Reformen in Jordanien: Wahlabstinenz und Königsmacht

Mehrere Gesetzesänderungen sollen Jordaniens Parteien, Jugend und Frauen mehr Raum geben. Kritiker sagen, Macht bekomme vor allem der König.

Ein Rahmenmacher in einem Rahmengeschäft zeigt Bilder von König Abdullah II.

Jüngsten Studien zufolge haben die meisten Jor­da­nie­r*in­nen kaum Vertrauen in das Parlament Foto: Mohammad Ali/epa

AMMAN taz | Jordaniens politisches System soll moderner werden: Mit diesem Leitgedanken rief König Abdullah II vergangenes Jahr ein „Königliches Komitee zur Modernisierung des politischen Systems“ (RCMPS) ins Leben. 92 Männer und Frauen sollten ein effektiveres Parteisystem etablieren und die Teilnahme am politischen Geschehen fördern, besonders bei Frauen und Jugendlichen.

Die Vorschläge sollten dann im Parlament diskutiert und umgesetzt werden. Doch was dabei herausgekommen ist, geht in die entgegengesetzte Richtung, sagen Kritiker*innen. Denn durch die neuen Verfassungsänderungen werde die Macht des Königs größer. Vor allem die Entstehung eines Nationalen Sicherheitsrates, der über Fragen der Sicherheits- und Auslandspolitik entscheidet und im Notfall auf Einladung des Königs zusammenkommt, stimmt manche nachdenklich. Denn der Rat hat nicht nur beratende, sondern auch exekutive Macht. Der König ernennt schon jetzt den Regierungschef, Senat, Chef der Armee und des Sicherheitsdienstes sowie den Präsidenten des Verfassungsgerichts. Künftig wird er auch den Präsidenten des obersten Gerichtshofes und weitere Amtsträger einsetzen.

Jordanien ist laut Verfassung eine Erbmonarchie mit parlamentarischem System. Parteien spielen aber dabei keine große Rolle. Bei den Wahlen 2020 bekamen sie weniger als 10 Prozent der Sitze, fast alle für die islamischen Gruppen. Die meisten Abgeordneten sind parteilos. Der Einfluss der Stämme und familiärer Verbindungen auf die Wahlen ist sehr stark.

Die Änderungen, die dieses System modernisieren sollen, kommen zu einem delikaten Zeitpunkt. Im April vergangenen Jahres wurde bekannt, dass der Halbbruder des Königs, Prinz Hamza bin Hussein, angeblich in eine Verschwörung gegen den König involviert sein soll. Und kürzlich brachten die investigativen Berichte „Pandora Papers“ und „Suisse secrets“ über Immobilienkäufe und Konten Abdullahs im Ausland das Königshaus in Erklärungsnot. In beiden Fällen bestritt es jedes Fehlverhalten und verwies auf Ungenauigkeiten und von staatlichen Kassen unabhängige Vermögen.

Wirtschaftliche Krise trägt zur Frustration bei

Wirtschaftlich navigiert das Land, das als sicherer Hafen in einer krisengeplagten Region gilt, gerade durch mehrere Herausforderungen: Fast je­de*r vierte Jor­da­nie­r*in ist arbeitslos, darunter gut die Hälfte der unter 25-Jährigen; die Pandemie hat dem Tourismus, für viele eine wichtige Einnahmequelle, und den Kleinunternehmen einen harten Schlag verpasst. Seit Jahren schwelt sogar unter Teilen der Stämme, die traditionell als „Rückgrat“ der Monarchie und des Königreichs gelten, eine gewisse Unzufriedenheit. Erst kürzlich gab es laut dem Nachrichtenportal Middle East Eye Proteste, nachdem Stammesmitglieder nach regierungskritischen Äußerungen in sozialen Netzwerken verhaftet wurden.

Nach jüngsten Studien haben zudem die meisten Jor­da­nie­r*in­nen kaum Vertrauen in Parlament und Politiker*innen. Dies zeigt sich an den Urnen: Weniger als ein Drittel der Wäh­le­r*in­nen hat 2020 abgestimmt. Daran ändern auch die häufigen Regierungsumstrukturierungen wenig. Für den politischen Analysten Khaled Al-Qudah sind die Einschränkungen zur Meinungsfreiheit ein großes Hindernis. „Das Darstellen von Aktivisten, als wären sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit“ sei ein Problem. In dem Land ist vor allem Kritik am König ein Tabu, doch auch Journalisten und Aktivisten sind nicht vor Festnahmen gefeit. Die US-Organisation Freedom House hat kürzlich Jordanien in ihrem Freiheitsranking von „nur teilweise frei“ auf „nicht frei“ zurückgestuft.

Wer durch die chaotischen Straßen des Zentrums Ammans schlendert, findet kaum Menschen, die öffentlich über Politik reden wollen. In einem der vielen Cafés sagt ein 32-Jähriger, er wähle nicht, denn Politiker „vertreten nicht und fragen auch nicht, was wir brauchen“.

Verfassungsänderung führte sogar zu Prügelei im Parlament

Ahmed Al-Khawaldeh, ein 24-jähriger Ingenieurstudent, hat hingegen die Wahlkam­pagne eines Kandidaten aus der Stadt Mafraq 2020 mitorganisiert. Und doch sagt er, er fühle, dass junge Menschen bei politischen Entscheidungen kaum eine Rolle spielten. „Viele Jugendliche in Jordanien wollen in der Politik etwas bewegen, sind sehr motiviert – doch sie bekommen keine Chance.“ Aus seinem Engagement habe er gelernt, dass viele Wäh­le­r*in­nen nicht wüssten, „wofür sie wählen, sondern nur für wen.“ Korruption und Stimmenkauf seien auch ein Problem.

Bislang hat vor allem ein Passus der Verfassungsänderung, der das Gendern in das zweite Kapitel der Verfassung einbrachte, dank der dadurch ausgelösten Massenschlägerei im Parlament internationale Aufmerksamkeit bekommen. Es ist eine Änderung, die laut manchen Ak­ti­vis­t*in­nen mehr Kosmetik als echter Wandel ist.

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