Reformen im öffentlich-rechtlichen Radio: Fremdwort Vielfalt
Der WDR kürzt sein Funkhaus Europa zusammen. Der Vorzeigewelle droht das Aus. Die Angebote für Minderheiten im Rundfunk sterben aus.
![WDR-Intendant Tom Buhrow hält einen Stift und blickt zu Boden WDR-Intendant Tom Buhrow hält einen Stift und blickt zu Boden](https://taz.de/picture/994878/14/9392359.jpeg)
Einige Details wurden aber schon vorab publik: So sollen die Minderheiten-Sendungen radikal zusammengestrichen werden, von täglich einer ganzen Stunde auf eine halbe Stunde, und ihre Sendezeiten sollen sich in den Abend hinein verschieben. Außerdem sollen sie künftig vorab aufgezeichnet werden, wodurch Live-Schalten, Call-In-Aktionen und andere Möglichkeiten der Hörerbindung wegfallen. Radiokenner rechnen dadurch mit Hörerverlusten.
Aber auch das Musikprogramm soll bluten: sämtliche Autorensendungen wie der beliebte „Balkanizer“ des Musikers und Buchautors Danko Rabrenovic, „Mestizo FM“ oder „5 Planeten“ sollen eingestellt werden. Auch die Radioshow des Berliner DJ-Kollektivs Jazzanova und die Sendung des Baile-Funk-Entdeckers Daniel Haaksman, die über Podcast auch im Ausland ihre Fans haben, sollen weichen. Ab 23 Uhr soll anstelle des profilierten Nachtprogramms nur noch eine Musikrotation laufen. Aus Kreisen der Mitarbeiter ist von einem „einzigartigen Kahlschlag“ die Rede.
Die Entscheidung fügt sich in einen Trend, der im gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu beobachten ist: Minderheitenprogramme werden gestrichen, Vielfalt wird zu einem Fremdwort. Fast auf den Tag genau sieben Jahre ist es her, dass der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) sein „Radio Multikulti“ eingestellt hat, das einst die Blaupause für Funkhaus Europa bildete. Viele Journalisten mit Migrationshintergrund verloren damals ihren Job, und der bunte Radiosender hinterließ in Berlin eine Lücke, die der rbb nie wieder so recht zu füllen wusste.
Kürzlich stellte er sang- und klanglos seine „polnischen Nachrichten“ ein, mit denen die rbb-Abendschau regelmäßig aus dem Nachbarland berichtete. Metropole geht anders, beim rbb regiert die Provinz.
Der WDR nennt „Kostendruck“ als Ursache
Das 1998 gegründete, international und interkulturell ausgerichtete Funkhaus Europa sendet seitdem – im Verbund mit Mitarbeitern in Berlin und Bremen – aus Köln auch in die Hauptstadt und in alle Welt. Der Sender ist ein Ziehkind des Journalisten Fritz Pleitgen, der von 1995 bis 2007 als WDR-Intendant amtierte.
Sein Nachfolger im Amt, Tom Buhrow, wickelt dessen Erbe jetzt ab. Begründet werden die Kürzungen bei Funkhaus Europa mit dem Kostendruck: der WDR muss sparen. Doch warum vor allem das Aushängeschild des Senders unters Messer kommt, erklärt er nicht.
Als Feigenblatt verweist der WDR außerdem auf seine tägliche, fünfminütige Nachrichtensendung für Flüchtlinge, das „Refugee Radio“, die das Funkhaus Europa seit dem vergangenen September zusammen mit dem rbb produziert. Auf Englisch und Arabisch bietet es Nachrichten und Service-Themen. Damit spielt der WDR sein Engagement für Flüchtlinge gegen seine langjährige Verantwortung für alteingesessene Einwanderer aus.
Die fremdsprachigen Sendungen des WDR sind zum Teil aus den ehemaligen Sendungen für „Gastarbeiter“, wie „Köln Radyosu“ hervorgegangen, die 1962 als bundesweit erste Sendung in türkischer Sprache über den Äther ging. Mit seinen Berichten aus Deutschland und der Türkei ist das Magazin bis heute eine Instanz. Andere fremdsprachige Programme, die nach dem Vorbild von „Köln Radyosu“ beim BR oder HR entstanden, wurden nach und nach eingestellt.
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