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Referendum in GroßbritannienCameron dreht der EU eine Nase

Premier Cameron setzt eine Dynamik in Gang, die den Euroskeptikern weit entgegenkommt. Kritiker befürchten die Isolation der Insel.

David Cameron haut auf den Tisch. Bild: dapd

DUBLIN taz | Die Briten dürfen über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen. Das hat ihnen ihr Premierminister David Cameron am Mittwoch in London in seiner mehrmals verschobenen Grundsatzrede zu Europa versprochen. Das Referendum soll Ende 2017 stattfinden – falls Cameron bei den britischen Parlamentswahlen 2015 wiedergewählt wird.

Zuvor will er die Rolle Großbritanniens in der EU neu verhandeln. Dabei soll es zum Beispiel um den britischen Ausstieg aus der Arbeitszeitrichtlinie der EU, die die Wochenarbeitszeit begrenzen soll, gehen. Weitere konkrete Punkte nannte Cameron gestern nicht. Früher hatte er jedoch angedeutet, dass es ihm auch um die Sozial- und Justizgesetzgebung geht. Am liebsten wäre ihm ein neuer EU-Vertrag. Falls das nicht möglich sei, will er sein Ziel durch Verhandlungen mit den einzelnen EU-Ländern durchsetzen.

Cameron verlangte in seiner Rede, Großbritannien von einem EU-Gründungsprinzip auszunehmen: dem Streben nach einer immer engeren Union. „Wir respektieren das Recht anderer, auf dieses Ziel hinzuarbeiten“, sagte er. „Aber für Großbritannien und wahrscheinlich auch für andere ist das kein Ziel.“ Er verwies auf die Laeken-Erklärung von 2001, wonach bestimmte Befugnisse an die einzelnen Länder zurückfließen sollen, falls sie das wünschen. „Dieses Versprechen ist nie erfüllt worden“, sagte Cameron. „Wir müssen das endlich in die Tat umsetzen.“

Ein Ja mit Herz und Seele

Sollte es ihm gelingen, Großbritanniens Mitgliedschaft neu zu verhandeln, werde er bei dem Referendum „mit Herz und Seele“ für ein Ja zu Europa kämpfen. „Die größte Gefahr für die Europäische Union droht nicht von jenen, die sich für Veränderungen einsetzen, sondern von denjenigen, die neue Ideen als Ketzerei abtun“, sagte Cameron. „In Europas langer Geschichte hat sich oftmals erwiesen, dass Ketzer nicht ganz Unrecht hatten.“ Der Volksentscheid, so hofft Cameron, werde Großbritanniens Verhältnis zur EU für mindestens eine Generation bestimmen. Von den Reformen, die er anstrebe, werde die gesamte Union profitieren, meinte er.

Der EU-skeptische Flügel der Tories begrüßte Camerons klare Ansage. Mark Pritchard, ein führender EU-Gegner, nannte die Rede „wohlüberlegt, bedachtsam und längst überfällig“. Allerdings sei es frustrierend für viele, dass Großbritannien weitere fünf Jahre lang offene Grenzen haben werde. Andrea Leadsome, Mitbegründerin der Tory-Organisation Fresh Start, die einen Forderungskatalog für die Verhandlungen mit der EU aufgestellt hat, sagte, Camerons Rede habe „genau ins Schwarze getroffen“.

Der milliardenschwere Tory-Lord Michael Ashcroft meinte hingegen: „Es ist an der Zeit, dass die Euroskeptiker ihren Sieg feiern, aber dann über etwas anderes reden.“ Die Frage sei, ob die Tories ihre neue Europapolitik überhaupt umsetzen könnten. Das werde sich bei den Wahlen herausstellen, die würden nicht aufgrund der Europa-Frage entschieden, sondern aufgrund der Wirtschaft, der Jobs, der Verbrechensbekämpfung und der Immigration.

Kritik aus Koalition und Opposition

Nick Clegg, Chef der Liberalen und zugleich stellvertretender Premierminister, kritisierte, Neuverhandlungen über Großbritanniens Position in Europa sorgen auf Jahre hinaus für Unsicherheit bei Investoren. „Der Aufbau einer stärkeren Wirtschaft in einer fairen Gesellschaft hat für die Liberalen Demokraten Priorität“, sagte Clegg. Das werde durch sich hinziehende Verhandlungen erschwert.

Auch Douglas Alexander, Außenminister im Schattenkabinett der oppositionellen Labour-Partei, kritisierte Cameron: „Die Vorstellung, dass man den EU-Partnern eine Pistole an den Kopf hält, während man in der Abflughalle steht und 26 andere EU-Mitglieder anbrüllt, erscheint mir nicht sehr sinnvoll.“

John Cridland, Generaldirektor des Unternehmerverbands, warnte: „Der europäische Einheitsmarkt ist grundlegende Voraussetzung für den künftigen Erfolg der britischen Wirtschaft.“

Darin stimmt Cameron ihm zu. „Wir können zwar aus der EU austreten, aber wir können Europa nicht verlassen“, sagte er. „Das bleibt für viele Jahre unser größter Markt, und es bleibt für immer unser geografischer Nachbar.“ Man müsse sorgfältig die Konsequenzen abwägen, die ein Austritt auf den britischen Einfluss auf internationaler Ebene haben würde. „Wir haben zweifellos mehr Einfluss in Washington, Peking und Delhi, weil wir ein mächtiger Faktor in der EU sind“, erklärte der britische Premier. „Das spielt für britische Jobs und britische Sicherheit eine Rolle. Wenn wir die EU verlassen, gibt es kein Zurück mehr.“

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8 Kommentare

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  • A
    andreas

    Auch wenn es sich die EUROPHILEN so wünschen es entscheiden immer noch die Menschen in Europa was passiert und was nicht.

    Und wenn die Briten den EURO nicht haben wollen dann ist das ihr demokratisches Recht .

    Da gibt es überhaubt nichts drann rummzukritteln.

    Aber frei nach dem Motto "Die EU die EU die hat immer Recht" werden ja schon seit Jahren die Wünsche der Bürger ignoriert.

    Es hätte ohne uns Wähler den EURO nie gegeben.

    Das ist auf Wunsch der Konzerne passiert und um Deutschland klein zu halten(was mächtig in die Hose gegangen ist)

    Durch den Euro sind und werden ganzen Staaten in den Ruin getrieben. aber seis drumm wir bleiben in der Spur ...oder ?!

     

    Danke liebe Briten!

  • F
    FaktenStattFiktion

    Cameron ist ein Lichtblick für Europa.

    Weniger EU-Diktatur, mehr souveräne Politik.

  • NM
    Nikta Momus

    Europa in einer Sackgasse?! Empörung, Bestürzung, Mahnungen, scheinheilige Wut! Wer hat aber die Europa der zwei Geschwindigkeiten propagiert und dann durch- und festgesetzt?! Und die Briten sind übrigens nicht die einzigen, die Sonderrächte und Sonderstellung innerhalb der EU haben. Gucken Sie mal auf skandinavische Länder, die mit eigener Währung die Eurokrise wesentlich besser vertragen. Im Übrigen auch bessere Arbeitsmarkt- und Sozial- und Gerechtigkeitspolitik nachweisen. Sogar wie es jetzt mit Nachdrück hastig „erklärt“ wird, dass Cameron diesen Schachzug aus innenpolitischen und innenparteilichen Gründen gewagt hat, mindert es nicht die Tatsache, dass die EU wenn nicht problematische Organisation geworden ist, dann Organisation mit vielen verschobenen Problemen, die unter dem Motto: „Europa zwei Geschwindigkeiten!“ einfach verschwiegen und ungelöst waren. Nun zur Realität: der Ausstritt steht jedem frei. Genauso gilt, dass dieser theoretische und praktisch möglichen Austritt möglichst als unbedeutend dekoriert wird, obwohl sogar einfache Diskussion darüber die Märkte und damit Wirtschaft und Finanzen der EU-Länder stark negativ beeinflussen werden. Schlimmer noch, es wird Dominoeffekt ausgelöst! Z.B in Osteuropa, deren meisten Länder nur aus politischen Gründen auch hastig rein gelassen waren, nach dem Motto: „zurück zu Europa!“ und jetzt leiden unter EU-Vorschriften und Demokratiedefiziten, ohne ihren Hoffnungen auf gleiche Lebensstandards, wie in Westeuropa, verwirklicht zu haben. Deswegen wagen schon, über Rückkehr der EU zur Vor-Maastrichtphase zu reden und betrachten EU Währungsunion als ein tragischer Fehler.

  • K
    KIOSKO

    Macht einen Satz und seht zu, dass Ihr Land gewinnt! Und immer schön Männchen machen, wenn die Amerikaner pfeifen! Wenn ihr nicht freiwillig abhaut, schicken wir ein deutsch-französisches Expeditionscops, das den Stöpsel sucht und rauszieht!

  • B
    Britisher

    Wir haben nie fuer einen EU Uberstaat gestimmt, nicht in den siebziger Jahren und nicht jetzt. GB will Handel treiben mit seinen Nachbarn und dies wird auch ausserhalb der EU moeglich sein ein Handelskrieg wuerde Deutsche jobs genauso treffen wie British jobs. Wenn Europa ein von Deutschland gefuerthen Superstaat will, duerfen Sie es sich gerne so einrichten. Wir bleiben da lieber Insulaner aber bitte nicht wieder uns um Hilfe bitten wie 1939 wenn es schief geht.

  • M
    Michael

    Britain is great! Ich hoffe das ist der Anfang des Zerbröselns dieses EU Apparats.

  • OC
    of course my dear

    tschüss ...british empire!

    am besten noch alle datenleitungen aus der city of london kappen. was mit thatcher begann soll endlich mal aufhören.

    nix mit hft.

    ob europa UK oder ehemals british empire braucht?

    fahrt weiter links und behaltet eure bovine spongiforme enzephalitis selber. was hat UK für europa getan? die sollten sich mal fragen was sie für europa getan haben. die torries *kopfschüttel*

     

    bye bye windsors oder besser vor 1917 sachsen-coburg-gotha.

  • R
    Rellüm

    Das gibt es überall in der Politik, wenn in eigenem Land die Sache nicht so läuft, haben die anderen Schuld nämlich die EU.

    Aber die Engländer wollen die alte Zeit United Kingdom, British Empire, Splendid Isolation zurück, aber diese ist vorbei, endgültig. Die Industrie liegt am Boden, nur die Investmentbanker haben immer noch hohe Zeit. Somit hat Cameron nicht den Europäern die Nase gezeigt, sondern er hat sich ein Eigentor geschossen. Nötige Reformen hat meist England mit einen Veto belegt.

    Also gehen lassen, sollen die Engländer alleine zeigen was sie für Kerle sind.