Rede von Sibylle Lewitscharoff: Eine schreckliche Tirade
Künstliche Befruchtung sei „widerwärtig“, Onanie müsse verboten werden, sagt die Büchnerpreisträgerin Lewitscharoff. Wie kommt sie bloß dazu?
Was für eine schreckliche, menschenverachtende Tirade! Es müssen der Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff alle Sicherungen durchgebrannt sein, als sie am Sonntag in ihrer Dresdner Rede im dortigen Schauspielhaus über „Geburt und Tod“ vom Leder zog. Und mit großer Dankbarkeit nimmt man zur Kenntnis, dass sich das Dresdner Staatsschauspiel als Mitveranstalter schnell und entschieden in einem Offenen Brief von dieser Rede distanziert hat.
Was Sibylle Lewitscharoff in der ihr eigenen deutlich artikulierenden und manche Sätze geradezu ausschmeckenden Art da vorträgt, ist hanebüchen. An ihrem Tonfall kann man erkennen: Es ist ihr nicht einfach unterlaufen, es ist auch kein schwiemeliger Tabubruch. Es ist eine klare Ansage: Genau das wollte Sibylle Lewitscharoff einmal grundsätzlich loswerden.
Ein „Onanieverbot“ erscheint ihr „weise“. Wenn Sperma zur künstlichen Befruchtung eingesetzt wird, ist ihr das „nicht nur suspekt“, ihr erscheint es „absolut widerwärtig“. Aus dem Vorgang, „auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen“, resultiert für sie „der eigentliche Horror“: „Es geht dabei sehr rein und fein und vernünftig zu. Der Vorgang selbst ist darum nichts weniger als abscheulich.“ Die Fälle, „in denen sich lesbische Paare ein Kind besorgen, indem entweder […] ein anonymer Spender oder ein naher Verwandter der Freundin der künftigen Mutter herangezogen wird, um sein Sperma abzuliefern“, erscheint ihr „grotesk“.
Und dann kommt es erst. Für Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, hat Sibylle Lewitscharoff nur Abscheu übrig. Sie sagt, dass ihr „das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinem Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ Hier baut die Schriftstellerin eine kleine Abschwächung ein, die in Wahrheit aber wie eine rhetorische Verstärkung funktioniert: „Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.“
Was soll das?
Wie kommt sie dazu? Was für ein Sprechakt ist das? Will Sibylle Lewitscharoff Zeugnis ablegen? Will sie für einen rigiden christlichen Fundamentalismus werben? Mit Ausführungen über das Gottvertrauen hatte sie die Rede begonnen. Man weiß es nicht. Und, ehrlich gesagt, man möchte es auch gar nicht wissen. „Halbwesen“. „Zweifelhafte Geschöpfe“. „Abscheu“. Das ist alles einfach zu heftig.
Und die Rede geht noch weiter. Lewitscharoff: „Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor.“ Nach diesem ungeheuerlichen Satz fügt sie ein „Ich übertreibe, das ist klar, ich übertreibe“ an – aber das kann natürlich auch nichts mehr retten. In mehr als klaren, in deftigen Worten wertet Sibylle Lewitscharoff hier nicht nur alle Versuche ab, sich durch künstliche Befruchtung einen Kinderwunsch zu erfüllen. Sie wertet auch die Kinder, die auf diesem Weg gezeugt worden sind, massiv ab. Gottvertrauen und eine mittelalterliche Sexualmoral – alles andere erfüllt sie mit Abscheu.
Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, schreibt in seinem Offenen Brief: „Es gibt einen Punkt, der die Dresdner Rede vom 2. März gefährlich macht. Das ist das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das tropfenweise verabreichte Gift.“ Der Offene Brief schließt mit dem Satz: „Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte.“
Dem kann man sich nur anschließen. Und als Agnostiker möchte man zusätzlich noch fragen: Sind solche Abwertungen von Kinderwünschen, von elterlicher Liebe und von Kindern eigentlich christlich? Wie religiöser Fundamentalismus ins Menschenfeindliche umschlagen kann, das kann man an dieser Rede jedenfalls gut studieren.
Aber, viel basaler, ist die Rede noch etwas: ein aggressiver, radikal unhöflicher Akt. Sibylle Lewitscharoff nutzt die Autorität, die sie als bekannte Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin hat, um Menschen zutiefst zu beleidigen, aufgrund ihrer Sexualität und weil sie sich legaler Mittel bedienen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen – aufgrund von Dingen also, die Sibylle Lewitscharoff überhaupt nichts angehen. Das ist nichts anderes als unanständig.
Im April kommt ihr neuer Roman im Suhrkamp-Verlag heraus. Es gilt die klassische Unterscheidung zwischen den öffentlichen Äußerungen von Autoren und ihren Werken. Wie man aus der Literaturgeschichte weiß, können auch politisch fragwürdige und menschenverachtende Schriftsteller interessante Bücher schreiben. Aber dass man jetzt große Lust hat, dieses Buch zu lesen, kann man nicht sagen.
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