Regierung reformiert Berufsausbildung: Brot vom Bachelor Professional
Das Kabinett hat ein neues Berufsbildungsgesetz verabschiedet. Die berufliche Bildung soll dadurch aufgewertet werden.
BERLIN taz | Sechs Auszubildende sucht die Bäckerei Koscielsky für das neue Ausbildungsjahr – drei im Verkauf, drei in der Backstube. Ob alle Plätze besetzt werden können, ist noch unsicher. Für die Bäckerei mit Stammsitz im thüringischen Treffurt gilt, was alle Handwerksbetriebe der Region umtreibt: Es mangelt an Bewerbern.
„Wir müssen Leute ans Handwerk binden, egal wie“, sagt Bäckermeister Lutz Koscielsky, auch Meister der Thüringer Landesinnung. Die am Mittwoch von der Bundesregierung beschlossene Reform des Berufsbildungsgesetzes findet er daher richtig.
Diese sieht unter anderem eine Mindestausbildungsvergütung für Azubis in Höhe von 515 Euro im ersten Lehrjahr vor sowie drei neue, ergänzende Berufsbezeichnungen: „Geprüfter Berufsspezialist“, „Bachelor Professional“ und „Master Professional“. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, CDU, die die Vorschläge ins Kabinett eingebracht hatte, will so die berufliche Bildung stärken und aufwerten. „So machen wir die duale berufliche Ausbildung noch attraktiver“, glaubt Karliczek.
Über die Einführung der „international verständlichen Fortbildungstitel“ freut sich auch der Zentralverband des Handwerks. „So die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung sichtbarer zu machen, ist durchaus positiv“, heißt es auf Anfrage.
Zähneknirschende Zustimmung
Doch die an die akademischen Abschlüsse Bachelor und Master angelehnten neuen Berufstitel sind eben nicht gleichwertig. Wer eine Laufbahn im höheren öffentlichen Dienst einschlagen will, braucht weiterhin ein Studium, Master Professional hin oder her.
Die Mindestausbildungsvergütung akzeptieren die Handwerksverbände nur zähneknirschend. Diese sei eigentlich nicht notwendig, Ausbildungsvergütungen auszuhandeln sei Sache der Tarifpartner. Aber der jetzige Vorschlag schade zumindest nicht, so der Tenor einer gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden veröffentlichten Pressemitteilung. Die Gewerkschaft Verdi findet die Mindestvergütung hingegen deutlich zu niedrig.
„Wir müssen Leute ans Handwerk binden, egal wie“
Zudem sind Ausnahmen nach unten erlaubt. Karliczek ist hier den Arbeitgebern entgegengekommen: Branchen- und regionenspezifische Tarifverträge gelten weiter. Arbeitgeber können also durchaus niedrigere Ausbildungsvergütungen zahlen.
Unter 500 Euro verdienen derzeit der Bundesagentur für Arbeit zufolge über 100.000 Lehrlinge – mehr als 7 Prozent der Auszubildenden. So lagen 2018 etwa Raumausstatter-Lehrlinge, die in Ostdeutschland 480 Euro im Monat verdienen, aber auch Schornsteinfeger mit 450 Euro und ostdeutsche Friseure mit 325 Euro unter der neuen Untergrenze.
In vielen Branchen wird aber schon jetzt deutlich mehr gezahlt. So gilt für das Bäckerhandwerk eine bundesweit einheitliche Ausbildungsvergütung von 615 Euro im ersten Lehrjahr und 700 Euro im zweiten. Im dritten Lehrjahr bekommen die angehenden Gesellen 820 Euro. Das sind 200 Euro mehr als die Mindestausbildung dann vorsieht. „Darunter sollte man nicht gehen“, meint Koscielsky. Für sein Unternehmen, das sechs Filialen betreibt und rund 90 Mitarbeiter beschäftigt, gehe es vor allem darum, seine Fachkräfte zu halten.
Koscielsky findet die neue Untergrenze dennoch sinnvoll, denn sie signalisiere: Auch im Handwerk kann man ordentlich verdienen. Auch den neuen Berufsbezeichnungen kann Koscielsky einiges abgewinnen. Der Bäckermeister würde sich selbst nun allerdings nicht ergänzend als Bachelor Professional bezeichnen. „Ich bin Bäcker. Mit Leib und Seele.“
Leser*innenkommentare
Der Cleo Patra
Das deutsche Bildungswesen präsentiert sich auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung als sehr vielfältig und hält praktisch für jeden interessante Qualifizierungen bereit, die einen Aufstieg auf der Karriereleiter begünstigen können. IHK und HWK gehören diesbezüglich zu den federführenden Institutionen, so dass die Fortbildungsabschlüsse der Handwerkskammer und Industrie- und Handwerkskammer neben den staatlichen Weiterbildungsabschlüssen ein hohes Ansehen genießen. Renommierte Abschlüsse sind vor allem:
Fachwirt
Betriebswirt
Staatlich gepr. Techniker
Meister
Fachkaufmann
Industriemeister
Für die deutschen Weiterbildungsabschlüsse gibt es keine internationalen Entsprechungen und sie würde mit dem Bachelor of Science und Bachelor of Arts konkurrieren
Der Cleo Patra
Der Bachelor Professional erweckt auf den ersten Blick den Eindruck eines ganz normalen akademischen Grades, schließlich kann man im Zuge eines grundständigen Studiums auch den Bachelor of Arts, Bachelor of Laws, Bachelor of Engineering und Bachelor of Science erwerben. Ganz so nahtlos, wie es den Anschein hat, reiht sich hier der Bachelor Professional allerdings nicht ein. Stattdessen stiftet dieser Verwirrung und sorgt für ein noch größeres Chaos im Bereich der Abschlüsse.
93350 (Profil gelöscht)
Gast
Interesse für Handwerk wird aus meiner Erfahrung in Kindertagen und durch praktische Erfahrungen in der Jugend geweckt, und nicht über Sprachregelungen. Der Meister ist sehr angesehen, mehr als die vielen tausenden Master-Bezeichnungen. Was verschlafen wurde, wird nicht in Kürze aufzuholen sein, und die Entkopplung der urban aufwachsenden Menschen zu den Grundlagen der Lebens-Versorgung (wozu viele handwerkliche Tätigkeiten gehören), lässt nicht unbedingt Interesse für das Handwerk wachsen. Ich denke man muss eher in der Schule anfangen, die Jugendlichen neugierig zu machen UND Entlohnung UND Perspektive bieten.
Dodoist
Ich persönlich halte ja den Meister für deutlich wertiger als den Bachelor. Die Ausbildungszeit ist ja auch doppelt so lang. Solange die "Unpraktischen"besser bezahlt werden nützt auch alles umbenennen nichts. Da aber die herrschende Klasse unpraktisch ist...
insLot
Alter Wein in neuen Schläuchen ist auch keine Lösung.
Wie viel Netto bleibt am Ende des Monats dem Bachelor Professional, wie viel im Vergleich zur industriellen oder akademischen Laufbahn? Und wie viel später einmal im Ruhestand, wenn denn das Rentenniveau auf 48 % gehalten werden kann?
Wer schon bei der Berufsausbildung die Altersarmut vor Augen hat, der pfeift auf die schicke neue Bezeichnung und geht weiter dahin, wo das Geld ist. Das Problem des Handwerks ist indes ja noch nicht einmal unbedingt die Akademisierung, sondern die Industrie, welche um die gleichen wenigen Leute konkurriert.
Das Handwerk ist auf vielen Ebenen unattraktiv, der Lehrlingslohn ist da noch das kleinste Problem!
Sonntagssegler
Wenn Azubis es angeblich in drei Wochen im Betrieb nicht schaffen, einen Mehrwert von 500€ zu erwirtschaften, stimmt etwas nicht.
Und: Berufe, die Ihre "Ausüber" nicht ernähren können, braucht die Volkswirtschafft offenbar nicht. Darin sollte man dann auch niemanden ausbilden.
93559 (Profil gelöscht)
Gast
Lächerlich, Patienten sind jetzt Kunden, ebenso Anspruchsberechtigte für Sozialleistungen, werden trotzdem oft genug wie Abschaum behandelt, Hausreiniger sind Facility Manager und nun dieses neue Neusprech.
Diese CDU/CSU-Minister täuschen Aktivitäten vor, während wirklich wichtige Fragen auf die endlose Bank geschoben werden.
Gerae durch eine Anweisung der Hausverwaltung und anschließende Recherche erfahren, dass Seehofer Fußmatten im Hausflur verbietet, Fluchtwege(!), Scheuer kümmert sich Radhelme und Tretroller und die Wissenschaftsministerin ändert Sprachregelungen. Echt beeindruckend.