Referendum über Flüchtlinge in Ungarn: Abschottung wird gewinnen
Ungarns Regierungschef Orban will keine Flüchtlinge aufnehmen. Beim Referendum am Sonntag will er sich das vom Volk bestätigen lassen.
Orban will den Zuzug muslimischer Flüchtlinge nach Europa stoppen mit der Begründung, sie gefährdeten die christliche Identität und Kultur in Ungarn und in ganz Europa. In der vergangenen Woche schlug er vor, Europa solle eine „gigantische Flüchtlingsstadt“ in Libyen errichten. Dorthin sollten Flüchtlinge deportiert werden, um dann ihre Asylanträge in Europa zu stellen. Ein Nein im Referendum stärkt nach Angaben des Regierungschefs die ungarische Souveränität. Gleichzeitig hofft er, dass durch den öffentlichen Druck in seinem Land andere EU-Länder ermutigt werden, ähnliche Abstimmungen anzusetzen.
Damit das Referendum gültig wird, müssen mindestens 50 Prozent der 8,27 Millionen Wahlberechtigten eine gültige Stimme abgeben. Die Regierung hat deshalb in den vergangenen Wochen für die Abstimmung getrommelt und auf Wahlplakaten und in Fernsehspots für die Teilnahme geworben. Auch Minister und Abgeordnete forderten landesweit die Bürger auf, sich zu beteiligen. Dennoch ist noch nicht klar, ob das notwendige Quorum zusammenkommt. Allerdings gilt es als sicher, dass auf einer Mehrheit der abgegebenen Stimmzettel ein Nein angekreuzt sein wird.
Die rechtsextreme Partei Jobbik unterstützt die Regierung in ihrer Haltung gegen Flüchtlinge. Die meisten anderen Oppositionsparteien und viele Organisationen haben die Wähler dagegen aufgefordert, entweder ungültige Stimmen abzugeben oder gar nicht erst zur Abstimmung zu gehen. „Als Bürger ist es wichtig zu zeigen, dass man teilnehmen will“, sagt die Kovorsitzende der Organisation Ungarisches Helsinki-Komitee. „Weil dieses Referendum aber so abscheulich ist, fordern wir die Menschen auf, eine ungültige Stimme abzugeben.“
Asyl für 508 Menschen
Im vergangenen Jahr kamen fast 400.000 Flüchtlinge auf der Durchreise in Ungarn an, auf dem Weg nach Westeuropa. Dann errichtete das Land Zäune und führte neue Bestimmungen ein, die die Zahlen deutlich zurückgehen ließen. In den ersten vier Wochen im September meldete die Polizei entweder keine oder nur eine Grenzverletzung durch einen Flüchtling an zwölf Tagen. Asyl wurde im vergangenen Jahr nur 508 Menschen gewährt; in diesem Jahr wird mit einer ähnlichen Zahl gerechnet.
Die satirische Partei des zweischwänzigen Hundes macht sich auf Postern und Flugblättern lustig über das Referendum und bezieht sich dabei auch auf die Flüchtlingszahlen in Ungarn. Ihr Slogan: Der durchschnittliche Ungar sieht in seinem Leben häufiger Ufos als Einwanderer.
Trotzdem geht die Angst um unter den Roma, den armen Rentnern, den jungen Familien und den Bewohnern von Sozialwohnungen. Ihnen erzählen Regierungsvertreter immer wieder, dass ihnen Zuschüsse gestrichen oder Renten gekürzt würden, wenn Ungarn verpflichtet wäre, Flüchtlinge aufzunehmen. Zusätzlich wiederholt das staatliche Fernsehen oft Monate alte Berichte über Angriffe von Flüchtlingen.
„Das Bild von großen Flüchtlingsgruppen, die im vergangenen Jahr ‚fast den Himmel verdeckten‘, ist bei vielen Menschen noch präsent und wird zweifelsohne von der Regierungspropaganda untermauert“, sagt Attila Tibor Nagy vom Zentrum für faire politische Analyse. „Der Regierung helfen auch Angriffe in Deutschland und Frankreich, die sie gerne in Erinnerung ruft, um zu zeigen, dass Einwanderer gefährlich sind.“
Unklare Folgen
Den Wahlkampf lässt sich die Regierung etwas kosten. Wie viel genau, das will sie erst nach der Abstimmung öffentlich machen. Allein die technischen Kosten, also der Druck der Stimmzettel und die Herstellung der Wahlurnen, belaufen sich auf 4,9 Milliarden Forint (15,9 Millionen Euro). Die Gesamtkosten schätzen Beobachter auf mindestens 13 Milliarden Forint (42,1 Millionen Euro). Die Partei des zweischwänzigen Hundes und andere oppositionelle Gruppen arbeiten dagegen mit einem Budget von je rund 90.000 Euro, die aus Spenden stammen.
Unklar bleibt dabei, welche Folgen ein gültiges Referendum haben könnte, sollte die Bevölkerung der Haltung der Regierung zustimmen. Zwar wurden mögliche Verfassungszusätze erwähnt, Einzelheiten blieben jedoch um Dunkeln.
Regierungssprecher Zoltan Kovacs weist die Möglichkeit zurück, dass ein ungültiges Referendum Orban schaden könnte. Eine große Zahl von Nein-Stimmen würde die offizielle Position gegen die Flüchtlingsquoten unterstreichen, auch wenn die Mindestbeteiligung verfehlt würde, erklärt er. „Das Referendum kann kein Fehlschlag werden.“
Der Jobbik-Vorsitzende Gabor Vona sagt dagegen, Orban müsse zurücktreten, falls das notwendige Quorum verfehlt werde. Der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany sieht in diesem Fall den Regierungschef zumindest beschädigt.
In Brüssel sei bereits bekannt, dass die ungarische Öffentlichkeit Einwanderer nicht haben wolle, erklärt der strategische Direktor der Denkfabrik Republikon-Institut, Toth Csaba. „Innenpolitisch würde eine niedrige Beteiligung eine schwere Niederlage für den Ministerpräsidenten bedeuten, besonders nach solch einer großen Kampagne.“
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