungen bis zur Koalition folgte für die Brombeerparteien ein offenes Hin und Her mit der Linken. Mit der schloss Voigt wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses der CDU eine offizielle Zusammenarbeit aus.

Gleichzeitig versuchte er zu verhindern, nur mit Stimmen der rechtsextremen AfD ins Amt zu kommen. Er wolle keine Wiederholung der Ministerpräsidentenwahl von 2020, als die AfD-Fraktion statt für ihren eigenen Kandidaten für den FDP-Chef Thomas Kemmerich gestimmt und ihm ins Amt verholfen hatte. Das hatte eine Regierungskrise zur Folge.

Prinzip: „Prälegislatives Konsultationsverfahren“

Um auch ohne AfD eine Mehrheit zu bekommen, hatten CDU, BSW und SPD schon im Koalitionsvertrag ein Prinzip formuliert, mit dem sie Gesetze durch das Parlament bringen wollen. Mit dem „Prälegislativen Konsultationsverfahren“ informiere die Regierung frühzeitig die Landtagsfraktionen über die Pläne des Kabinetts. Genauer ausgestaltet werden soll das Verfahren Anfang des Jahres und dann Teil der Geschäftsordnung des Landtags sein.

Die Linke forderte für ihre Unterstützung über das Konsultationsverfahren hinaus allerdings eine schriftliche Vereinbarung. Das sei überflüssig, hieß es von der CDU. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, entgegnete, die Linke solle für Voigt stimmen und „staatspolitische Verantwortung“ zeigen, „damit die AfD keine weiteren Spiele mit der Demokratie treiben kann“.

Erst am Dienstag unterbreitete die Brombeerkoalition der Linken ein neues Angebot, „das Pflichtenheft“: Die Koalitionsparteien bänden die Linke als konstruktive Opposition aktiv im Landtag ein, um zentrale Vorhaben und einen Haushalt für 2025 auf den Weg zu bringen. Zwischen den Fraktionen soll es einen regelmäßigen Austausch geben, das sogenannte 3-plus-1-Format. Die Bedingung dafür: ein „geordneter Regierungswechsel“ und genug Stimmen für Voigt, um Ministerpräsident zu werden. Der Fraktionschef der Linken, Christian Schaft, bezeichnete das als Schritt in die richtige Richtung, aber die Linke habe inhaltlich noch Redebedarf. So lange sei noch nicht beschlossen, wie die Fraktion abstimmen werde.

Ministerpräsident von Gnaden der Linken

Ein Vertrauens­vorschuss, kein Blankoscheck

Christian Schaft, Vorsitz Linksfraktion

Am Donnerstagmorgen, eine halbe Stunde bevor die Wahl des Ministerpräsidenten in Landtag beginnt, versammeln sich deshalb Jour­na­lis­t:in­nen mit Mikrofonen vor dem Fraktionsraum der Linken. Dann öffnet sich die Tür, und Fraktionschef Christian Schaft tritt vor die Kameras und verkündet: Ein Teil der Linken werde Mario Voigt im ersten Wahlgang wählen. Das sei „ein Vertrauensvorschuss, aber kein Blankoscheck“.

Nach der Wahl erklärte er der taz dazu, die Inhalte des Koali­tionsvertrags betrachte die Linke weiterhin kritisch, es ist keine Tolerierung. „Ob wir dafür stimmen, dagegen oder uns enthalten, das werden wir immer sehr konkret in der Sache entscheiden.“ Ein Beispiel sei die Migrationspolitik: „Abschiebehaftplätze und eine restriktive Migrationspolitik, da gibt es mit uns keine Mehrheit.“

Dass es Diskussionen ­geben werde, sei klar, sagt auch der SPD-Landesvorsitzende Georg Maier. Zunächst sei Voigts Wahl aber „ein klares Zeichen, dass die Demokratie auch unter Druck funktioniert“. Er sei der Linken dankbar für ihre Stimmen.

AfD stimmt dagegen

Die AfD-Fraktion gab nach der Wahl an, alle 32 Abgeordnete hätten gegen Voigt gestimmt. Im Landtag stellt die AfD zwar die größte Fraktion, aber wegen ihrer völkisch-nationalistischen Positionen möchte keine andere Partei mit ihr zusammenarbeiten. Im Landtag vor Ort hat nach eigener Aussage auch Götz Kubitschek die AfD beraten. Er gilt als Vordenker der rechten Szene, sein Antaios-Verlag ist laut Verfassungsschutz „gesichert rechtsextrem“. Nach der Wahl bemängelte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, Voigt habe seine Inhalte abgelegt, um mit Stimmen von links an die Macht zu kommen.

Mit wem Mario Voigt, mit 47 Jahren der jüngste Ministerpräsident Deutschlands, sein Kabinett bestückt, ist noch nicht öffentlich bekannt. Die Mi­nis­te­r:in­nen der neuen Landesregierung sollen am Freitag­vormittag vereidigt werden.

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5 Kommentare

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  • Man sieht, dass es bei sorgfältiger Vorbereitung auch ohne Stimmen einer Partei geht - mit der keine Absprachen getroffen werden sollen bzw. dürfen - einen Ministerpräsidenten in einem ostdeutschen Bundesland im ersten Wahlgang mit der notwendigen Mehrheit zu wählen.



    Vielleicht wird ja von Seiten der Union nochmal darüber nachgedacht ihre Position gegenüber Parteien links von der "politischen Mitte" zu überdenken.



    Das so bezeichnete "prälegislative Konsultationsverfahren" könnte, sollte es sich bewähren, bei immer unklareren Mehrheiten vielleicht Schule machen

  • Was haben sich die Väter unserer Verfassungen nur dabei gedacht, überall geheime Wahlen vorzuschreiben und den Bruch des Wahlgeheimnisses zur Straftat zu erklären, wo sich doch die gesamte veröffentlichte Meinung fast nicht für das Ergebnis sondern allein dafür interessiert, wer wohl wie abgestimmt haben könnte?

  • In Thüringen war die Linke schon immer prakmatischer, als anderswo, was sicherlich Bodo Ramelow geschuldet ist. Ohne die 'BSW Linken' kann man sich fast überlegen, die Partei evtl. wiedermal zu wählen. Darüberhinaus muss jetzt die CDU, mindestens in Thüringen auf die LINKE zugehen und die Brandmauer auf dieser Seite wenigstens lockern. Das sind sie deren Stimmen im ersten Wahlgang geschuldet.

  • Die Demokratie erhielt fünf Jahre Bewährung.



    Die Linke: Ramelow - ein Ehrenmann.



    AfD: Kubitschek statt Blankoscheck.

  • Moskau regiert wieder mit in Ostdeutschland.