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Referendum ÄgpytenKnappe Mehrheit für neue Verfassung

Nur 56 Prozent Jastimmen im ersten Wahlgang, obwohl die Islamisten stark dafür geworben haben . Ein zweite Wahlrunde folgt am 22. Dezember.

Stimmen auszählen in Kairo. Bild: dapd

KAIRO taz | Die Muslimbrüder und Salafisten haben die erste Runde des Verfassungsreferendums in Ägypten für sich entschieden. Inoffiziellen Ergebnissen zufolge stimmten über 56 Prozent für den umstrittenen Verfassungsentwurf und 43,5 Prozent dagegen. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei lediglich 33 Prozent. Von allen Wahlberechtigten stimmten also nur gut 18 Prozent für die Verfassung.

In der ersten Wahlrunde am Samstag war knapp die Hälfte der Ägypter zur Abstimmung aufgerufen. Der Rest darf erst am 22. Dezember sein Votum abgeben. Danach soll das offizielle Endergebnis des Referendums veröffentlicht werden.

Mit dem Ergebnis der ersten Runde gibt es für die Islamisten wenig zu feiern. Die Zustimmung für den von ihnen geprägten Verfassungsentwurf ist überraschend schwach, und das trotz des enormen Mobilisierungsapparats der Muslimbrüder, der bis ins letzte ägyptische Dorf reicht, und trotz der Salafistenscheichs, die in Predigten in den Moscheen der Armenviertel die Verfassungsgegner als „Ungläubige“ gebrandmarkt haben.

Die Opposition hingegen verfügt über keine effiziente Organisation oder Moscheen. Die Verfassungsgegner hatten gerade einmal vor drei Tagen beschlossen, nicht zum Boykott aufzurufen, sondern mit Nein zu stimmen. Da waren die Mitglieder der Muslimbrüder schon fast zwei Wochen von Haus zu Haus gezogen, um die Menschen von einem Ja zu überzeugen.

Endlich wieder Arbeit finden

Die Befürworter haben alles, was sie haben, in die Waagschale geworfen. Sie traten mit der Parole an: „Mit der Verfassung wird das Rad Ägyptens sich endlich zu drehen beginnen.“ Damit haben sie viele mobilisiert, denen der Inhalt der Verfassung nicht wichtig ist, die aber wollen, dass es mit dem Land vorwärts geht. „Ich stimme zu, damit ich wieder Arbeit bekomme“, war ein Satz, der am Samstag von vielen Menschen vor den Wahllokalen in Kairo zu hören war. Über den Inhalt des Verfassungsentwurfs wussten sie kaum Bescheid.

Allerdings haben auch 43 Prozent der Ägypter mit Nein gestimmt, in dem vollen Bewusstsein, dass damit die Verfassungsfrage erneut aufgerollt werden würde und das Land weiterhin politisch stagniert. Es war ihnen einfach zu wichtig, auf welcher Grundlage ihr Staat in Zukunft basieren soll.

Zwar werden die Islamisten den vorläufigen Ergebnissen zufolge ihren Verfassungsentwurf durchdrücken, dennoch sind sie auf dem absteigenden Ast. Bei den ersten Parlamentswahlen vor einem Jahr gewannen Muslimbrüder und Salafisten zusammen noch 69 Prozent der Sitze. Der von den Muslimbrüdern stammende Präsident Mohammed Mursi wurde im Mai gerade einmal mit etwas mehr als einem Viertel der Stimmen gewählt. Und jetzt stimmten gerade einmal rund 18 Prozent der Wahlberechtigten für die neue Verfassung.

Vertreter des alten Regimes spielten kaum eine Rolle

Die Rechnung kommt schnell: Die Muslimbrüder sind gerade einmal ein Jahr an der Macht. Und die nächste Parlamentswahl muss spätestens 60 Tage nach Inkrafttreten der Verfassung stattfinden. Wenn sich das Lager der Liberalen vernünftig organisiert und zusammenschließt, dann könnten die Islamisten in Ägypten erstmals an den Wahlurnen geschlagen werden. Das ist die wichtigste Lektion der ersten Runde des Verfassungsreferendums.

Innerhalb von zwei Jahren wurde nicht nur Mubarak gestürzt. Die Vertreter des alten Regimes spielten bei den Wahlen kaum noch eine Rolle. Auch das Militär wurde politisch in die Rente geschickt.

Ägyptens Demokratie sowie die politische und gesellschaftliche Öffnung schreiten voran. Viel schneller, als es so manche europäische Unkenrufer wahrhaben wollen, die schon wieder einen „arabischen Winter“ heraufziehen sehen.

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9 Kommentare

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  • S
    Solaris

    In den westlichen Medien wird der Eindruck erweckt, als ob die Gegner der Verfassung deren Verankerung in Islam und Scharia ablehnen. Tatsächlich bekennen sich auch die linken und liberalen - was immer das heißt - Parteien mit muslimischer Anhängerschaft zur Scharia. Auch die Diktatur war schon lange nur scheinsäkular. Das Verfassungsprojekt der Muslimbrüder wird von ihren Gegnern einschließlich den Mubarak-Anhängern, die am meisten zu verlieren haben, bekämpft, weil sie darin den Beginn einer politischen Dominanz der Muslimbrüder sehen. Tatsächlich sehen viele Ägypter in den Muslimbrüdern keineswegs die Vertreter ihrer Interessen. Die Nagelprobe wäre, wenn der Entwurf einer säkularen Verfassung zur Abstimmung käme.

    Dazu wird es aber nie kommen, weil jeder weiss, dass ein solcher bei den muslimischen Ägyptern haushoch durchfallen würde.

  • Z
    zombie1969

    Israel, als einzige Demokratie in der Region, hat offenbar vollkommen recht seine Nachbarstaaten genau zu beobachten und in diesem feindlichen Umfeld entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Abkommen oder eine enge Zusammenarbeit mit diesen feindlichen Ländern scheint in absehbarer Zeit der eigenen Sicherheit halber ausgeschlossen.

    Immerhin lassen die Unruhen in den muslimischen Ländern die europäischen rotgrünen Träumer und Israel/USA-Hasser noch blöder dastehen als bis anhin schon.

  • TR
    the real günni

    braucht es bei dieser abstimmung nur die einfache mehrheit?

    und wie sieht es dann aus, wieviel stimmen braucht man dann, um die verfassung zu aendern, sobald sie in kraft getreten ist?

    bei allem respekt fuer glaeubige menschen - die trennlinie zwischen dem einfluss des glaubens auf die kultur und das private leben sollte doch genau gezogen werden. demokratie ist nicht nur macht der mehrheit, sondern auch schutz der minderheiten.

  • N
    nihi.list

    end.the.occupation schreibt:

     

    "Aber es ist traurig das eine große Masse islamophob gegen die Verfassung gestimmt hat. Ich hoffe das die Muslimbruderschaft entschlossen gegen diese Leute vorgehen wird. Islamophobie darf nicht geduldet werden!"

     

     

    Vielen Dank für diese klaren Worte. Ich war in letzter Zeit etwas in Zweifel hinsichtlich der Politik von Isreal. Nun weiss ich wieder, warum Israel unter allen Umständen geschützt und unterstützt werden muss. Trotz aller Fehler ist es die Speerspitze gegen Intoleranz, Fanatismus und Terrorismus.

  • U
    Ute

    Bei so einer geringen Zustimmung müssen Mursi eigentlich Bedenken kommen.

    Hoffentlich kommen sie ihm auch.

  • A
    Ansgar

    Nettes Bildchen. Darauf steht, dass sich das Mädchen eine Ja zur Verfassung wünscht, um mit 9 Jahren heiraten zu dürfen:

     

    https://fbcdn-sphotos-a-a.akamaihd.net/hphotos-ak-prn1/15948_504974932876783_1513394367_n.jpg

     

    Unklar bleibt, ob es sich dabei um eine Kundgebung für oder gegen die Verfassung handelt (natürlich letztlich der Eltern). Richtig ist, dass die Scharia Eheschließungen ab der Pubertät, erlaubt; Mindestalter ist dabei neun Jahre (wer dabei Maßstab ist, kann sich jeder selbst ergoogeln; Stichwort Aischa).

  • E
    end.the.occupation

    Sehr schön das die Mehrheit für eine islamische Verfassung gestimmt habe. Ich hoffe der Westen der immer Demokratie fordert wird die Entscheidung von uns Muslimen akzeptieren. Aber es ist traurig das eine große Masse islamophob gegen die Verfassung gestimmt hat. Ich hoffe das die Muslimbruderschaft entschlossen gegen diese Leute vorgehen wird. Islamophobie darf nicht geduldet werden!

  • D
    D.J.

    @tantchen,

     

    ich selbst habe als einigermaßener Kenner des Landes keine Zweifel an der Annahme der Verfassung und einer von der Mehrheit gewünschten weiteren Religiotisierung aller öffentlichen Bereiche (der privaten ohnehin). Sehr viel, teils unfassbare Unbildung dort - erschreckenderweise nicht selten auch unter Leuten mit formal höheren Abschlüssen.

  • T
    tantchen

    Was ist los bei der taz? Die inoffiziellen Zahlen stammen von den Muslimbrüdern, genauer von deren Seite ikhwanweb. Den ganzen Samstag über gab es im Minutentakt Berichte über Manipulationen bei der Abstimmung. Über all das kein Wort? Macht die Taz sich jetzt zum Sprachrohr der Mursi-Mafia-Regierung?