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Rechtswissenschaftler über Impfpflicht„Mehr Moraldruck ist nicht besser“

Eine Impfpflicht kommt vielleicht schon im März. Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig ist für eine pragmatische, gut argumentierte Entscheidung.

Impfpflicht? Unmittelbarer Zwang ist keine Option, findet Rechtswissenaschaftler Hans Michael Heinig Foto: Sebastian Wilnow/dpa
Interview von Paul Petsche

taz: Herr Heinig, Anfang 2022 soll der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 abstimmen. Ist die Umsetzung schon Anfang März denkbar, so wie Bundeskanzler Olaf Scholz es sich vorstellt?

Hans Michael Heinig: Wir bräuchten ein klar definiertes Ziel, das wir nicht mit anderen Mitteln besser erreichen können. Dann wäre auch schon März denkbar. Bis dahin sollten aber noch alle Mobilisierungspotenziale für eine auf Freiwilligkeit setzende Impfkampagne genutzt werden. Warum war Bremen zum Beispiel erfolgreicher als andere Bundesländer? Direkte Ansprache, Terminvorschläge, mobile Impfteams, gezielt in die Milieus hineingehen, mit Leuten, die dort Einfluss haben.

Sie selbst haben im November ein Ultimatum vorgeschlagen: Wenn bis zu einem festgelegten Zeitpunkt nicht genug Menschen geimpft wären, würde die Impfpflicht greifen. Warum darf sie nur das letzte Mittel sein?

Sie ist ein nicht unerheblicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Das Grundgesetz sieht hier hohe Hürden vor.

Aber es gibt doch auch andere Fälle, in denen der Staat in unsere körperliche Unversehrtheit eingreift?

Ja, zum Beispiel bei Blutalkoholkontrollen. Aber niemand muss betrunken Auto fahren. Selbst die Masern-Impfpflicht ist einrichtungsbezogen. Wenn Eltern sie vermeiden wollen, können sie ihre Kinder nicht in die Kita schicken.

Was meinen Sie, wenn Sie von einem klar definierten Ziel sprechen?

Bild: Uni Göttingen
Im Interview: Hans Michael Heinig​

50, ist Rechtswissenschaftler mit dem Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen.

Bisher kamen wir mit der schwammigen Formulierung aus, die Gesundheit und den Gesundheitssektor zu schützen. Für eine Impfpflicht braucht es eine präzisere Strategie. Wollen wir Menschen vor sich selbst schützen? Das ist paternalistisch. Wie wir den eigenen Körper gefährden, ist eine persönliche Entscheidung, zum Beispiel bei Risikosport. Die Gefährdung Dritter ist dagegen ein legitimer Grund für staatliche Intervention, wie die AHA-Regeln. Aber der Schritt von da zur Impfpflicht ist groß. Dass Geimpfte immer noch eine Ansteckungsgefahr darstellen können, macht die Zweck-Mittel-Relation nicht einfacher.

Was wäre denn ein legitimes Ziel für eine allgemeine Impfpflicht?

Die Überforderung des Gesundheitssystems, also die harte Triage, zu vermeiden. Vielleicht wäre dafür aber auch eine Impfpflicht für vulnerable Gruppen ausreichend. Oder für alle Berufsgruppen mit viel Publikumskontakten, zum Beispiel Lehrkräfte. Ansonsten schien es bei der Delta-Variante noch, als könnten wir uns aus der Pandemie herausimpfen, also den Übergang zu einem endemischen Verlauf beschleunigen. Gibt es diese Möglichkeit auch noch bei Omicron? Wenn ja, halte ich eine Impfpflicht mit diesem Ziel für gut machbar.

Fragen über Omicron können Ju­ris­t:in­nen aber nicht allein beantworten.

Genau. Mit einer neuen Virusvariante ändern sich möglicherweise auch die rechtlichen Umstände. Belastbare epidemologische Prognosen sind auch eine Bedingung für eine allgemeine Impfpflicht. Wir sollten das nicht hektisch entscheiden. Ich würde mir wünschen, dass wir bis Ende Januar ein informiertes Entscheidungsszenario aufbauen. Darin ist eine allgemeine Impfpflicht eine von mehreren Optionen. An der Politik irritiert mich, dass einige ideologisch bedingt für oder gegen eine Impfpflicht sind, bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen. Wir brauchen aber pragmatische Politiker:innen.

Wie wäre eine Impfpflicht überhaupt umzusetzen?

Das ist die Schlüsselfrage. Von bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens sind Ungeimpfte ja bereits ausgeschlossen. Es wäre denkbar, das auf den Arbeitsplatz auszuweiten. Bußgelder könnten als Sanktion dienen. Oder Kostenbeteiligung. Ungeimpfte, bei denen keine medizinischen Gründe gegen eine Impfung sprechen, könnten im Krankheitsfall angemessen an den Kosten ihrer Behandlung beteiligt werden.

Bußgelder treffen nicht alle gleich. Reiche könnten sich von der Impfpflicht freikaufen.

So ist das eben in einer Gesellschaft, die mit einer gewissen sozialen Ungleichheit zu leben gelernt hat. Zu sagen, wir dürfen etwas deshalb nicht sanktionieren, weil der vermögende Regelbrecher besser dasteht, finde ich eine eigenartige Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit.

Was ist denn mit nicht-finanziellen Sanktionen?

Welche sollen das sein? Ein unmittelbarer Impfzwang, also die polizeilich durchgesetzte Impfung, ist keine politisch gewollte Option. Wobei ich das nicht pauschal für verfassungsrechtlich ausgeschlossen halte.

Wird eine Impfpflicht zu noch härteren Protesten führen?

Empörung ist oft ein Vorfeldphänomen. Wenn die Entscheidung getroffen wurde, beruhigen sich die Gemüter manchmal wieder. Ob das hier passiert, ist ungewiss. Ich denke aber, dass eine Impfpflicht die Debatte moralisch entlasten könnte. Den Ungeimpften wurde oft ein persönlicher Vorwurf wegen des Anstiegs der Fallzahlen gemacht. Da ist ja auch etwas dran. Aber man muss auf der Hut sein vor hysterischem Eifertum. Die so Angegriffenen fragen sich, warum ihnen ein Vorwurf gemacht wird, wenn sie sich im Rahmen der Gesetze verhalten.

Aber das Gesetz liegt ja nicht immer moralisch richtig.

Es hat gute Gründe, dass wir unsere soziale Koordination nicht nur über Moral laufen lassen. Sie kann dysfunktional sein. Mehr Moraldruck ist in der freiheitlichen Gesellschaftsordnung nicht besser, er verschärft auch Konflikte. Der Gesetzgeber agiert aufgrund demokratischer Legitimation. Nicht, weil er belegen muss, dass das etwa von Gott gewollt ist, oder einer höheren Moral entspricht

Werden sich die harten Impf­geg­ne­r:in­nen einer Impfpflicht beugen?

In diesem Milieu werden ja auch andere Rechtspflichten wie die AHA-Regeln ignoriert. Sogar der pandemische Zustand selbst wird geleugnet. Ein Teil dieser Menschen ist kaum erreichbar. Vielleicht noch mit der Autorität des Rechts. Deshalb ja die Impflichtdebatte. Aber ein gewisses Maß an deviantem Verhalten müssen wir auch bei einer Rechtspflicht ertragen, weil wir nicht zum Polizeistaat werden wollen.

Gerade aus diesem Milieu klingt es oft, als lebten wir bereits in einem Polizeistaat.

Wenn man sich mit der Geschichte von Staatsgewalt beschäftigt, liegt in einer Pandemie schon eine Freiheitsgefahr begründet. Da gibt es eine autoritäre Versuchung. Aber der sind wir nicht erlegen. Dass man bei Maßnahmen wie einer Impfpflicht sorgsam argumentieren muss, ist aber richtig. Dass die Bio-Macht des Staates gesteigert ist, um mal auf Foucault zu verweisen, und man deshalb bei Maßnahmen wie einer Impfpflicht sorgsam argumentieren muss, ist aber richtig.

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5 Kommentare

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  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    "Deshalb ja die Impflichtdebatte. Aber ein gewisses Maß an deviantem Verhalten müssen wir auch bei einer Rechtspflicht ertragen, weil wir nicht zum Polizeistaat werden wollen."

    Wenn wir weiterhin diese Covidioten gewähren lassen, die offenbar schon viele Rechtsradikale im Schlepptau haben - oder umgekehrt - was wird dann aus unserem Staat?



    Fackelzüge vor den Häusern der Politiker, Angriffe auf Polizisten, Journalisten, Feuerwehrleute, Sanitäter - hier ist ein sehr hartes Vorgehen meiner Ansicht nach notwendig. Der Einsatz von Tasern fände ich in solchen Fällen für angebracht. In anderen Staaten wird scharf geschossen - was ich ausdrücklich nicht möchte!

  • Ist das Interview etwas unglücklich gelaufen oder aufbereitet, oder würde er allen Ernstes auch vor einem Gericht auf eine unmissverständlich auf Sanktionsmittel abzielende Frage antworten mit einer wenn auch interessanten grundrechtlichen Einzelmeinung bzgl. eines gewaltsam durchgesetzen Impfzwangs? Da gehen die Begrifflichkeiten aber wild durcheinander. Kann ich mir eigentlich auch nicht vorstellen, dass das so im Sinn der jedenfalls Westalliierten war, und daher eigentlich auch nicht in jenem der grundgesetzlichen Urväter. Zumal die man muss wohl bald schreiben insofern noch im Vorteil waren, dass sie vom original deutschen Faschismus gerade noch so genug hatten, das scheint mir nicht mehr allen nachvollziehbar. Aber das dürfte wenn dann beizeiten ja Karlsruhe klären, weniger ein Herr Heinig und dort ist man zunächst noch (und schon) mit der "nur" einrichtungsbezogenen Impfpflicht beschäftigt. Was sogesehen bereits verwundern kann. Umgekehrt aber genauso das einleitende "vielleicht": Wie denn jetzt? Laut dem frischgebackenen Vizekanzler, seiner Fraktion (einstimmig) und weiten Teilen des demokr. Bundestags mit Ausnahme einiger einsamer Liberaler der FDP - und nahezu der gesamten etablierten Medienlandschaft - führe ja gar kein Weg dran vorbei. Das passt ja vorn und hinten nicht, aber ich merke das nur noch an, denn mich haben diese Parteien sowieso verloren. Das wird sich garantiert nicht dadurch ändern, dass (erst!) Omikron die gesamte Debatte obsolet macht wie es die Pandiemie beendet.

  • Hola. Dachte ich - als ich wiki durchstöberte: bisken viel klerikales.



    & Däh => nix -



    Sauber & differenziert unaufgeregt den möglichen sozialen & rechtsstaatlichen Horizont abgeschritten. Ja so kanns gehn. Gut.



    (Aber auch schon klar - wer bei Martin Morlock Assi war & promoviert ist - kann kein ganz schlechter Mensch sein & hat halt sein Handwerk gelernt!;)



    Beruhigend •

  • Ich finde die Argumentation des interviewten Herrn Heinig recht schwach. Ein paar Anmerkungen:

    "Wollen wir Menschen vor sich selbst schützen? Das ist paternalistisch. Wie wir den eigenen Körper gefährden, ist eine persönliche Entscheidung". - Ist es unter bestimmten Umständen vielleicht doch angemessen, Menschen vor sich selbst zu schützen? Wen schützt nochmal die Gurtpflicht? Sicherlich nicht den Radfahrer oder die Fußgängerin. Und bei Missachtung gibts eine Geldstrafe.

    "Zu sagen, wir dürfen etwas deshalb nicht sanktionieren, weil der vermögende Regelbrecher besser dasteht, finde ich eine eigenartige Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit." - Wie wäre es bspw. mit Tagessätzen bei Geldstrafen?

    "Ein unmittelbarer Impfzwang, also die polizeilich durchgesetzte Impfung, ist keine politisch gewollte Option". - Da gabs doch mal die sogenannte Wehrpflicht. Wer dieser nicht in irgendeiner Form nachkam, konnte soweit ich weiß durchaus auch von der Polizei oder Bundeswehr persönlich abgeholt werden. Nach den Ausführungen des Juristen war das wohl doch eher ein Wehrdienstzwang?

    Moralprinzipien werden diskreditiert, indem Moral mit Religion gleichgesetzt wird: "Nicht, weil [der Gesetzgeber] belegen muss, dass das etwa von Gott gewollt ist, oder einer höheren Moral entspricht". Was bitte ist eine "höhere Moral"??? Bereits in "der freiheitlichen Gesellschaftsordnung" steckt das ethisch-moralische Prinzip Freiheit. Einzig die unterschiedliche Interpretation bspw. des Freiheitsprinzips macht gesetzliche Regelungen nötig...