Reflektion des eigenen Verhaltens: Wo Rassismus anfängt

Rassistische Diskriminierung kann harmlos beginnen. Auch linke An­ti­ras­sis­t:in­nen sind nicht davor gefeit. Eine schamvolle Erinnerung.

Strandverkäufer zwischen Urlauber*innen

Verkäufer Schwarz, Urlauber weiß: Dieses Bild ist an europäischen Stränden häufig Foto: Jochen Tack/imago

Hamburg taz | Wenn ich an den Moment denke, in dem ich mich rassistisch verhalten habe, schießt mir das Blut in die Wangen. Ich schäme mich. Als linke Journalistin habe ich schon so häufig über Alltagsrassismus berichtet. Ich achte darauf, dass meine Sprache nicht diskriminierend ist, erhebe gegenüber anderen schon mal den Zeigefinger – und dann das.

Vor mir erstreckt sich die Boca do Inferno, der Mund der Hölle, eine nach oben hin offene Grotte vor den Toren Lissabons. Die Wellen zerschellen an den Felsen. Das Wasser spritzt hoch. An dem kleinen Aussichtspunkt drängen sich an diesem sonnigen Tag vor der Pandemie Tourist:innen.

Auch mein Mann und ich fotografieren uns gegenseitig vor diesem Naturschauspiel, als mir jemand auf die Schulter tippt. Ich schaue in die Richtung und sehe einen Schwarzen Mann. Er lächelt mich an, aber ich schüttele nur den Kopf, wische abwehrend mit der Hand durch die Luft und sage: „No, thanks.“ Dann drehe ich mich zurück zu meinem Mann. Ich will jetzt keine überteuerten, gefälschten Souvenirs kaufen, denke ich.

Eine Sekunde später tippt mir der Mann wieder auf die Schulter. „No, no“, sagt er. „May you please take a photo of me and my girlfriend?“ Der Mann lächelt immer noch.

Nicht auf Augenhöhe

Mein Schamgefühl klickt sofort ein. Natürlich schieße ich ein Foto von den beiden. Vielleicht noch eins in Hochkant? Mit ein bisschen mehr Spritzwasser im Hintergrund?

Es sind sehr nette zwei Minuten. Die beiden sind dankbar und freuen sich über die Bilder. Sie machen auch noch eins von uns. Mich aber lässt diese Situation nicht mehr los. Ich habe mich rassistisch verhalten.

Mein Unterbewusstsein hat es offenbar nicht für möglich gehalten, dass dieser Schwarze Mann aus genau den gleichen Gründen hier an dieser hübschen Bucht ist wie ich. Als Urlauber. Ich bin davon ausgegangen, er sei, so wie ich es etwa in den Straßen von Madrid hundertfach gesehen hatte, ein Geflüchteter, der sich mit dem Verkauf von Souvenirs über Wasser hält. Nur wegen seiner Hautfarbe. Ich habe ihn offenbar nicht auf Augenhöhe wahrgenommen. Und das Schlimmste: Ich habe ihn mit einer Handbewegung weggewischt.

Unabhängig davon, dass das auf keinen Menschen eine angemessene Reaktion ist, war mein Verhalten nicht anders als ein „Sie sprechen aber gut Deutsch“ gegenüber einer Person, die schon ihr ganzes Leben in Hamburg-Ottensen lebt.

Es ist ein Problem, dass Schwarze Menschen oft nicht als „echter“ Teil der deutschen Gesellschaft angesehen werden. Obwohl sie seit vielen Generationen auf dieser geografischen Fläche, die heute Deutschland heißt, leben. Zugehörigkeit definiert sich noch immer stark über das Aussehen. Wer nicht weiß ist, muss fremd sein.

Ich verurteile das – und trotzdem habe ich mich in meinem Portugal­urlaub nicht anders verhalten. (Alltags-)Rassisten, das sind doch eigentlich immer die anderen. Tragen Rassisten nicht Springerstiefel und wedeln mit Reichskriegsfahnen? Oder sind es nicht zumindest konservative, unreflektierte Omis, die ihre Zweizimmer-Wohnung mit Balkon lieber an ein weißes Paar vermieten, weil es im Treppenhaus wegen „der Ausländer“ immer nach so komischen Gewürzen riecht?

Aufgewachsen in einer rassistischen Gesellschaft

Aber auch linke Menschen haben rassistische Gedanken und manchmal verhalten sie sich auch danach. Wie sollte es auch anders sein? Wir wurden in einer rassistischen Gesellschaft sozialisiert, haben Berichterstattungen gelesen, in denen die Nationalität von Straf­tä­te­r:in­nen genannt wird, obwohl sie keine Rolle spielt, haben abwertende Gespräche auf dem Schulhof gehört oder sehen Werbung von Unternehmen, die immer noch ganz selbstverständlich auf Logos aus der Kolonialzeit setzen. Shout-out an die Rassi…, äh, Traditionsbewahrer bei Machwitz-Kaffee!

Wir alle sind von dieser Umgebung beeinflusst und haben entwickelt, was in der US-amerikanischen Diskussion „Implicit Bias“ heißt. Man könnte das automatische Gedankenmuster nennen, eine unbewusste Voreingenommenheit. Diese Bias können in direktem Widerspruch zu den bewusst zugelegten Werten eines Menschen stehen. Wenn wir eine Situation einschätzen oder ein Urteil über jemanden fällen, machen wir das oft intuitiv. Unser Gehirn greift dabei auf Implicit Bias zurück.

Die New York Times hat dazu ein Video mit dem Titel „Peanut Butter, Jelly and Racism“ veröffentlicht. Für ­US-Ame­ri­ka­ne­r:in­nen gehören Erdnussbutter und Marmelade ganz automatisch zusammen. Sagt einer „Peanutbutter“, antwortet der andere „Jelly“. Es gibt eine intuitive Verknüpfung.

Diese Denkmuster funktionieren aber auch bei anderen Themen: „Ausländer“ und „Kriminalität“ zum Beispiel. Oder in meinem Urlaubskontext „Schwarzer Mann“ und „Gefälschte Markenartikel“.

Rassismus ist nicht das Problem der Betroffenen

Wenn wir sagen, die Rassisten, das sind die anderen, machen wir weißen Deutschen es uns zu einfach. Natürlich hat Rassismus eine strukturelle Dimension, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können. Trotzdem ist Rassismus unser Problem. Nicht das Problem der Betroffenen.

Wir müssen an uns arbeiten, eigene rassistische Verhaltensweisen reflektieren, auch wenn das sehr unangenehm ist – weil es mit Scham verbunden ist. Und wir sollten Menschen, die Rassismuserfahrungen in ihrem Alltag machen müssen, zuhören und diese auf keinen Fall kleinreden.

Nein, ein Schwarzer Mensch muss nicht „drüber stehen“ und nett lächeln, wenn er zum hundertsten Mal gefragt wird, wo er eigentlich „wirklich“ her kommt. Wir sollten das einfach nicht mehr fragen.

Mehr über Alltagsrassismus und wie man ihn vermeiden kann, erfahren Sie in der Nordausgabe der taz am Wochenende oder am E-Kiosk.

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