Referendum über Stromgesetz: Schweiz für schnellere Energiewende

Die Stimmberechtigten haben das neue Stromgesetz abgesegnet. Be­für­wor­te­r sind erleichtert, Geg­ne­r warnen vor einer „Verschandelung der Natur“.

Ein Abstimmungsplakat wirbt fuer eine Ablehnung des Bundesgesetzes ueber eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien

Plakat gegen das Stromgesetz: Kleine Umweltorganisationen hatten das Referendum initiiert Foto: Alessandro della Valle/picture alliance

ZÜRICH taz | Am Sonntag konnte die breite Allianz der Be­für­wor­te­r*in­nen des Stromgesetzes in der Schweiz aufatmen: Über zwei Drittel der Stimmberechtigten haben Hochrechnungen zufolge mit Ja gestimmt. Damit tritt ein Erlass mit dem Ziel in Kraft, mit einem schnelleren und subventionierten Zubau von erneuerbaren Energiequellen die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern und die Stromproduktion vor allem in den Wintermonaten zu steigern. Der Ausbau der Erneuerbaren ist notwendig, wenn die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden will.

Die Grünen teilten mit, sie seien „hocherfreut“. Die Partei wertet die Zustimmung als „deutliches Bekenntnis der Stimmbevölkerung zur Energiewende, zum Klimaschutz und zur Natur“. Auf der anderen Seite prophezeit die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP), die das Gesetz bekämpft hat, die Schweiz werde keine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien bekommen, wie die Sieger behaupten: „Das Gegenteil ist der Fall: Das Stromgesetz bringt wenig und unsicheren Strom für sehr viel Geld – und eine massive Verschandelung der Natur.“

Das Gesetz gibt Mindestmengen an Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen vor und dass im Winter nicht mehr als 5 Terawattstunden Strom importiert werden sollen. Das Gesetz soll auch zu einer Senkung des Energie- und Stromverbrauchs pro Kopf führen, und es enthält Vorschriften für eine Wasserkraftreserve für große Werke, deren Betreiber dafür entschädigt werden.

Der Erlass erleichtert ebenfalls die Planung großer Solar- und Windkraftanlagen. In geeigneten Gebieten, die die Kantone mit Rücksicht auf Natur- und Landschaftsschutz sowie die Landwirtschaft bestimmen müssen, soll die Stromproduktion jedoch grundsätzlich Vorrang haben. Zudem soll der Bau kleiner Solaranlagen auf Dächern und an Fassaden vorankommen. Auch die Wasserkraft soll stärker gefördert werden, und zwar 16 im neuen Gesetz gelistete Neu- und Ausbauten von Speicherwasserkraftwerken in den Bergen. Für diese Anlagen gibt es Erleichterungen bei der Planung und gegenüber heute weniger Mitsprachemöglichkeiten der lokalen Bevölkerung. Das Gesetz wird 2025 in Kraft treten.

Protest von zwei Naturschutzgruppen

Die Zustimmung der Schwei­ze­r*in­nen zu diesem Kompromiss ist nicht erstaunlich, deuteten doch alle Umfragen auf eine Annahme hin. Zudem wurde das Stromgesetz von Parteien von links bis rechts, der Mehrheit des Parlaments, der Regierung und den wichtigsten Naturschutzorganisationen, getragen. Doch die SVP brachte die Be­für­wor­te­r*in­nen zum Zittern. Diese mussten sich vor einem Déjà-vu fürchten, als 2021 das CO2-Gesetz abgelehnt wurde: Auch da waren alle außer die SVP dafür. Die SVP hatte es im Abstimmungskampf gegen alle wichtigen Verbände sowie die anderen Parteien aufgenommen – und dann überraschend gesiegt.

Dieses Mal aber hatte die SVP nicht selbst das Referendum initiiert. Es waren die Umweltschutzorganisation Fondation Franz Weber und die Stiftung Freie Landschaft Schweiz, die mit dem Parlamentsbeschluss nicht zufrieden waren. Die Mehrheit der SVP-Fraktion hatte die Gesetzesvorlage im Parlament sogar befürwortet – und dann eine Kehrtwende vollzogen. Auf einem SVP-Plakat war etwa eine Landkarte der Schweiz zu sehen, zugekleistert mit Windrädern und Solarpanels: eine Bedrohung für die schöne, idyllische Schweiz, so das Narrativ der Rechtspopulisten. In der Tat fürchten die beiden Umwelt- und Landschaftsschutzorganisationen, die das Referendum initiiert haben, dass Wälder für Windkraftanlagen gerodet und unberührte Alpenlandschaften mit Solarparks oder Wasserkraftwerken zerstört werden könnten.

Allerdings braucht es in der Schweiz, mit Ausnahme der starken Stromproduktion aus der Wasserkraft, mehr Tempo bei der Energiewende. Denn obschon etwa Solarstrom in der Schweiz derzeit sehr gefragt ist und wohl schon dieses Jahr 10 Prozent des Stromverbrauchs abdecken wird, rangiert die Eidgenossenschaft im internationalen Vergleich in puncto Wind- und Solarstrom auf den hinteren Plätzen – und weit abgeschlagen hinter Deutschland. Das zeigt die jüngst publizierte Studie „Ländervergleich 2023“ der Schweizerischen Energie-Stiftung. In der Analyse wurde die Stromproduktion aus Solar- und Windkraftanlagen in den 27 Staaten der EU sowie der Schweiz verglichen.

Pro Kopf werden in der Schweiz 558 Kilowattstunden Solarstrom produziert. Damit steht sie auf Platz 11. Deutschland belegt mit 726 Kilowattstunden den 5. Platz. Und bei der Windkraft steht die Schweiz noch schlechter da: Mit 19 Kilowattstunden pro Kopf liegt sie auf Rang 25, während Deutschland Platz 6 belegt. Nur Slowenien, die Slowakei und Malta produzieren weniger Windstrom als die Schweiz. Im Vergleich der Pro-Kopf-Stromproduktion aus Solar- und Windenergie zusammengenommen, rangiert die Schweiz auf Platz 22 von 28.

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