piwik no script img

Refugee-Karawane Tagebuch (8)Denn sie wissen nicht, was passiert

Aus dem alten Flughafen Tegel wurde eines der größten Flüchtlingslagers Deutschland. Es sei ein Ort, um ihren Willen zu brechen, sagen Bewohnerinnen und Bewohner.

Gekommen, um für ihre Menschenrechte zu kämpfen Foto: Timo Krügener

Guten Morgen aus Berlin, am siebten Tag der Karawane. In Berlin werden wir am Oranienplatz herzlich empfangen. Dieser Morgen unterscheidet sich von den anderen Tagen, an denen wir gezeltet haben: Ich bin an einem warmen Ort aufgewacht, und das früh. Der Tag beginnt mit einer Pressekonferenz.

Tagebuch von der Refugee-Karawane ​

Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015. Für die taz schreibt Muna Abdi ein Tagebuch von der Karawane.

Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.

Sechs Spre­che­r:in­nen sitzen am Tisch, je­de:r Spre­che­r:in widmet sich einem bestimmten Thema, fünf Minuten lang – Bezahlkarte, Lager, Abschiebungen, Seenot usw. Dann fahren wir zum ehemaligen Flughafen Tegel, wo ein Lager mit bis zu 2.000 Plätzen aufgebaut wurde. Wir starten eine Kundgebung, die Flüchtlinge im Lager dürfen nicht teilnehmen.

Élevé und Osy bei ihrem Liveauftritt zum Start der Kundgebung Foto: Timo Krügener

Hassan sagt: „Tegel ist ein Ort, an dem Flüchtlinge starkem Rassismus ausgesetzt sind. Wir wollen ihnen zur Seite stehen.“

Bild: privat
Muna Abdi

Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.

Evren Alan hat vier Monate im Lager Tegel gelebt. Die Bewohner seien gezwungen, dort unter unmenschlichen Bedingungen zu leben. „Hunderte von Menschen leben in Räumen ohne Fenster.“ Die besonderen Bedürfnisse von Kindern, Frauen und LGBTQ würden ignoriert. „Sie wenden Methoden an, um unseren Willen zu brechen und uns zum Schweigen zu bringen.“

Wizzy ist syrischer Songwriter, Performer und Aktivist für Queer Syria. Er erinnert daran, dass Tegel in ein GEAS-Lager für die Schnellverfahren nach dem neuen EU-Asylsystem umgewandelt werden. Im Falle einer ablehnenden Entscheidung und bei Dublin-Entscheidungen sollen die Menschen hier inhaftiert und direkt von hier aus abgeschoben werden.

Teilnehmende des Lieferando Workers Collective haben sich der Demo angeschlossen und für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt Foto: Timo Krügener

Nach einer Musikpause spricht Wadislaw aus einer Gruppe queerer Flüchtlinge aus der Ukraine.

„Ich kam am Ende des Winters aus der Ukraine und hatte keine Ahnung, was mich hier erwarten würde,“ sagte er. „Ich blieb fünf Monate lang hinter diesen Metallzäunen. Jetzt stehen wir hier vor diesem Zaun.“ Die meisten Berliner wuessten nicht, was hier im Lager Tegel passiert. „Wenn ich ihnen von den Lebensbedingungen hier erzähle, sind sie wirklich überrascht“, sagt Wadislaw. Es sei sehr wichtig, die Menschen zu sensibilisieren. „Ich bin nicht mehr dort, aber viele Menschen haben dort zwei Jahre und länger gelebt.“

Diese Karawane-Aktivistin lässt sich ihre Lebensfreude und ihren Kampfeswillen nicht nehmen Foto: Timo Krügener

Am Ende spreche ich noch über die rassistische Zahlungskarte, die als „Bezahlkarte“ bekannt ist. „Wir fordern lautstark und respektvoll die Abschaffung der Bezahlkarte.“

Dann sind die Aktivitäten des Freitags beendet und der Duft der großen Parade liegt in der Luft. Wir kehrten zum Oranienplatz zurück, wo morgen früh die Parade stattfinden wird. Ich freue mich darauf, mit einer mutigen Parade durch die Straßen Berlins zu ziehen.

Gespräche in Berlin-Tegel am 26.09.2025 Foto: Timo Krügener

Das Tagebuch wird fortgesetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare