Regierungsbildung in Nordirland: Scheitern am Nordirlandprotokoll
Die DUP verweigert die Regierungsbildung, solange das Brexit-bedingte Nordirland-Protokoll besteht. EU und Großbritannien üben sich in Drohungen.
DUP-Chef Jeffrey Donaldson sagte, solange das Nordirlandprotokoll bestehe, das Bestandteil des Brexit-Vertrags ist, werde seine Partei der Regierung fernbleiben. Er werde sein Mandat für das Regionalparlament aufgeben und stattdessen seinen Unterhaussitz behalten, sagte er am Mittwoch. Ein Doppelmandat ist nicht zulässig.
Ohne die DUP wird es keine nordirische Regierung geben. Im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, das der britischen Provinz relativen Frieden beschert hat, ist festgelegt, dass die beiden stärksten Parteien auf protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer Seite die Erste Ministerin und ihren gleichberechtigten Stellvertreter ernennen müssen.
Zum ersten Mal in der Geschichte Nordirlands stellen die Unionisten nicht mehr die stärkste Partei. Sie sind von Sinn Féin, dem früheren politischen Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA), überholt worden. Eigentlich hat Sinn Féin die Wahl aber nicht gewonnen, sondern die Unionisten sie verloren.
Das Nordirland-Protokoll regelt Zollgrenzen und verärgert die DUP
Sinn Féin kam im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren auf dieselbe Zahl an Mandaten. Weil aber die DUP vor der Wahl angekündigt hatte, die Regierungsbildung wegen des Nordirlandprotokolls zu torpedieren, sind viele Wähler zu anderen Parteien, nicht zuletzt zur neutralen Alliance Party, abgewandert.
Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt. Dadurch wird zwar eine Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden, aber stattdessen gibt es nun eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien, damit britische Waren nicht unkontrolliert nach Nordirland und von dort in die EU gelangen können.
Das ist für die Unionisten, die für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich eintreten, unannehmbar, weil Nordirland dadurch anders als die anderen Regionen des Vereinigten Königreichs behandelt wird. Das verstoße gegen die Unionsgesetze von 1800, sagen sie.
Es bleiben nun sechs Monate Zeit für Verhandlungen. Führen sie zu keinem Ergebnis, übernimmt die britische Regierung die Herrschaft über die Provinz. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, sagte am Dienstag, eine Neuverhandlung des Protokolls komme nicht in Frage. Eine einseitige Aufkündigung durch London würde „unsere Bemühungen um eine mögliche Lösung schwieriger“ machen. In den kommenden Tagen wird sich Šefčovič mit der britischen Außenministerin Liz Truss treffen.
EU hat Änderungen des Protokolls angeboten
Am Dienstagabend hat sich nun der US-Kongress in die Debatte eingemischt. Er warnte die britische Regierung, dass die einseitige Aufkündigung des Nordirlandprotokolls „eine direkte Verletzung internationalen Rechts“ wäre und „das Belfaster Abkommen gefährden“ würde. US-Außenminister Antony Blinken kündigte an, man werde „in Kürze einen Sonderbeauftragten für Nordirland nominieren“.
Es gibt jedoch Anlass für vorsichtigen Optimismus. So verlangte Donaldson am Mittwoch nicht mehr die Abschaffung des Protokolls, sondern lediglich „entscheidende Maßnahmen“. Die EU hat außerdem Änderungen des Protokolls angeboten, die die meisten nordirischen Kontrollen von Waren aus Großbritannien überflüssig machen würden.
Aber selbst dann ist keineswegs sicher, ob die DUP die Demütigung hinnehmen und in eine Regierung eintreten würde, in der Sinn Féin die Erste Ministerin stellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind